Von Peter Hossli
Wenn ein Mann öffentlich weint, legt er meist mehr offen als seine Seele. Mancher ringt dann mit der Schuld. Bill Clinton führte es vor. Jüngst tat es ihm Basketball-Superstar Kobe Bryant gleich.
Ja, schluchzte er an der Seite seiner Gattin Vanessa, er hätte Ehebruch begangen. Angewidert sei er von sich selbst. Aber, holte er aus, was ihm der Staatsanwalt jetzt ankreide stimme nicht. «Beidseitiges Einverständnis», nicht eine Vergewaltigung hätte den Sexakt mit einer 19-Jährigen ausgelöst. «Ich bin unschuldig», bestellte Bryant der Presse.
Am Tag der tränengetränkten Medienkonferenz hatte Colorados höchster Ankläger Strafklage gegen Bryant eingereicht. Am 30. Juni, so der Vorwurf, hätte der Star der Los Angeles Lakers in einem Hotel in Vail eine Angestellte sexuell genötigt. Sie hätte mit ihm schlafen wollen, entgegnet Bryants Anwaltsteam.
Übernächste Woche findet die erste Anhörung statt. Der Richter befindet aufgrund der dargelegten Fakten und Aussagen, ob er den Fall nimmt. Frühestens im Frühjahr beginnt der Prozess.
Nicht seit dem Mordprozess gegen den Football-Star O. J. Simpson Mitte der neunziger Jahre hat ein Gewaltverbrechen in den USA ähnliche Beachtung ausgelöst. Die Parallelen sind frappant. Jetzt wie damals steht ein landesweit beliebter schwarzer Sportler am Pranger. Das Opfer war eine blonde weisse Frau. Wie einst bei Simpson sind sämtliche Elemente des amerikanischen Boulevards enthalten – Sex, Stars, Geld, Gewalt.
20 Jahre bis lebenslängliches Zuchthaus muss Bryant bei einer Verurteilung fürchten. Kein Staat geht ruppiger mit Sexualtätern um als Colorado. Das erste Jahr sässe er in Einzelhaft. Gerade mal eine Stunde täglich dürfte er die karge Zelle verlassen. Ein Schuldspruch würde eine Zivilklage und Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe nach sich ziehen.
Ausgerechnet Kobe. Der schöne Kobe Bryant mit dem magischen Namen, das Symbol für ordentliche Aufrichtigkeit im sonst von Korruption, Gier und Selbstsucht geprägten amerikanischen Spitzensport. Bereits fünfmal wurde der 25-jährige Sportler ins Team der Besten des Jahres gewählt. Niemand spielt eleganter, wirft treffsicherer, tritt aggressiver an als er. Sein Lächeln auf und neben dem Platz fesselt. Längst hatten ihn die Fans und die Sportmanager als einzig befugter Nachfolger von Legende Michael Jordan auserkoren. In den USA und bei vielen Basketball verrückten Jugendlichen weltweit ist der geschmeidige Athlet umschwärmt wie David Beckham derzeit in Madrid.
Mit 17 war er Profi geworden. Obwohl er hervorragende Noten hatte, studierte Kobe nicht. Er mochte lieber dem Vater nacheifern und wie er mit Basketball berühmt und reich werden. Drei Mal gewann er die Meisterschaft. Jährlich kassierte er neben einem Lohn rund 20 Millionen Dollar von Weltfirmen wie Nike oder Coca-Cola. Verziehen wurde ihm der nachgesagte Hang zur Arroganz. Er sei halt ein Winner, hiess es, einer mit rigorosem Siegeswillen. Zudem zeigte er Grösse in den Niederlagen. So verteilte er nach verpatzten Spielen Autogramme und gewährte freizügig Auskunft.
Nicht gefeit war er allerdings gegen eine düstere Seite des Sports. Wo Basketball gespielt wird, ist der Sex nicht weit. Horden von Groupies offerieren sich den steinreichen und athletischen Stars. Enorm sind die Versuchungen, jederzeit und überall. Zahle lieber vorher als später, lautet daher die Faustregel. Will heissen: eine Prostituierte ist meist die billigere Lösung als vermeintlich kostenloser Sex mit Unbekannten. Sie trägt keine Ruf schädigenden Vaterschaftsklagen vor. Vergewaltigungsvorwürfe sind selten.
Die Teams sind sich dessen bewusst – und sorgen mit Bodyguards vor. Geht eine Mannschaft für ein Auswärtsspiel auf Reise, wird jedes Hotelzimmer bewacht. Problematisch ist es, wenn ein Spieler mit dem persönlichen Wächter reist. Das ist dann oft ein Freund von früher, der auch mal ein Auge zudrückt, wenn ein williger Fan anklopft.
Wie bei Kobe Bryant in Vail. In der Sommerpause hatte er sich dort einquartieren und sein Knie operieren lassen. Nur gerade sein privater Bodyguard war zugegen. Die Los Angeles Lakers wussten nichts vom medizinischen Eingriff.
Was genau im Hotelzimmer passiert ist, dreht seit Wochen als wilde Spekulation im Internet. Während sich traditionelle Medienorgane – Zeitungen und TV-Stationen – vornehm zurück halten, jagen sich auf hunderten von Websites die Gerüchte. Längst ist nämlich bekannt, wer Bryant der Gewalt bezichtigt, obwohl das zuständige Gericht die Veröffentlichung des Namens untersagt. Es reicht, sich kurz durch die Suchmaschinen zu klicken – und schon findet man Fotos der Anklägerin, Histörchen von Bekannten, sogar die Telefonnummer der Krankenschwester, die sie untersucht haben soll. Die Studentin hätte Drogenprobleme gehabt, wird beispielsweise kolportiert. Ihr Freund habe sie vor einem halben Jahr verlassen, worauf sie sich das Leben habe nehmen wollen.
Das alles brachte die herkömmlichen Medien unter massiven Zugzwang. In der Regel geben sie die Identität von Gewaltopfern nicht Preis. Verlegen beschreiben die Zeitungen nun ohne Namen, was die Internet-Sites berichten. Nur einer hielt sich nicht zurück. Der bekannte Radio-Talker Tom Leykis nannte die Anklägerin namentlich in seiner landesweit ausgestrahlten Talk-Show. Es sei unfair Bryant anzuprangern, nicht aber die Anklägerin zu identifizieren.
Das Schweigen ist Heuchelei. So lange der längst bekannte Name geheim bleibt, kann Amerika eine explosive Diskussion meiden – jene über die sexuelle Spannung zwischen den Rassen. Kobe Bryant ist ein schwarzer Mann, seine Anklägerin weiss. Seit der Sklaverei ist der Stereotyp des von animalischer Gier getriebenen schwarzen Rohlings, der es auf weisse Frauen abgesehen hat, tief verwurzelt im Bewusstsein. Um einen Schwarzen zu lynchen, reichte oftmals die Beschuldigung einer Weissen, sie sei berührt worden. Das Sex-Geständnis Bryants heizte die Lynch-Gelüste zusätzlich an, sind in Vail doch bloss 0,3 Prozent der Bevölkerung schwarz.
Mittlerweile ist Bryant ins Training eingerückt. Wenn im Oktober die Saison beginnt, tritt er an. Dennoch scheint seine Werbekarriere kaputt. Selbst ein Freispruch hilft wenig. Zu sehr ist die Marke Kobe ramponiert. Mit ihm mag niemand mehr werben. Schätzungsweise 100 Millionen Dollar dürfte dem Star die Affäre kosten. So verzichtet der italienische Schoko-Riese Ferrero ab sofort auf dessen Gesicht. Jahrelang strahlte Bryant für den Brotaufstrich Nutella.
Das 18-jährige Nachwuchstalent LeBron James ersetzt ihn als Sympathieträger für die Zitronenbrause Sprite. Zwar haben McDonald’s und Nike Bryant noch nicht entlassen. Gemäss deren Firmensprechern verzichte man aber vorderhand auf Kobe-TV-Spots. Nike hat mit LeBron James einen weit höheren Sponsorvertrag abgeschlossen. Besonders Bitter für Bryant: James, nicht er, gilt jetzt als legitimer Nachfolger von Jordan.