Schwule an adliger Stelle

Ehen von gleichgeschlechtlichen Paaren werden in den USA hoffähig. Jetzt ehrt sie die «New York Times»

Von Peter Hossli

Daniel Gross und Steven Goldstein schreiben amerikanische Geschichte. Die beiden New-Yorker sind schwul und «just married». Feierlich gaben sie einander im September das Jawort – und zwar öffentlich. Detailliert beschrieb die «New York Times», wie der Finanzexperte Gross den Berater Goldstein traf. Sie fanden sich per Inserat und ehelichten sich zivil im Bundesstaat Vermont. Ein Rabbi nahm ihnen später das Gelöbnis ab.

Erstmals überhaupt bereicherte damit das Weltblatt «New York Times» seine beliebten Eheanzeigen im sonntäglichen Gesellschaftsbund mit einem homosexuellen Paar. Das soll Courant normal werden.

Dies teilte Chefredaktor Howell Raines der Leserschaft frühzeitig mit, vorsichtigerweise schon im August in einer nüchternen Stellungnahme. Damit anerkenne die Zeitung den «Nachrichtenwert eines wachsenden und sichtbaren Trends», schrieb Raines. Nämlich «dass schwule und lesbische Paare ihre Verbundenheit vermehrt öffentlich feiern». Mit Festen, die wichtig seien für «viele unserer Leser, deren Familien und deren Freundinnen».

Nicht jedermann kommt in die heiligen Spalten der «New York Times». Wer seine zwischemenschlichen Bindungen öffentlich machen will, muss aus besonderem Holz geschnitzt sein. Es zählen angeblich einzig die Errungenschaften für die Gesellschaft. Homosexuelle Paare werden laut Haines unter denselben strikten Richtlinien berücksichtigt wie heterosexuelle.

Ein Schrei der Entrüstung hallte durchs Land. Die Argumente blieben schwach. Die Konservative du jour, die Bestsellerautorin Ann Coulter, bezeichnet es als «peinlich», «lächerlich» und «Parodie», jeweils sonntags homosexuelle Partnerschaften mitsamt Hochzeitsfotografie zu veröffentlichen. «Was soll denn das?», fragte Coulter in einer TV-Talkshow genervt. «Schreibt die «Times», welcher der beiden seinen Namen behalten wird?» Die Heiratsanzeigen würden der angestrebten Gleichberechtigung einen Bärendienst leisten.

Hocherfreut äusserten sich hingegen Homosexuelle. «Endlich sagt die «New York Times», wir sind gleich», so der schwule Aktivist Harlan Pruden, der im vergangenen Juni auch in Vermont geheiratet hat. Der nordöstliche Bundesstaat ist nach wie vor der einzige Ort der USA, wo gleichgeschlechtliche Paare eine zivile Verbindung eingehen können. Die Ehebünde in der «Times» seien wichtig, weil sie eine gesellschaftliche Richtung aufzeigten.

NYT-Chefredaktor raines betont, sein Blatt betrachte die Debatte über die Homo-Ehe nicht als abgeschlossen. Die amerikanische Gesellschaft bleibe gespalten, was die rechtliche und religiöse Definition einer Ehe betreffe. Das werde weiterhin «neutral und von allen Seiten» erörtert, schreibt Haines.

Was den aufrechten Teil des Establishments entrüstet, feiern Schwule und Lesben als Durchbruch im Ringen um gesellschaftliche Akzeptanz. Denn wer in den Heiratsanzeigen der «New York Times» aufgeführt wird, der gilt etwas. Keine Seite der gewichtigen Sonntagsausgabe wird besser beachtet.

Nach wie vor gilt als Mysterium, was denn unter den «gesellschaftlichen Errungenschaften» verstanden wird, die ein Ehepaar in die Spalten bringen oder ein anderes nicht unberücksichtigt lassen. Als «einzige Träger amerikanischer Adelstitel» bezeichnete die «National Review» Männer und Frauen, die dies schafften. Nirgendwo träten Klassenunterschiede deutlicher zu Tage. Bloss 16 Prozent der Anfragen akzeptiert die Redaktion.

Offiziell werden alle Einsendungen gleich behandelt. Beste Chancen haben laut dem Medienmagazin «Brill’s Content» Braut und Bräutigam, wenn sie an Elite-Universitäten studierten. Wenn sie gut bezahlte Posten besetzen sowie soziale oder uneigennützige Leistungen vorweisen. Wie zum Beispiel die beiden Schwulen Daniel Gross und Steven Goldstein. Zwei Schwiegersöhne, wie sie sich jede Mutter wünscht.

Als Bankier finanziert der 32-jährige Gross weltweit Kraftwerke und Pipelines. Zuvor studierte er Wirtschaft und Umweltmanagement an der Yale University. In Thailand unterrichtete er zeitweilig das Fach Umweltschutz. Seine Mutter leitete eine Mantelfabrik in Chicago, der Vater war Teilhaber einer Anwaltskanzlei.

Zeigen lassen kann sich auch sein Gatte Steven Goldstein, 40. Der besitzt eine Beraterfirma und hat vor zwei Jahren einem politischen Novizen den Sprung in den US-Senat ermöglicht. Studiert hat Goldstein in Harvard und an der Columbia University. Die Mutter arbeitet bei einer Stiftung für Behinderte. Dem Vater gehört eine Firma, die Gerichtstranskripte erstellt. Ein Paar, über das zu lesen sich lohnt.

In den Jubel über die wegweisende Öffnung der «New York Times» mischen sich auch kritische Stimmen. Die vormals rebellischen Homosexuellen würden damit vom Mainstream vereinnahmt, sagt die New-Yorker Dokumentarfilmerin Leane Clifton, «eine langjährige Lesbe». Schwule plagten zudem wichtigere Sorgen, wie die verbreitete Gewalt an Schwulen und Lesben oder die schrumpfende Aidsforschung.