Indiana Jones gegen Schmidheiny

Thomas Schmidheinys Zement-Konzern plant in den USA ein Werk, gegen welches sich viel Widerstand regt. In Hudson im US-Bundesstaat New York befürwortet die ärmere Bevölkerung den Bau eines riesigen Zementwerkes, die besser Gestellten wollen das Projekt verhindern. Auf ihrer Seite kämpfen auch Stars wie Harrison Ford.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Foto)

hudson_billboard_day.gif Der Hudson River schlängelt sich entlang sanfter Hügelzüge. Nichts trübt die Farbenpracht des Indian Summers, die rund ums Städtchen Hudson, drei Stunden nördlich von New York, liegt. Der Schein trügt. In Hudson tobt seit drei Jahren ein Kampf um ein Zementwerk, das die Holcim-Tochter St. Lawrence Cement (SLC) errichten will. «Alles geht kaputt, wenn die Schweizer hierher kommen», sagt der pensionierte Kinderarzt Ira Marks. «Mit fatalen Folgen für die Gesundheit.»

Sein Blick schweift über das zwischen den Catskills- und den Berk- shires-Bergen eingebettete Tal. Am Wochenende zieht es gestresste Städter aus New York City in die geschichtsträchtige Region. Längst hat der Tourismus den Zement als wichtigsten Industriezweig abgelöst.

Auch deshalb liegen sich Umweltfreunde und Holcim in den Haaren. Der von Thomas Schmidheiny kont- rollierte Zementhersteller will die reichen Sandsteinlager Hudsons bewirtschaften, mit einer enormen, mit Kohle betriebenen Zement- fabrik. Jährlich zwei Millionen Tonnen sollen in unmittelbarer Nähe des von Antiquitätenhändlern überquellenden Stadtzentrums produziert werden, auf einer Fläche von über 500 Hektaren. Der 121 Meter hohe Kamin wäre von überall sichtbar und würde täglich 55 000 Pfund Abgase absondern.

«Holcim behandelt uns so, wie amerikanische Firmen mit Entwicklungsländern umgehen», sagt Sam Pratt, der Direktor der Organisation Friends of Hudson, die 3000 zahlende Mitglieder umfasst. Er hält ein Schild in die Höhe. «Swiss Air», steht darauf. Zu sehen ist ein Kamin, der schwarzen Rauch absondert. Nach langem Widerstand ist er optimistisch: «Die Fabrik kommt nicht.»

«Die übliche Verzögerung bei grossen Projekten»

Hoffnungsvoll gab die Firma ihren Aktionären 1998 bekannt, die Fab- rik sei so gut wie gebaut. Im Jahr 2000 würden alle 17 nötigen Bewilligungen vorliegen. Das 320 Millionen Dollar teure Werk nehme 2002 die Produktion auf.

Holcim hat aber noch keine einzige Genehmigung. SLC-Pressesprecher Daniel Odescalchi beruhigt: «Die Fabrik kommt», sagt er und bezeichnet den langwierigen Prozess als «übliche Verzögerung bei grossen Projekten». Die Fakten würden die Behörden von der Umweltverträglichkeit der Fabrik überzeugen.

Im Garten fast aller Häuser stehen Schilder. Die roten «Stop SLC»- überwiegen die blauen «Support the Plant»-Tafeln. Unaufhörlich schaltet SLC Werbespots am Fernsehen, im Radio sowie Anzeigen in einer der beiden Lokalzeitungen – die andere hat sich gegen die Fabrik ausgesprochen. In den Genuss kos- tenloser SLC-T-Shirts kommen lokale Sportteams. Briefkästen sind überfüllt mit Flugblättern, die die Einwohner von den Argumenten Holcims überzeugen sollen. «Die Wasserqualität ist für uns so wichtig wie für euch», lautet eines. Ein Flyer zeigt einen dicken Städter mit einem Geldsack. «Lasst euch von den Milionarios aus New York City nicht gut bezahlte Jobs und eine starke Wirtschaft nehmen», lautet der Slogan. «Es ist absurd, wenn der Milliardär Schmidheiny den SLC-Gegnern Elitärismus vorwirft», sagt Sam Pratt von«Friends of Hudson».

Holcim sei «mehrmals der Lüge überführt» worden, sagt Stadtrat Christopher Nedwick. Unüblich harsche Worte eines gewählten konservativen Politikers in einer mehrheitlich konservativen Region.

Die Gegner sind keineswegs Ökofundis, sondern agieren professionell und argumentieren sachlich. Deren Aktion gilt als Beispiel eines wirkungsvollen Widerstands von unten. Er ist gut sichtbar und wird in Gerichtssälen ausgefochten. «Mehrere Millionen Dollar» hätten sie gesammelt, sagt Pratt, von reichen Privatleuten wie dem Medienmogul und CNN-Gründer Ted Turner und von Stiftungen.

Angeheuert wurden Topanwälte, Ingenieure, Mediziner und Umweltfachleute. Die haben das Projekt auf Herz und Nieren geprüft – und danach Klage eingereicht. Ihre Argumente erwiesen sich bisher als hieb- und stichfest – bis heute wartet SLC auf die erste Bewilligung.

Erfolg scheinen die Friends of Hudson zu haben, weil sie nicht nur Emotionen, sondern auch Fakten vorbringen. Sie belegen etwa, dass SLC eine bestehende alte Fabrik in der Nachbarstadt Hudsons schliesst, sobald die neue eröffnet wird – und bloss ein einziger neue Stelle entstehen wird. Gemäss eines Berichts der nationalen Umweltbehörde EPA verwende SLC nicht wie versprochen umweltschonende Tech- nologie. Die Luftverschmutzung würde nicht ab-, sondern um 43 Prozent zunehmen. «Wir trauen Holcim nicht», sagt Cyndy Hall. Die Musiklehrerin gründete die Gruppe «Concerned Women of Claverack». «Die Firma brach in den USA bereits viele Versprechen», sagt Hall, «das wird hier kaum anders sein.»

Es gebe mehr Befürworter als Gegner, betont SLC-Sprecher Odescalchi. «Die Gegner unterschätzen uns.» Fest steht: Die Stadt ist gespalten. Die Armen sind für, die Reichen gegen die Fabrik. «Gut Ausgebildeten ist SLC ein Dorn im Auge», sagt Kinderarzt Marks, «jene ohne College-Abschluss erhoffen sich Jobs.» Am westlichen Ende der Haupteinkaufsstrasse Warren Street wirkt Hudson recht ärmlich. Hauptsächlich Schwarze besuchen die Bar «Savoia». Aus der Flasche trink Orlando Blanks sein Bier. Er hat frei. Sonst karrt Blanks mit Lastern Zement von Kanada in die USA. «Die Gegner sind alles reiche Leute, die uns Arme arm behalten wollen», sagt er, «St. Lawrence Cement rettet Jobs.» Hudson sei stets eine Zementstadt gewesen und «muss es bleiben».

Hollywood-Stars wie Harrison Ford stellen sich dagegen

Gleicher Meinung ist Jacob Wal- thour. 30 Jahre lang arbeitete er in einer Zementfabrik, jetzt schenkt er Drinks aus. Er habe die technologische Entwicklung der Zementherstellung aus nächster Nähe mitverfolgt. «Die neue Fabrik wird viel sauberer produzieren als die alte.» Holcim mache wenigstens etwas für die Stadt, «die Antiquitätenhändler bedienen bloss die New Yorker». Zudem hofft er auf Steuersenkungen.

Höchstens ein paar Dollar gingen die Steuern zurück, sagt Pratt. Holcim habe der Stadt einen Deal abgerungen, wonach bei der Immobiliensteuer das 320 Millionen Dollar teure Werk zu bloss 8 Prozent bewertet wird. Der Rest gelte als mobil und könne jederzeit abgebrochen und woanders aufgestellt werden.

Mittlerweile haben sich Hollywood-Stars wie Harrison Ford («Indiana Jones») und Uma Thurman («Pulp Fiction»), die Schauspielerin Meryl Streep oder die Fotografin Annie Leibovitz in Inseraten gegen die Fabrik ausgesprochen. In einem Leitartikel forderte die «New York Times» jüngst New Yorks Gouverneur auf, die Gegner anzuhören und das Bauvorhaben zu stoppen. Der Gouverneur von Maine sowie Connecticuts Erster Staatsanwalt stellen sich bereits dagegen.�