Von Peter Hossli
Gravierend seien die Symptome, sagt der texanische Anwalt Gary Pitts. Er vertritt über hundert Tausend amerikanische Veteranen aus dem Golfkrieg, dazu britische, französische und tschechische Soldaten, die ebenfalls erkrankt seien. Sie alle würden an Gedächtnisschwund leiden, an teilweise schweren Hirnschäden und unangenehmen Verdauungsproblemen. Deren nach 1991 gezeugten Kinder wiesen oft Geburtsfehler auf.
Das so genannte Golfkriegssyndrom hätten chemische Kampfstoffe des irakischen Diktators Saddam Hussein verursacht. Der hatte Munition mit Nerven- und Senfgas versehen. Als die Alliierten nach Kriegsende die irakischen Bomben sprengten, seien die Soldaten kontaminiert worden.
«Europäische und US-Firmen haben Saddam Hussein mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet», sagt Pitts, «wissentlich.» Innert dreier Monate will er die europäischen Firmen in Europa einklagen, voraussichtlich in Deutschland oder England. Aus der Schweiz betroffen sind vornehmlich Georg Fischer sowie die Chemiefirma Fluka AG.
Gemäss Pitts lieferte Georg Fischer zwischen 1984 und 1987 Maschinen in den Irak. Damit hätten Saddams Schergen aus harmlosen Chemikalien hochgiftige Kampfstoffe gemischt.
Das Trägermedium kam von Fluka. Zwischen 1981 und 1987 hätte die in Buchs, St. Gallen, beheimatete Firma Material geliefert, aus welchem Kampfstoffe gemacht wurden, welche «die Weltbevölkerung um ein Vielfaches hätten töten können», so die «Los Angeles Times».
Fluka, heute im Besitz des US-Konglomerats Sigma-Aldrich, gehörte zum Zeitpunkt der Exporte gemeinsam Ciba-Geigy und Hoffmann-La Roche. Der Pressesprecher von Novartis, Felix Räber, bestätigt dies. Zu klären bleibt allerdings, ob die rechtliche Verantwortung heute bei Novartis und Roche, bei Sigma-Aldrich oder bei allen Firmen liegt.
Das, sowie die damaligen Besitzverhältnisse sind für Pitts wichtig, um die zu beklagenden Firmen zu bestimmen. «Wussten die damaligen Besitzer von den Exporten», sagt der Klägeranwalt, «werden wir Novartis und Roche ebenfalls verklagen.» Insgesamt werde er zwischen 20 und 30 Firmen vor Gericht zitieren. Hauptsächlich stütze er sich auf einen Bericht der Uno-Waffeninspektoren von 1996 ab.
Noch nicht festgelegt habe er sich auf eine Klagesumme. Da das europäische Rechtssystem im Gegensatz zum amerikanischen kaum überzogene Strafbussen vorsehe, müsse jeder Fall individuell berechnet werden. In Betracht ziehen werde er allein die effektiven Kosten.
Die sind beträchtlich. Mancher Patient habe Lohneinbussen und Arztrechnung in Millionenhöhe, sagt Pitts. Kinder von erkrankten Veteranen seien auf spezielle Behandlungen angewiesen. Waisen hätten niemanden, der ihre Ausbildung bezahle. Hochgerechnet könnte demnach ein effektiver Schaden von über 100 Milliarden Dollar entstanden sein.
Vor Gericht beweisen muss Pitts allerdings erst, dass die Firmen wussten, was sie taten. Kein Problem, sagt Pitts. «Es war weltweit bekannt, dass Hussein chemische Kampfstoffe einsetzt», sagt er. «Wer Material zur Herstellung von Senfgas verkauft, der weiss: damit wird Senfgas hergestellt.»
Der New Yorker Anwalt Douglass Wistendahl hingegen sieht höhere juristische Hürden. «Zuerst muss ein direkter Zusammenhang zwischen den Produkten und der Krankheiten hergestellt werden», sagt Wistendahl. Man könne etwa argumentieren, bei den Explosionen sei das von Fluka gelieferte Medium gar nicht zum Einsatz gekommen.
Abwartend gibt sich Georg Fischer. «Georg Fischer hat bis heute keine Kenntnis von einer derartigen Klage und kann deshalb dazu nicht Stellung nehmen», sagt Pressesprecher Bernd Niedermann. «Georg Fischer hält sich bei all seinen Tätigkeiten an die geltenden rechtlichen Regeln.»
Gleichwohl bleibt zu klären, in wiefern die Firmen auch schweizerische Gesetze verletzt haben. «Theoretisch ist das möglich», sagt Othmar Wyss, beim Staatssekretariat für Wirtschaft zuständig für Exportkontrollpolitik und Sanktionen. «Praktisch wohl nicht.» Es handelte sich um so genannte Dual-Use-Güter, zivile Produkte, die in Kriegsmaterialien umgewandelt werden können. Die Chemikalien, die Fluka geliefert habe, seien damals für den Export nicht gesperrt gewesen.