Poker statt Tennis

Roger Federer brillierte in Texas. Die Nummer eins in der Weltrangliste scheint in greifbarer Nähe. Verschlossen bleibt ihm aber trotz des Triumphs der lukrative amerikanische Werbemarkt. Es mangelt ihm an Charisma. Hinderlich ist ihm zudem das Schweizer Kreuz.

Von Peter Hossli

Sanft ballt Roger Federer die rechte Faust. Dann blickt er nach oben. Unter texanischem Himmel hat er eben den Matchball verwertet und im Finale des Masters von Houston souverän Andre Agassi bezwungen.

Der Sieg vom vergangenen Sonntag trägt ihm 1,52 Million Dollar Preisgeld ein. Überdies kommt er dem Ziel näher, als weltbester Tennisspieler zu gelten.

Eines bleibt ihm versperrt: Der lukrative amerikanische Werbemarkt. «Roger Federer hat absolut keinen Appeal in den USA», sagt der Chefredaktor des Magazins «Tennis Week», Gene Scott. «Das ist Amerika. Allein amerikanische Stars bestimmen das Geschäft.»

Die US-Fotografin Susan Mullane teilt die Einschätzung. Seit Jahren fotografiert sie die internationale Tennisszene für Magazine und Werbekunden. «Roger hat keine Chance», sagt sie, lapidar und ohne zu zögern. «Er ist Schweizer, nicht Amerikaner.»

Seit dessen Zeit als viel versprechender Junior lichtet Mullane Federer ab. Bis zu dessen Wimbeldon-Sieg im Juli habe sie kein einziges Bild an US-Magazine verkaufen können. «Es besteht keine Nachfrage.» Die meisten ihrer Kollegen würden deshalb bloss amerikanische Tennisasse fotografieren.

Kaum überraschte daher, dass die Siegerehrung in Houston zum Agassi-Spektakel geriet – obwohl Federer gewann. Minutenlang sprach der Verlierer live am Fernsehen. Als endlich der Schweizer das Mikrofon erhielt, beendete der Regisseur die Übertragung abrupt. Was Federer zu sagen hatte, blieb dem US-Publikum verborgen.

Doch nur wer in den Medien vorkommt, fällt der Werbeindustrie auf. Ohnehin sei diese weit weniger spendabel als früher, sagt Chefredaktor Scott. «Tennis steckt in den USA tief in der Krise.» Längst ist es kein Volkssport mehr. Stetig sinken die Einschaltquoten für Turniere. Vor 15 Jahren hätten selbst mittelmässig platzierte Spieler für Produkte werben und mächtig kassieren können. «Diese Zeiten sind vorbei.» Zumal Schuh- oder Racketfabrikanten zunehmend ohne Personen werben. Das, realisieren die Firmen, spart Geld und wirkt ebenso.

Die Spiele des diesjährigen Masters waren auf den Nachmittag angesetzt, damit möglichst viele Europäer, nicht aber Amerikaner zuschauen konnten. Nur der Spartenkanal ESPN übertrug die Partien, allerdings nicht alle live. Statt des Halbfinales zwischen Federer und Andy Roddick zeigte der Sender ein Poker-Turnier, live aus Las Vegas. Die Tageszeitungen versteckten das Masters in den Randspalten. Bloss mit vier Zeilen würdigte etwa die «New York Times» Federers Sieg.

Das Management des Schweizer Superstars macht sich nichts vor. «Für uns liegt das Schwergewicht vorerst in Europa», sagt Lynette Federer, Mutter und Beraterin von Roger. Der US-Markt sei «generell von sehr grosser Bedeutung und somit auch für Roger». Angehen wolle man ihn vorerst aber «behutsam». Sie betont, mit den Ausrüstern Nike und Wilson werbe Roger bereits für zwei «erstklassige US-Brands».

Priorität hätte der sportliche Erfolg, sagt sie. «Wir wollen die Marke Roger Federer nicht über die Medien, sondern über den Sport zum Erfolg führen.» Turniersiege seien dabei unabdingbar.

Der Weg vom Podest zum hoch dotierten Werbevertrag ist allerdings beschwerlich. Die Millionen erhalten in den USA derzeit Basketball-Spieler, Football-Stars oder Autorennfahrer, nicht Tennisspieler. Schon gar nicht ausländische. Nicht einmal Boris Becker sei es gelungen, hier zu Lande bedeutende Werbeverträge für Konsumgüter wie Coca-Cola zu erhalten, sagt Scott. «Und Becker hatte enormes Charisma.»

Das fehlt Federer. «Er ist ein sehr netter Mensch», sagt Scott. «Aber er ist weder auf noch neben dem Platz eine Persönlichkeit.» Sein Charakter spiegle sich allein in seinem Spiel. «Sein Tennis ist magisch», schwärmt Scott. Das begeistere zwar die Fans, reiche aber nicht aus, Produkte anzupreisen. «Federer kann nur mit dem Racket sprechen.»

Fotografin Susan Mullane nennt Federer «den Stefan Edberg unserer Zeit.» Der besonnene und stille Schwede Edberg taugte in den USA so wenig als Werbeträger wie jetzt der Schweizer.

Auffälligen amerikanischen Figuren wie die Geschwister Williams oder Andy Roddick gehört stattdessen die Aufmerksamkeit. Am meisten Potenzial scheint Roddick zu haben, trotz des mässigen Auftritts am Master. Er ist Amerikaner, sieht blendend aus, hat Erfolg, ist die Nummer eins, telegen – und fühlt sich wohl ausserhalb der Tenniswelt. Vorletzte Woche führte er etwa als Gastgeber durch die Satiresendung «Saturday Night Live». Roddicks Freundin, die Aktrice und Sängerin Mandy Moore, ist so berühmt wie er und beliebt bei den 14 – 25-Jährigen, der von der Werbeindustrie bevorzugten Altersgruppe.

Richtig Fuss fassten in den USA erst zwei ausländische Tennisasse – Anna Kournikova und Martina Hingis. Die Russin dank Sex-Appeal. Die Schweizerin, sagt Mullane, «weil es zu ihrer Zeit keine andere Persönlichkeit gab».

Hingis wirbt sogar für die Kreditkartenfirma American Express, dem Prestige trächtigsten Tennis-Sponsor. Ob American Express nun Federer will, mag Firmensprecherin Judy Tenzer nicht sagen. «Wir reden nur über Personen, mit denen wir Verträge haben.» Generell heuere Amex Spieler an, «die aktiv sind und durch aussergewöhnliche Leistungen auffallen – sowie Legenden des Sports.» Beste Voraussetzung für Federer wäre wohl ein Sieg am US Open im Frühherbst. «Wir konzentrieren unsere Kampagnen im Umfeld des US Open», sagt Tenzer.

Ausgerechnet in New York schied Federer heuer vorzeitig aus. Doch selbst ein Triumph hätte seine Chancen kaum verbessert. «Roger kann alles gewinnen, es ändert sich wenig», sagt Mullane. Die US-Presse werde dann noch weniger über Tennis berichten, etwa mit Schlagzeilen wie «Was ist nur mit Roddick los?» und «US-Tennis in der Krise».

Wenig hilft, dass der frühere Tennis-Flegel und heutige TV-Kommentator John McEnroe Federer für den «derzeit besten Spieler» hält. Regelmässig vergleicht er ihn mit Pete Sampras, einem der Erfolgreichsten der Tennisgeschichte. Wie Federer überzeugte Sampras durch präzise Bälle, nicht einnehmende Ausstrahlung. Als Sympathieträger wirkte Sampras nur bedingt – trotz US-Pass.