Von Peter Hossli
Der Mann ist mächtig, und er lässt es jeden spüren. Nicht im Büro empfängt er den Reporter, sondern im Konferenzraum mit dem langen Eibenholztisch und den Ölbildern, gemalt von Miles Davis. «Bevor Sie irgendwas notieren, merken Sie sich zwei Dinge», sagt Peter Shukat, der an diesem casual Friday weder Hemd noch Krawatte trägt. «Dieses Interview erscheint ausschliesslich in FACTS. Ich mache das nur, weil Claude Nobs mich darum gebeten hat», sagt er schroff. «Reissen Sie meine Zitate nie aus dem Zusammenhang, ich wiederhole: Nie.»
Aus dem ovalen Kopf funkeln grosse Augen, das kurze Haar ist nach hinten gekämmt. Am Arm trägt der so einschüchternde wie einnehmende Mann eine goldene Rolex. «Warum wollen Sie überhaupt mit mir sprechen? Ich bin bloss ein Anwalt. Das ist völlig uninteressant.» Ein Anwalt, der von einem bescheidenen Büro an New Yorks 57. Strasse aus die Nachlässe einiger der berühmtesten Musiker und des einflussreichsten Malers des 20. Jahrhunderts verwaltet. Der medienscheue Jurist vertritt die Erben von Pablo Picasso, Bob Marley, Jimi Hendrix, Miles Davis und John Lennon.
Im schmalen Eingang der hellen Suite im 11. Stock hängen Zeichnungen von Lennon. Erneut insistiert Shukat. «Miles ist eine Story, Jimi ist eine Story oder Yoko Ono, Bob ist eine Story», sagt er, «ich bins nicht.» Vor jeder Antwort hält er inne, überlegt lange, spricht zurückhaltend, fast ängstlich. Er sorge sich einzig um die Interessen seiner Klienten – dass die Urheberrechte ihrer berühmten Vorfahren nicht verletzt würden; dass Verträge in Ordnung seien; oder dass Tantiemen bei Neuveröffentlichungen rasch flössen.
So löste er die komplexen rechtlichen Verstrickungen um Miles Davis zwischen Sony und Warner Music. Dies erst ermöglichte die jetzt erschienene 20-CD-Box «The Complete Miles Davis At Montreux», zu der FACTS-Jazzkritiker Nick Liebmann den Begleittext verfasste. Gerüchte, wonach die kinderreiche – und angeblich geldgierige – Erbengemeinschaft von Davis die Veröffentlichung der Sammlung forcierte, kommentiert Shukat nicht. Die Montreux-Box sei eine Idee von Festival-Impresario Claude Nobs gewesen.
Weil der 1991 verstorbene Davis zu Lebzeiten seine Musik sowohl bei Sony-Vorgängerin Columbia als auch bei Warner veröffentlicht hatte, müsse bei Live-Editionen mit beiden Firmen verhandelt werden, sagt Shukat. «Die zwei Labels hätten die Box blockieren können.» Zum Erfolg geführt hätte er die harten Verhandlungen, «weil ich gute Beziehungen zu den Firmen unterhalte». Wer in dem Geschäft etwas wolle, brauche wenig, sagt der Tiefstapler. «Beziehungen reichen da vollends.»
Jahrelang hätten verschiedene Parteien das Projekt diskutiert. «Alle waren sich einig: Die Box könnte gut werden», sagt er. Im Übrigen würde die Konzert-Kollektion Musikliebhaber, das Montreux Jazz Festival sowie Sony und Warner bestimmt beglücken. «Natürlich liegt sie auch im Interesse von Miles», sagt Shukat, der Davis seit 1974 juristisch vertritt. «Er hätte sie gemacht», sagt Shukat, die tiefe Stimme diplomatisch gesenkt. Dann verschränkt er die Arme und steckt die Hände unter die Achseln. «Miles schaute stets nach vorn. Es wäre sicher nicht einfach gewesen, ihn davon zu überzeugen.» Ein gerissener, aber ehrlicher Anwalt.
«Mein Wort ist alles, was ich habe», beschreibt er sein Erfolgsrezept. Nie habe ihn ein Kunde verlassen, «weil ich ihn verarscht hätte», sagt er. Einer ging mal, weil er nicht zweisprachig ist. Es spreche sich in der Branche schnell rum, «wenn einer einen übers Ohr haut», sagt Shukat, der auch die Hip-Hop-Soul-Sängerin Lauryn Hill und Songwriter-Legende Leonard Cohen juristisch vertritt und an der Brooklyn Law School Entertainment Law unterrichtet.
Rund 50 Entertainer hat die von ihm mitbegründete Anwaltskanzlei Shukat, Arrow, Hafer & Weber unter Vertrag. «Klienten erhältst du ausschliesslich über Empfehlungen», sagt Shukat. «Ein Musiker braucht einen Anwalt, er fragt einen Kollegen, der empfiehlt dich. Über die Jahre holst du dir einen gewissen Ruf.»
Shukat hat den besten Ruf in der Branche. Er begann vor 33 Jahren, hatte eben das Studium abgeschlossen und «war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort». Sein älterer Bruder Scott sei angefragt worden, ob er einen Juristen kenne, der das damals noch eher nebensächliche Thema Urheberrecht beherrsche. «Mein Bruder kannte mich», sagt Shukat trocken.
Einmal fehlte er wegen einer Blinddarmoperation, doch abgesehen davon hätte er seither keinen Arbeitstag verpasst. «Um in dieser Industrie zu bestehen, braucht es viel Glück, sehr viel Glück, sowie eine integere Reputation», sagt Shukat. «Die wichtigste Qualität ist es aber, auf Leben und Tod für die Interessen deiner Klienten zu kämpfen.» Kämpfen bedeutet schweigen. Bei vielen Fragen beruft er sich aufs Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient. «Glauben Sie mir, ich kenne viele tolle Anekdoten», sagt Shukat und lächelt erstmals. «All die Geschichten spare ich mir für meine Memoiren auf», sagt er. «Ein grossartiges Buch, das nie geschrieben wird.» So verrät er nicht einmal, wie viele Personen Davis’ Erbengemeinschaft umfasst. Stattdessen eine juristische Floskel: «Es sind alles Nachkommen von Miles. Jene Leute, die die Rechte an seiner Musik und seiner Kunst besitzen.»
Stolz erzählt er von zwei Originalbildern, die ihm Davis einst schenkte und die heute in seinem Haus auf Long Island hängen. Er schätze die Kunst seiner Künstler. «Ich war 19, als die Beatles berühmt wurden», sagt er, «wie konnte ich die Beatles in diesem Alter nicht mögen?» Mit der heutigen Musik seis schon schwieriger. «Ich werde älter und habe manchmal Mühe mit neuer Musik.» Verändert hätte sich das Geschäft allerdings kaum. Gute Musik bleibe gute Musik, sagt Shukat. Umgekrempelt hätten die Branche aber das Internet und die CD-Brenner. «Es ärgert mich extrem, wenn die Musik meiner Klienten gratis zugänglich wird.» Jene Leute, die die digitale Technologie erfunden haben, würde er nicht an eine Party einladen. «Diebe mag ich nicht.»
Zum Ende des Gesprächs stellt Shukat nochmals Bedingungen. «Bevor Sie etwas drucken, will ich Fakten und Zitate prüfen.» Zu viel Blödsinn würden Journalisten schreiben. «Sie können tun, was Sie wollen, aber als Arschloch mag ich nicht daherkommen», sagt er – und schmunzelt.
Perfekt passt das Klischee von der harten Schale und dem herzlichen Kern. Schliesslich führt er den Reporter doch noch ins Büro. Es ist behangen mit Gold- und Platinplatten der Beatles, von Marley, Davis und Hendrix. Spätestens hier wird deutlich, was er alles bewegt. «Das sind bloss Mitbringsel der Plattenfirmen», winkt er ab. Wirklich stolz präsentiert er nur den Comicstrip, der ihn, den Baseball-Fan, als Baseball-Star zeigt. Und wirklich wichtig scheinen ihm nicht all die Stars zu sein, sondern seine Enkelinnen. Ihre Fotos hat der taffe Anwalt gerahmt auf dem Kaffeetisch stehen.