Himmelsstürmer

Als Sepp ging er in die USA, als Joe wurde er reich und berühmt - der Glarner Zirkus-Unternehmer Joseph Bauer. Mit einem Knall will er sich zur Ruhe setzen.

Von Peter Hossli

Unruhig verfolgen zwei stechende Pupillen den etwas schwächlichen Wasserstrahl. «Geh doch näher ran», faucht Joe Bauer den Arbeiter an, der auf dem Hubstapler steht und mit einem Schlauch die innere Plache des blauroten Zeltes abspritzt. Sämtliche Staub- und Grasresten müssten weg. «Damit unterscheide ich mich von den Amerikaner», sagt Bauer, «bei mir ist alles stets blitzblank, right?»

Schweizer ist er geblieben, selbst nach fünfzig Jahren Amerika – Joe Bauer, der ehemalige Starakrobat auf schwankenden Masten und heutige Impressario, der mit vier Zirkuszelten durch die USA und Kanada tingelt. Englische wie schweizerdeutsche Sätze schliesst er mit «right?» oder «okay?» ab. Breit ist der Akzent in beiden Sprachen, zufällig die Grammatik.

Dennoch redet er nonstop. Knapp drei Tage dauerts bis zur Galavorstellung mitsamt Dinner für die geplante Zirkusschule von Sarasota, Florida. Noch ist nichts wie es sein sollte. Bewilligungen fehlen. Statt Bänken brauchts Tische. Der Strom soll woanders durch. Das Programm, noch lückenhaft. Bauer, im Dezember 70 Jahre alt, ist es wohl dabei. «Ich bin a problem solver, ich löse Probleme, okay».

Der eher kurze Körper wirkt bullig, das krause schwarzgraue Kopfhaar ist voll, die Haut braun gebrannt. Aus dem offenen Kurzarmhemd guckt ein grauer Büschel, in den beigen Khakis stecken muskulöse und glatt rasierte Beine, am Handgelenk trägt er die Werktags-Rolex, «nur abends binde ich die goldene um».

Joe Bauer ist wer. In Sarasota, dem Winterquartier der Artisten und Dompteure, kennen ihn alle. In seiner Garage stehen ein Rolls Royce, ein Bentley und eine Corvette. Zur Arbeit fährt er mit dem BMW-Kombi. Seine Gattin Elizabeth lenkt einen eleganten BMW 740 zum Zeltplatz. Er besitzt etliche Häuser und Apartmentgebäude – «im Gegensatz zu den anderen Zirkusleuten habe ich mein Geld früh angelegt» – und vier italienische Zelte – «niemand baut bessere Zelte als die Italiener, right» –, sagt er. Jedes kostet rund 400000 Dollar. Er hat sie Bar bezahlt. «Ich habe keine Schulden.» Die Buchhaltung? «In bester Ordnung.» Steuern zahle er ausnahmslos pünktlich.

Abbezahlt ist auch der Bus, parkiert neben dem Haus mit Umschwung. 35000 Kilometer legt er mit dem Gefährt, ausgestattet mit rosaroten Plüschsofas, einer Satellitenschüssel und einem Eismacher, jährlich zurück. Unten, im Gepäckraum, steht eine Maschine, die beim Fahren die Kleider zuerst wäscht, dann trocknet.
Fürs viele Geld hat Bauer viel gearbeitet. Gerade 21-jährig kam er nach New York.

Noch hiess er Sepp. Der famose Zirkus der Ringling Brothers, der Knie der USA, hatte ihn und einen wagemutigen Akt engagiert, für eine Saison. Zusammen mit Gattin Elizabeth und ihren Brüdern Charles und Eugen Nock kletterte Bauer «im Affengang» auf dreissig Meter hohe, schlanke Stangen. Dem Publikum stockte der Atem, als die hölzernen Masten mitsamt menschlicher Fracht am Spitz schwankten. Synchron führten die vier Artisten hoch oben Hand- und Kopfstände vor. Geschwind sprangen sie von Mast zu Mast. Fürs Finale rutschte jeder im Nu Kopf voran dem Sägemehl entgegen. Eine Frau habe vor Schreck ein Kind zu früh geboren, erzählt Elizabeth.

Das Risiko für Kopf und Kragen liessen sich die wackeren Eidgenossen fürstlich entlöhnen. 2000 Dollar die Woche erhielt Bauer damals für den Akt, was, der Inflation angepasst, über 12000 heutiger Dollar entspricht. «Wir waren die Stars», sagt er, «und konnten alles verlangen.»

Doch nicht nur der Zahltag war in der neuen Welt fabulöser als in der alten. In der Arena des Madison Square Garden von New York stieg Bauer in den Olymp des amerikanischen Showgeschäfts. Er trat mit allen auf, die Rang oder Namen hatten. Der damalige Vizepräsident Richard Nixon persönlich kam in die Garderobe, drückte die Hand der Mastenkünstlers und überreichte ihnen eine Visitenkarte mit dem Siegel des Weissen Hauses.

Den Schauspielerinnen Marilyn Monroe – «ein hübsches blondes Ding» – und Jayne Mansfield half er auf den Rücken afrikanischer Elefanten, «mit einem kräftigen Schubs aufs Füdli», sagt Elizabeth. Mit Sammy Davis jr. trat er auf, oder James Cagney. Monacos Fürst Rainier holte den Masten-Akt nach Philadelphia, wo er seine Vermählung mit Grace Kelly mit pompösen Zirkus feierlichen beging.

Der kubanische Diktator Fulgencio Battista lud die Artisten nach Havanna ein. Die Masten – anfänglich ausschliesslich Schweizer Tannenbäume, die alle sechs Monate ersetzt werden mussten – reisten per Schiff in die Karibik. Täglich 400000 Menschen strömten auf den Stadtplatz von Mexiko City, «um uns zu bestaunen». Aus dem anfänglich einjährigen Engagement war ein Lebenswerk geworden. In die Schweiz gingen Bauer und seine Frau bloss noch, um Freunde zu besuchen. 1962 bauten sie in Sarasota ein erstes Haus. Das Geld, das Bauer auf den schwankenden Stangen scheffelte legte er an, schweizerisch konservativ in Häusern.

1958 bekam er den US-Pass. «Als wir ankamen, entschieden wir uns, die USA als Heimat anzunehmen, uns voll zu integrieren», sagt Bauer. «Wir wollten richtige Amerikaner sein.» Mit Elizabeth spricht er stets noch Schweizerdeutsch. Die Kinder antworten Englisch. Gehts ums Geschäft, reden alle schweizerisch.

Seit nunmehr zwanzig Jahren steckt im Portemonnaie überdies die Mitgliedskarte der republikanischen Partei, der Partei von Reagan und Bush. Sie ist dem Pragmatiker mehr dienlich als politischer Leitfaden. Auf mancher ländlichen Stadtkanzlei löse das Parteibuch Probleme, sagt Bauer. Meist wähle er demokratisch. Er mochte Bill Clinton «sehr», gab Al Gore seine Stimme und findet Bush «faul und total unfähig», das Land zu lenken.

Er hingegen führt seinen Erfolg, «a super success, right», wie er sagt, auf eine urschweizerische Tugend zurück – Fleiss. «Ich habe für alles sehr hart gearbeitet.»
Beinahe zwanzig Jahre lang führte er den selben Akt vor, zuerst mit den Geschwistern Nock unter dem Künstlername «Nerveless Nocks», dann mit Frau, Sohn und Tochter als «Fearless Bauers». Bis er von der Stange fiel, 1970 in Cleveland. Statt nach Japan und Australien zu fliegen, lag er acht Monate lang im Spital – und begann dort eine zweite Karriere.

Bauer wurde Fernsehproduzent. Für NBC, eine der damals drei nationalen Senderketten, buchte er Zirkusartisten. Er kannte alle, in den USA und Europa. Jeden zweiten Samstag beglückte er das Publikum mit einer Fernsehgala. Einmal jährlich organisierte er das Monte Carlo Zirkusfestival, jeweils zu Weihnachten eine Zirkussendung für BBC. Einmal, es herrschte kalter Krieg, wickelte Bauer einen Wettkampf zwischen russischen und amerikanischen Artisten ab. «Die Amerikaner verloren klar», sagt er, «leider.»

Dann sei ihm des Agentendasein zu «langweilig» geworden, sagt Bauer. Just postete er 1982 ein eigenes Zelt. Nicht schlicht Zirkus Bauer, pompös JB Circus Maximus nannte er sein Unternehmen, das bis heute auf vier Zelte angewachsen ist und in den USA wie Kanada gastiert. «Wir sind grösser geworden, als wir gedacht hatten», sagt er, «jetzt wird es wohl noch eine Weile dauern bis zur Pension.»

Dem lauten Amerika bringe er den leisen Zauber der europäischen Tradition näher. Will live zeigen, was er jahrelang am Fernsehen geboten hatte. Hier zu Lande war Zirkus lange Zeit mehrheitlich schrilles Spektakel, zugeschnitten auf ein Publikum, das sich nur kurz konzentrieren kann und stets mit frischen Reizen berieselt werden muss. In drei, manchmal sogar fünf Manegen wird jongliert und gezaubert, tanzen die Bären und spaziert die Ballerina im knappen Rüschenrock übers Hochseil – alles gleichzeitig.

Er hingegen mache «Zirkus, wie der Knie in der Schweiz», sagt Bauer. Feine Nummern, in einer einzigen Manege, wo das Publikum so nahe sitzt, dass es den Atem von Pferd und Dompteur riechen kann. Es funktioniert. «Anfänglich hatten wir Mühe», sagt er, «jetzt läufts bestens.»

Sein Geschäftsmodell ist so smart wie simpel – und einträglich. Nicht einzelne Eintrittskarten, ausschliesslich komplette Vorstellungen verkauft Bauer, meist an Messen und Jahrmärkte – oder religiöse Gruppen. In Salt Lake City inszeniert er für die Mormonen, in Brooklyn für chassidische Juden, «da lassen die Artistinnen das kurze Kleidchen im Wagen», sagt er.

Bereits zu Beginn der Saison wisse er, wie viel bis Ende Jahr in die Kasse fliesst – «der Umsatz beläuft sich in Millionenhöhe, wir haben auch hohe Kosten». Kreditkarten benutze er nicht. Rechnungen zahlt er stets auf der Stelle und in Bar. Personal findet er jeweils auf den Arbeitsämtern in jenen Städten, in denen er auftritt. Im Winter, wenn nichts läuft und er in Europa neue Nummern sucht, bezahlt er so keine Löhne. Vor Jahren verkaufte er auch seine zwölf Bären und drei Elefanten. Seither muss er ausser der eigenen Familie niemanden mehr füttern.

Der Ausverkauf der Viecher schmälerte nicht nur die Fixkosten – es war auch weitsichtig. Verbissen bekämpfen Tierschützer die Tiernummern. «Löwen und Tiger werden bald ganz aus den Manegen verschwinden», klagt Bauer. Zu stark sei die Tierschutz-Lobby geworden. «Ich habe den Kampf aufgegeben.» Er habe umgestellt, weg von den schweren, hin zu artistischen Nummern, aber, sagt er, stets «höchste Qualität, gepaart mit Neuem».

Einfach sei das nicht. Artistisch habe der Zirkus die besten Jahre hinter sich. Es gebe kaum noch gute junge Akrobaten. Dutzende von Videokassetten mit Nummern stapeln sich in Bauers Büro. «Zwei, vielleicht drei sind gut, den Rest muss ich nicht mal anschauen», sagt er. Besonders stark seien derzeit die Artisten aus Kuba und Argentinien. Längst hätten sie die Russen und Chinesen überflügelt.

Seine Geschäfte tätigt Bauer am Telefon und per Fax. Er selbst besitzt keinen Computer, mag den «personal touch», Hauptsache es geht schnell. «Wenn ich mit einem mehr als zweimal telefoniere, interessiert mich sein Business nicht mehr», sagt Bauer, der sich als «realistischer Zirkusmann» beschreibt. «Ich liefere, was ich verspreche, okay?», sagt er.

Mitte September seien in Arkansas die Elefanten nicht rechtzeitig eingetroffen. Der Veranstalter habe sich bereits gefreut, Bauer einzuklagen sowie eine massive Preisreduktion einzufordern. Er unterschätzte Stolz und Kreativität des Impressarios. Über Nacht trieb Bauer eine neue Elefanten-Herde auf. «Das hat mich zwar ein Heidengeld gekostet, aber ich konnte beruhigt schlafen, right.»

Zur Ruhe setzen will er sich mit einem Knall, nochmals mit der grossen Kehle anrichten, sagt er. Triumphal gedenkt er schon bald in europäische Fussballstadien einziehen und vor kreischenden Fans wilde amerikanische Stunts präsentieren, «die heissesten Thrills», sagt Bauer. Etwa: Menschliche Kanonenkugeln durch die Luft jagen, Motorräder oder Trucks.

Danach gehe er in Pension, vielleicht in der Schweiz. «Ich könnte morgen schon dorthin zurück. Keiner würde merken, dass ich fünfzig Jahr lang weg war.»

Die Familie Bauer

Zirkusleute ehelichen Zirkusleute. «Anders geht es kaum», sagt Elizabeth Bauer, 65, geborene Nock. Sie entstammt der Aargauer Zirkusfamilie Nock und heiratete Joseph Bauer vom Glarner Zirkus Bauer. Sein Cousin ist Conny Gasser, der das Connyland und den Zirkus Conelli betreibt. Seit den sechziger Jahren lebt Toni Nock, der Neffe von Elizabeth, in den USA – und arbeitet gelegentlich für Joe Bauer. Der vielleicht bekannteste Clown der USA, Bello Nock, ist der Sohn von Eugen Nock, der einst mit Bauer und den Geschwistern Elizabeth und Charles auf schwanken Masten glänzte. Bauers Sohn Joseph Dominick, 40, wird dereinst das Familienunternehmen leiten. Tochter Elizabeth, 45, hat in die alte US-Zirkusfamilie Zerbini geheiratet. Nur Bauers zweite Tochter Amanda, 28, macht keinen Zirkus; sie leidet an Multipelsklerose.

Die Zirkusstadt Sarasota

Wenn Zirkusleute unter sich Zirkus spielen, ist das selten der Rede wert. Eher abgetakelt wirken die Kostüme an der Halloween-Party im Showfolks-Club, dem Verein der Gaukler und Schausteller, in Sarasota, in Florida. Auf der Bühne singt Elvis. Die Frisuren der Männer erinnern an die Fussballspieler der achtziger Jahren – schulterlang hinten, vorne ganz kurz –, die der Frauen an Farrah Fawcett. Goldketten hängen an manchen Hälsen.

Die wahre Geschichte des Showfolks-Clubs hängt an den Wänden – hunderte von Artistenfotos. Abgelichtet sind Akrobatinnen und Dompteure, die Sarasota zu dem machten, was es nach wie vor ist: Die Hauptstadt des amerikanischen Zirkusvolks. Angeblich jeder dritte Einwohner Sarasotas gehört dazu, zieht während des Jahres im Wohnwagen durchs Land und verbringt hier die warmen Winter. Auch Tiere mögen das milde Klima Floridas.�