Ein Witz

Um private Klagen in den USA zu begleichen, legt die Credit Suisse Group 450 Millionen Dollar zur Seite. Ein einflussreicher Klägeranwalt bezeichnet die Summe als «Witz».

Von Peter Hossli

Die Ankündigung kam verfrüht, und sie schmerzte. Statt wie geplant am 25. Februar vermeldete die Credit Suisse Group bereits diesen Dienstag einen Reinverlust von 3,4 Milliarden Franken für das Jahr 2002.

Im CS-Rekordminus stecke durchaus auch Positives, sagt die Bank. So könnten mit einer Abschreibung von 450 Millionen Dollar in den USA die privaten Klagen gegen Credit Suisse First Boston beigelegt werden, «im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit von Research-Analysten, gewissen IPO-Zuteilungspraktiken, Enron und anderen damit verbundenen Praktiken», hiess es in der CS-Pressemeldung. Die Börse reagierte positiv.

Gemäss einer CSFB-Sprecherin in New York betreffe dies die hängigen privaten Klagen. Für einen im Dezember angekündigten Vergleich mit dem New Yorker Staatsanwalt Eliot Spitzer seien bereits 250 Millionen Dollar abgeschrieben worden.
Die 450 Millionen Dollar muten allerdings bescheiden an. Noch im vergangenen Jahr waren etliche Analysten davon ausgegangen, Banken wie die CSFB müssten weit tiefer in die Tasche greifen. So forderte Lynn Sarko von der Anwaltskanzlei Keller Rohrback in Seattle allein zwei Milliarden Dollar für das um die Pension geprellte Enron-Personal. Geklagt hatte Sarko, weil die CSFB noch unmittelbar vor dem Kollaps Enron-Aktien zum Kauf empfohlen hatte.

Von Vergleichsangeboten hat Sarko bisher nichts gehört. «Die CSFB-Anwälte haben uns nicht kontaktiert», sagt er. «Angesichts der grossen Zahl von Klagen gegen CSFB sind die 450 Millionen Dollar völlig inadäquat». Die Summe sei aus «sehr dünner Luft» gegriffen, sagt Sarko, «sie ist wohl Wunschdenken.» Überdies mache sie keinen Sinn. «Ist die CSFB unschuldig, sind 450 Millionen Dollar zu viel, ist die Bank schuldig, ist der Betrag ein Witz.»

Die CSFB müsse nämlich mit «weit grösseren Forderungen» rechnen, sagt Sarko. Allein die Zahl der Enron-Klagen sei «enorm», jene wegen den IPO-Zuteilungspraktiken sogar «massiv». Die IPO-Klagen bezeichnet Sarko unverblümt als «make or break» für CSFB.

Keine Übertreibung, liegen doch gemäss «New York Post» über 1000 Sammelklagen vor. «Der Schaden dürfte sich auf mehrere Milliarden Dollar belaufen», so Sarko.

Was wird der Bank denn vorgeworfen, das sie mit 450 Millionen Dollar begleichen will? Zum Beispiel die Mitschuld an der gegen 100 Milliarden Dollar umfassenden Enron-Pleite. «Das Enron-Debakel wäre nicht möglich gewesen ohne die willentliche Beihilfe und aktive Teilnahme der herausragendsten Banken an der Wall Street», heisst es in einer Klageschrift, die im Frühling 2002 in Houston, Texas, gegen J. P. Morgan Chase, Citigroup und CSFB eingereicht worden war.

Von allen beteiligten Banken war gemäss der von Klägeranwalt Lynn Sarko eingereichten Klageschrift nur die CSFB an sämtlichen Geschäftsbereichen beteiligt. Deswegen habe CSFB beste Einsichten in die Finanzlage des Pleitiers gehabt. Den Investoren habe die Bank Informationen absichtlich unterschlagen. «Weil sie Millionen daran verdienten.»

Gemäss einer ebenfalls im Frühjahr 2002 eingereichten Klage des Staranwaltes William Lerach habe die CSFB für Enron «willentlich an betrügerischen Operationen mitgemacht, weil diese Operationen so lange enorme Profite abgeworfen haben, wie sie andauerten». Ein Spezialistenteam von zehn Bankiers hätte zum Beispiel schwache Enron-Portfolios mit falsch deklarierten Darlehen versehen.

Lerach vertritt eine Klägerklasse, der einen Schaden von insgesamt 25 Milliarden Dollar entstanden ist. Ob die sich mit den 450 Millionen Dollar der CSFB begnügen, bleibt vorerst offen. Seine Kanzlei liess eine CASH-Anfrage unbeantwortet.

Klagen mit Geld zu begleichen ist nicht neu für die CSFB. Deren Image ist deswegen angekratzt. Im Januar 2002 hatte sich die Bank bereit erklärt, in einem Vergleich 100 Millionen Dollar an die Börsenaufsichtskommission SEC zu zahlen. In einer Erklärung hielt die SEC fest, CSFB habe zwischen April 1999 und Juni 2000 Kunden bei IPOs bevorzugt, die bereit gewesen seien, zwischen 33 und 65 Prozent der Gewinne in Form von überhöhten Kommission zurückzuzahlen. Solches Gebaren sei keine Ausnahme gewesen, heisst es in der SEC-Erklärung, sondern ein «fundamentaler Aspekt, wie CSFB mit einem kleinen aber wichtigen Teil seiner Kunden» umgesprungen sei. Im letzten August wurden überdies zwei CSFB-Angestellte zu Bussen von je 200000 Dollar für deren Involvierung in die illegalen IPO-Zuteilungspraktiken belegt.

Nicht vom Tisch waren mit Einigung und Bussen die privaten Klagen. Die Investoren, die Ende der neunziger Jahren inzwischen wertlose Internet-Aktien gekauft haben, fühlen sich geprellt. Mitschuldig an den Verlusten in Billionen-Höhe sei die von der CSFB angeheizte und von der SEC bestrafte Praxis bei IPOs, argumentieren sie. Seither hagelt es Sammelklagen, bisher über 1000.

Um diese zu begleichen, dürften die 450 Millionen Dollar kaum ausreichen. Ausserdem könnten etliche Anwälte die Abschreibung als Schuldbekenntnis verstehen – und weitere Klagen einreichen.