Der Neue ist ein alter

Der Rücktritt von AOL-Time-Warner-Chairman Stephen Case besiegelt die Internet-Euphorie. Er ebnet den Weg für Richard Parsons, ein brillanter Taktiker und Manager alten Stils.

Von Peter Hossli

Die drei Männer strahlten, als gehörte ihnen die Welt. Eben hatten Stephen Case, Gerald Levin und Robert Pittman das weltweit grösste Medienkonglomerat geschaffen. Mit Time Warner und America Online (AOL) würden sie die Zukunft und die Vergangenheit fusionieren, die alten und die neuen Medien. Synergien, so der Plan, drücke Kosten und fülle Kassen.

Das war vor drei Jahren. Heute ist die Vision dahin. Der Aktienkurs der neuen Firma liegt am Boden. Levin und Pittman sind seit längerem weg. Letzten Sonntag gab Case seinen Posten als Vorsitzender des Verwaltungsrates ab. Überraschend, aber kaum freiwillig.

Beerben, wird allenthalben erwartet, dürfte ihn Richard Parsons, 54, derzeit CEO bei AOL Time Warner. Bald schon soll Parsons zusätzlich den Verwaltungsrat zumindest interim führen. Er sei der geeignete Mann, sagt UBS-Analyst Chris Dixon. «Parsons kennt den Verwaltungsrat, und er kennt ihn gut.»

Die geprellten Aktionäre wie die Angestellten hegen Hoffnung. Sie schätzen Parsons Distanz zur fehlgeschlagenen Fusion. Er war kein Architekt von AOL Time Warner und kann die notwendigen Veränderungen einleiten, ohne am Lebenswerk zu sägen. Er sei in der Lage, selbst die drastischste Wende einzuleiten und die Firma aufzuteilen.
«Hört auf, daran zu denken», bestellte Parsons unlängst jenen Top-Managern, die die Fusion für das Chaos bei AOL und den Aktienzerfall verantwortlich machen. «Ihr könnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen.»

Parsons, ein Afroamerikaner aus Queens, hängt der Ruf des brillanten Taktikers nach. Mehr Politiker denn Wirtschaftskapitän. Einer, der die Egos starker Persönlichkeiten besänftigen und deren Talente zu bündeln vermag. Dabei gehe es ihm stets ums Wohl der Firma, nie um ihn selbst, sagt ein Mitarbeiter.

Solch diplomatisches Gespür ist jetzt gefragt. Die Stimmung beim Personal sei «mies», so ein Angestellter. Wen wunderts. Der Zerfall der Aktie hat deren Pensionskassenvermögen halbiert.

Als grundehrlich gilt Parsons, in Zeiten von Buchhaltungsskandalen ein wertvolles Attribut. Die Konkurrenz schätzt ihn ebenfalls. «Er ist einer der wenigen Leute in dieser Industrie, bei denen ein Händedruck so wertvoll ist wie ein Vertrag», sagte Rupert Murdoch, Chairman von News Corporation. Als «Gentleman» und «vernünftig» bezeichnete ihn einst der Disney-Chef Michael Eisner.

Innerhalb der Firma schlug Parsons die wichtige Brücke zu Ted Turner. Der exzentrische Gründer von CNN und grösste AOL-Aktionär hatte zuletzt das Gefühl, die Fusion hätte ihn nicht nur um Milliarden ärmer gemacht sondern zusätzlich der Macht beraubt. Parsons, heisst es aus AOL-Kreisen, hätte Turner das Gefühl vermittelt, er gehöre wieder dazu.

Aufgewachsen ist Parsons als eines von fünf Kindern in der Nähe des Sumpfes, auf dem später der John-F.-Kennedy-Flughafen gebaut wurde. Der blitzgescheite Bursche übersprang zwei Klassen. Bereits als 16-Jähriger nahm er in Hawaii ein erster Studium auf. Warum? Er hatte eine Frau kennen gelernt, die auf der entfernten Pazifikinsel lebte. Später heiratete er sie.

Nach abgeschlossenem Rechtsstudium traf er seinen Förderer – der Gouverneur von New York, Multimilliardär Nelson Rockefeller. Der brachte Parsons in den Kreis der liberalen Republikaner und hoffte, sein Zögling würde dereinst eine politische Karriere einschlagen.

Als Schwarzer hatte Parsons bei den Republikanern politisch aber wenig zu bestellen. Nachdem Rockefeller 1976 als US-Vizepräsident nicht wieder gewählt wurde, trat Parsons einer privaten Anwaltskanzlei bei. Dort arbeitete er mit dem späteren New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani zusammen.

Nicht vergessen hatten die Rockefellers das Führungstalent. In den achtziger Jahren holten sie ihn als Präsident zur Dime Bank. 1991, erneut auf Drängen eines Mitgliedes der Rockefeller-Familie, wurde Parsons Verwaltungsrat bei Time Warner und später deren Präsident. In die fehlgeschlagene Fusion – und das scheint seine Stärke – war er nicht involviert. Parsons vermeintliche Aussenseiterrolle verleitete den Tabakriesen Philip Morris sogar dazu, ihm im vergangenen Jahr den Posten des CEOs zu unterbreiten. Parsons lehnte ab.

Seine Kritiker bemängeln dessen relative Unerfahrenheit im Mediengeschäft. Immerhin muss er eine Lösung finden für die angeschlagene Industrie. Das bisherige Modell, Inhalte – Filme, Musik, Zeitungen – mit Verteilungskanälen – Internet, Fernsehkanäle, Kabel – zu fusionieren, scheint derzeit untauglich, rasch zu wachsen und Gewinne zu erzielen.

Nicht nur bei AOL. Abgänge im Topmanagement von Bertelsmann oder Vivendi Universal sowie das Absacken der Aktienkurse bei Viacom und Disney unterstreichen die fundamentale Krise.

Das Konglomerat hat ausgedient. Gefragt sind neue Strategien. Dass Parsons vor der Zerschlagung des Kolosses nicht zurückschreckt, unterstrich er bereits vor einem Monat. Er werde nichts unternehmen, sagte er an einer Konferenz, «das uns in die falsche Richtung führt». Falsch, das ist nun klar, war die Fusion.

AOL Time Warner
AOL Time Warner ist das grösste Medienkonglomerat der Welt. Dazu gehören so unterschiedliche Firmen wie der Internet-Service America Online, die Filmstudios Warner Brothers und New Line Cinema, die Kabelkanäle HBO und CNN, die Magazine «Time» und «Fortune» oder die Kabelfirma Time Warner Cable. Wie unterschiedlich die einzelnen Sektoren seit der Fusion zum Gesamtergebnis beigetragen haben, verdeutlicht die missglückte Integration alter und neuer Medien. Bei America Online (AOL) verringerte sich der Cashflow im letzten Jahr um happige 40 Prozent; das Filmgeschäft hingegen legte um 25 Prozent zu, der Verlag um 30 Prozent und das Musikgeschäft immerhin um knapp zehn Prozent. Unverändert blieben die Fernsehsender und die Kabelfirma. Schmerzliches Fazit für die Time-Warner-Aktionäre: Ohne AOL ginge es der Firma blendend.