Die letzte Landung

Der Flugverkehr darbt. Im Wüstensand von Arizona und Kalifornien parken über 500 eingemachte Zivilflugzeuge. Abheben werden viele nie mehr. Spezialfirmen entnehmen ihnen die brauchbaren Teile und verkaufen sie in die Dritte Welt. Mit Riesenscheren zerlegen Alteisenhändler gestrandete Rümpfe. Das Demontage-Geschäft blüht.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Fotos)

last_landing_image.jpgDie Bescherung kommt für David Kramer gleich nach Sylvester. Auf Anfang Jahr, prophezeit der hemdsärmelige Schrotthändler, breche der Reiseverkehr nach dem derzeitigen Festtagshoch ein. «Wir zerschlagen dann die Überblei bsel». Kramer lebt davon, Flugzeuge bis aufs Aluminium-Skelett zu filetieren und in kaum Türen grosse Platten zu sägen.

Die Zukunft sieht der Abrissspezialist rosig. «Ich bin über Jahre ausgelastet.»
Eingerichtet hat sich Kramer auf dem Flughafen von Mojave, einem abgeschiedenen Nest in der Wüste Kaliforniens, drei Stunden nördlich von Los Angeles. Es besteht bloss aus dem Airport, muffigen Motels sowie ein paar Tankstellen für Lastwagenfahrer. An den kahlen Hügeln erzeugen Tausende Windräder Strom.

Was Mojave ausmacht, ist ein Parkplatz. Weit über dreihundert mit Aluminiumfolie und Klebeband eingemottete und gestrandete Jets glänzen im Morgenlicht. Schön und bizarr die Farben. Hinter dem Zaun aufgereiht sind ein Dutzend Boeings der Hawaiian Airlines, drei Swissair-Maschinen vom Typ MD-11 und über neunzig Flieger der bankrotten US Airways. Alle strecken die Nase in den Wind, um die Flügel und verklebten Fenster vor kräftigen Wüstenstürmen zu bewahren. Die meisten Heckflossen s ind überpinselt, «wegen dem Image», sagt Kramer. «Sehen Passagiere in der Presse ein im Sand parkiertes Flugzeug, glauben sie sofort, die Airline habe Probleme.»

Ein Stoppzeichen an der Startbahn mahnt die Autofahrer, den landenden Flugzeugen den Vortritt zu gewähren. Sicherheit wird hochgehalten. Das Gelände ist mit Stacheldraht eingefasst. Offiziell haben Fotografen keinen Zugang. Zückt einer die Kamera, rücken die Wächter an.

Unheimlich, ja traurig, sieht es aus, wenn Flugzeuge – Maschinen, die dem Wesen nach fliegen – massenhaft stehen. «Mindestens ein Drittel der Flugzeuge in Mojave wird nie mehr starten», sagt Kramer, der in den vergangenen vier Jahren über achtzig Passagierjets abgetragen hat. Grösser als jetzt sei die globale Überkapazität nie gewesen. Da mit jedem Flugjahr die Wartun gskosten steigen, sparen die Fluggesellschaften Geld, wenn sie die Maschinen einmotten und dann zerlegen.

Das geschieht dort, wo ohnehin nicht mehr viel lebt – in der Wüste. Die ist sehr trocken und liegt in Mojave 1000 Meter über Meer. Es regnet kaum. Teure Hangars sind unnötig. Die Flugzeuge rosten draussen nicht. Der sandig Boden ist steinhart, auch Jumbojets sinken da nicht ein. Land gibts zuhauf, und es ist billig.

Ein abgesägtes, halbrundes Stück Jumbo dient Dale Lackey als Büro. An der östlichen Ecke des Mojave-Airports hat er ein Stück Wüste gepachtet. Lackey arbeitet für Schrotthändler Kramer und schraubt sämtliche Bestandteile eines Flugzeuges ab, die sich wieder verkaufen lassen. Haufenweise liegen Kabel herum. Drei abgetrennte Flugzeugnasen dienen ihm als Grenzsteine. Mitten auf dem Gelände steht eine Boeing 737, aufgebahrt auf Eisenbahnschwellen. Bereits verkauft ist das Fahrwerk, abgesehen vom Getriebe das kostbarste Teil alter Flieger. Ein Bein kann schon mal eine Million Dollar einstreichen. Auf der Schwanzflosse zu erkennen sind die Umrisse eines überpinselten Ahornblattes: Es ist eine B-737 von Air Canada, die Lackey zerlegt.

Ein mühseliger und zuweilen langsamer Prozess. Sieben Tage die Woche hebeln und hämmern sechs Mann drei Monate lang – nur, um Teile zu entnehmen. An einer Boeing 747, dem grössten Passagierjet, nagen zehn Mann 120 Tage.

Wie die Geier machen sich die Handwerker über den lahmen Flieger her. Zuallererst schrauben sie stets das Fahrgestell ab u nd stellen den mehrere Tonnen schweren Rumpf auf Holzschwellen oder Stahlstelzen. Dann verzerren sie, was noch zu gebrauchen ist – die Sitzreihen, die Elektronik im Cockpit, die vielen Kilometer Kabel, Flügelklappen und Flossen, Türen und Toiletten, Flugschreiber und Unterhaltungsanlage, die Kombüse, die Räder und Bremsen, auch die Quer- und Seitenruder.

Jedes Bestandteil, das wieder fliegen soll, wird etikettiert. Vermerkt sind Flugzeugtyp und Airline, die Anzahl Starts und Landungen sowie Flugstunden. Bevor ein Flügel wieder in die Luft darf, prüft ihn die gestrenge US-Flugfahrtbehörde FAA. Das Leben jeder Schraube muss offen gelegt werden. Tausende von Seiten umfasst der amtliche Datensatz jedes Flugzeugs. Erhält ein Bestandteil das FAA-Gütesiegel, wird es in Datenbanken eingetragen und über Business-to-Business-Websites weltweit gehandelt. Die meisten finden Abnehmer in Entwicklungsländern. In den USA hingegen ist der Bedarf an Ersatzteilen eingebrochen.

Alle zehn Jahre schlittere die Industrie in eine Krise, sagt Lackey, der seit dreissig Jahren Jets auseinander schraubt. Er zeichnet zwei Flügelklappen aus, die er vom Air-Canada-Jet abgetrennt hatte. Beinahe 2000 Liter Kerosin entnahm er dem «völlig ausgepumpten» kanadischen Flugzeug. Bei 747-Jets «finde» er zuweilen über 8000 Liter. Sprit, den Lackey an eine Raffinerie an der Westküste liefert, die ihn zu neuem Kerosin verarbeitet.

In den Boden-Luft-Kreislauf zurück fliesst all das, was noch ein bisschen Wert hat. Aus den mehreren Kilometern Kabel lösen die Schrottverwerter kostbaren Kupfer. Was einst die Heckflosse steuerte, sammelt künftig als Dachrinne Regen.

Aus den fensterlosen Luken der gestrandeten 737 hängt silbernes Isoliermaterial. Das Innere ist leer, nur noch Drähte führen der Decke entlang. Am Boden liegen Sauerstoffmasken sowie ein altes Frauenmagazin – als ob es die letzte Passagierin beim Ausstieg vergessen hätte.

Auf den nächsten Tag bestellt ist die Krake – den mit scharfen Schneidezähnen ausgerüsteten Bagger von Kramer. Geduldig frisst sich die Riesenschere dann durch den Flugzeugbauch und zerteilt ihn in handliche Teile. Die verschifft Kramer nach Asien. Zu streng seien hier zu Lande die Umweltauflagen für das Schmelzen von Aluminium geworden.

Nichts mit der Demontage zu tun habe wollen meistens die Fluggesellschaften. Fürs dreckige Geschäft heuern sie andere an. «Es gibt stets eine Sauerei», sagt Kramer. «Für die Airlines ist das ausgesprochen emotional», sagt er. «Für uns ist jedes Flugzeug nur ein Stück Schrott.»

Wie ein Jet demoliert wird, bestimmt allein dessen Besitzer. Das ist selten die Airline, deren Logo auf der Heckflosse prangt. Flugzeuge gehören Banken oder Leasingfirmen. Der derzeit grösste Besitzer von Flugzeugen ist GE Capital. Jumbojets kauft GE Capital für etwa 180 Millionen Dollar und vermietet sie an Fluggesellschaften für monatlich 300000.

Da momentan etliche Mietverträge für B-747s auslaufen, herrscht Hochbetrieb in Marana, einem Wüstenkaff in Arizona, acht Autostunden oder knapp 1000 Kilometer von Mojave entfernt. Das Evergreen Air Center, die weltweit grösste Wartungs-, Parkier- und Demontagefirma, hat sich auf Jumbos spezialisiert. Als Präsident amtet Trevor Van Horn, ein energetischer Grauhaariger mit Bierbauch. Er kennt sich aus in der Luftfahrt, zwei Fluggesellschaften hat er bisher gegründet.

Als «miserabel» beschreibt Van Horn den gegenwärtigen Zustand der US-Industrie. Neun Milliarden Dollar Verluste werde sie heuer einfahren. Nicht 9/11, die lahme US-Wirtschaft drücke auf den Gewinn. 80 Prozent ihres Umsatzes erzielen die Airlines mit einem Fünftel der Passagiere, den Business-Class-Reisenden. Da deren Buchungen seit Mai 2001 stetig schwinden, mussten Flüge reduziert und Flieger rezykliert werden. Firmen, die auf Vielflieger angewiesen sind, haben sich zudem Privatflugzeuge zugelegt.

Öfters gelangen daher die kleineren Pendlermaschinen in den Reisswolf
Was ein alter Flieger kostet, bestimmt die Firma, die ihn zerlegt. Diskretion ist Pflicht, Namen von Kunden sind Tabu. Umsatz wie Preise gibt die privat geführte Firma nicht preis. Für eine 747 zahle Evergreen derzeit rund 250000 Dollar, ohne Triebwerke und Fahrwerk. Verkauft werden Ersatzteile und Schrott für rund eine Million. Ein 747-Motor bringt gegen sechs Millionen Dollar, die Blackbox immerhin noch 250000 Dollar.

Die Preise werden bald fallen, sagt Van Horn, «wenn United Airlines bankrott geht». Dem weltweit zweitgrössten Carrier droht die Pleite. Insgesamt 46 Flugzeuge will United demnächst in die Wüste stellen, ein Grossteil wird demoliert.

Gut verdiene die Firma an Spezialaufträgen. So trennte sie im vergangenen Jahr bei einem Jumbojet mit einem einzigen Schnitt die Nase ab. Darin richtete eine Flugschule einen Simulator ein. Weil es rasch gehen musste, nahm sich niemand die Mühe, den Jet zuerst auszuräumen. Eine Diamantschere schnitt mitten durch das Aluminium des Rumpfes, die Türen, durch die Sessel der Businessklasse, die Küche der Erstklasspassagiere, den Kofferraum und die Kabel. Seither liegt der Körper kopflos da, die Eingeweide draussen, umgeben von Dutzenden 747-Wracks. Einsam baumelt oben rechts noch eine Sauerstoffmaske.

Eine Stunde südlich von Marana, am östlichen Stadtrand von Tucson, befindet sich der grösste Standplatz ausgedienter Flugobjekte überhaupt – die Davis-Mathon Air Force Base. Nahezu 5000 eingemottete Militärmaschinen – Kampfhelikopter, Jets oder Transporter – stehen auf dem knochenharten Wüstensand. Alle Typen, die das US-Militär in den vergangenen fünfzig Jahren flog, sind da abgestellt, in Reih und Glied, übersichtlicher und ordentlicher als auf den privaten Parkplätzen. Die US-Luftwaffe lässt hier Jets auffrischen, derzeit ein Schwadron schwarzer B-1-Bomber. Es legte Bombenteppiche in Afghanistan und soll für den Irak-Feldzug flott gemacht werden.
Reichlich Erfahrung hat die Davis-Mathon-Airbase bei der Destruktion von Fliegern.

Unter dem Abrüstungsabkommen Start I verpflichteten sich die USA, 362 Bomber vom Typ B-52 zu zerstören. Eine Guillotine köpfte bis im vorigen Jahr Flieger um Flieger. Die Überreste beliess man 90 Tage im Freien, damit russische Aufklärungssatelliten die Demontage verifizieren konnten. Nach wie vor liegen zerhackte B-52s da – als Ersatzteillager der noch fliegenden Bomber.

Ganz anders gedenken kanadische Umweltschützer künftig Jets zu entsorgen. Erstmals warfen sie heuer ein komplett ausgehöhltes Flugzeug bei Vancouver in den Pazifik. Bereits tummeln sich darin Fische. Bald soll auf dem Aluminium ein Riff wachsen. «Eine umweltfreundliche Variante», sagt Alteisenhändler Kramer. Sorgen bereiten ihm hingegen neure Jets. Die werden aus Kunststoffgemischen gefertigt – und lassen sich nicht einfach zu Cola-Dosen schmelzen.