Gelobt wird, wer hart ist

Nach dem 11. September will Amerika nur noch eines: Starke Männer, die zupacken.

Von Peter Hossli

Täglich erzählt die «New York Times» über ein Dutzend Lebensgeschichten. Sie enden allesamt am 11. September. Mit Nachrufen ehrt das noble Blatt sämtliche Opfer der Terrorattacken aufs World Trade Center und das Pentagon. Eines fällt dabei auf: Unter den Toten befinden sich markant mehr Männer als Frauen, oft im krassen Verhältnis dreizehn zu eins. Obwohl fast so viele Frauen wie Männer in den Türmen wirkten.

Wie einst auf dem sinkenden Debakeldampfer Titanic, geht eine der Erklärungen, liessen hehre Herren holden Damen im engen Treppenhaus den Vortritt. Andere Männer, etwa Feuerwehrleute und Polizisten, stürmten zu Hunderten wagemutig in die brennenden Wolkenkratzer und «retteten Zehntausenden das Leben», so der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani. Selbstlos starben sie.

Es sind «Helden, grösser und stärker als die eingestürzten Türme», pries Giuliani seine Mannen. Durchwegs sind die Helden Männer, maskulin und muskulös.

Neue Männer hat das Land.

Vergessen, verdrängt und verpönt die geldgierigen Weicheier der neunziger Jahre, die doch recht faulen und meist dumpfen Internet-Millionarios und Börsensüchtigen. Auch die BMW-Fahrer und die Prada-Spiesser. Ein Mann, lässt uns die Post-Spassgesellschaft bereits wissen, ist nur dann ein Mann, wenn er Rückgrat zeigt, berechenbar ist und wirklich selbstlos agiert. Einer etwa, der mit 50 Kilogramm schwerer Gerätschaft am Rücken qualmende Stufen hochrennt, nach Überlebenden sucht und allen sagen kann, wo sie sicher sind. Oder einer, der sich mit zuvor wildfremden Gleichgesinnten zusammenrauft und aufopfernd suizidale Flugzeugentführer attackiert.

Mann, so scheint es, darf und soll in Amerika wieder Mann sein. Daran Gefallen finden nicht zuletzt konservative Geister. Deren jahrelanges Misstrauen gegenüber dem Sanften scheint bestätigt.

Am lautesten und zuallererst trompetete die einstige Redenschreiberin von Ronald Reagan, Peggy Noonan, die Losung vom neuen Mann. Ur-Cowboy John Wayne sei glücklicherweise auferstanden, schrieb sie in einem weit herum beachteten Leitartikel im «Wall Street Journal».

Wayne, der potente wie stille Held, den allein Taten, nicht leere Worte auszeichnen. Linke, die Friedensfritzen, Intellektuelle und Feministinnen hätten ihn in den Siebzigern regelrecht zur Stecke gebracht, schreibt Noonan. An dessen Stellen trat Wicht Woody Allen, der ängstliche Mädchenmann, der zwar endlos Ängste bereden kann, «jedoch nichts dagegen tut». Ähnlich argumentiert die konservative Denkerin und Professorin Camille Paglia. Die neuen Männer seien «stoische und patriotische Arbeitertypen», sagt sie. «Sie nehmen kein Prozac, und sie zweifeln ihr Geschlecht nicht an.»

Allenthalben fliesst Testosteron. Robuste Mannsbilder geben den Ton an, als beherzte Retter, waghalsige Kampfpiloten, kühne Kriegsreporter. Etwa Geraldo Rivera. Der beliebte und besonnene TV-Talker von CNBC nahm eine heftige Lohneinbusse in Kauf – um für Konkurrent Fox News in Afghanistan männlich über den entfernten Krieg berichten zu können. Sogar die sonst schmalbrüstigen Politiker hauen die Faust auf den Tisch. «Um Gottes willen», fauchte der Demokrat Dick Gephardt ins Mikrophon, «macht endlich die Flughafen sicherer.»

War Taff- und Rauhsein vor 9-11 primär ein Attribut für Wochenendlenker von Geländewagen, strahlen nun die taffen Burschen und rauhen Kerle im Rampenlicht. Schrieb das «Wall Street Journal» im August, ein Mann von Welt würde seine Körperbehaarung mehrheitlich entfernen, sind buschige Schnäuze und dichtes Brusthaar plötzlich angesehen.

Amerikanische Kinder wollen Feuerwehrmänner werden. Typisch männliche Berufe wie CIA-Agent, Polizist und Berufssoldat verzeichnen nun enormen Zuspruch. Dreihunderttausend Männer bewarben sich für offene Stellen als Air Marshals. Undercover-Rambos, die unerkannt in Passagierfliegern mitfliegen und im Notfall Entführer niederstrecken.

Gefragt in der jetzigen Krise sind überdies Vaterfiguren wie sie die USA seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr wollte. Die Popkultur liefert sie. So lancierte «New York Times» eine Werbekampagnen mit Gemälden von Norman Rockwell, jenem Künstler also, der das traditionelle Männerbild – Krieger, Beschützer, Ernährer, liebevoller Patriarch – wie kein anderer ins US-Bewusstsein pinselte. Dem Vater aller Amerikaner, Bürgermeister und Übermensch Rudy Giuliani, widmet der als Seismograph der US-Unterhaltung geltende TV-Kanal HBO ein heldenhafter Dokumentarfilm.

Unverblüht hat Hollywood angekündigt, man werde sich dem Kriegseffort der Regierung anschliessen. Die Filmer orientieren sich klar am Männerbild der Filme während des Zweiten Weltkrieges. Etwa am vorerst zynischen, desinteressierten, dann aber patriotischen Rauhbein Humphrey Bogart in «Casablanca».

Zuweilen gibt der männliche Schweinehund, der jetzt raus darf, ein unschönes Bild ab. Fäuste flogen, nachdem die Stadt entschied, ab sofort weniger Feuerwehrleute beim Ground Zero zu beschäftigen.

«Unglaublich primitiv» hätten sich Feuerwehrleute und Polizisten an dem ihnen gewidmeten Konzert im Madison Square Garden aufgeführt. Stockbesoffen begrapschten sie Frauen. Zuweilen rüde Pissoirsprache prägte die live übertragene Show. «You can kiss my fat Irish ass, bin Laden», schrie ein Feuerwehrmann ins Mikrophone. Tausende jubelten. Hilflos liess der TV-Regisseur den Rowdy gewähren. Tabu, den Helden das Wort abzuschneiden. Enthemmt buhten viele, als Schauspieler Richard Gere – noch immer schön, nach 9-11 aber klar vom Typ Antimann – eine gewaltlose Antwort auf die Gewalt forderte. Verstört trat Gere ab.

Herber noch traf es Senatorin Hillary Clinton. «Go home, bitch», begrüssten Feuerwehrleute die als Feministin bekannte Politikerin. Die US-Presse ignorierte solch respektlose Akte weitgehend.

Frauen fehlt derzeit ohnehin die Stimme. Komplett unter geht deren ebenso unermüdlicher Einsatz. Männer haben das Heldentum für sich allein gepachtet. Berichteten hiesige Medien bei anderer Gelegenheit stets über wagemutige Soldatinnen und Kampfpilotinnen, zeigt sie heuer kein Sender. Bis jetzt sind Frauen bloss als Opfer – Witwen oder misshandelte Afghaninnen – Teil der Geschichte.

Viele Frauen fürchten einen Backlash. Der Angriff aufs World Trade Center war ein barbarischer Massenmord. Der Untergang der Titanic ein katastrophaler Unfall. Was die Geschlechterrollen betrifft, gibts Parallelen. Kaum war die Titanic abgesoffen, erschienen in den USA Artikel gegen die Gleichberechtigung der Frauen. Ganz nach dem Motto «Gleiche Rechte, gleiche Pflichten». Der Vorzug bei den Rettungsbooten beweise die Ungleichheit der Geschlechter, sagten Frauengegner. Das Dasaster nützte vor allem den Gegnern des Frauenstimmrechts.

Vor einem erneuten Rückschritt warnt jetzt die Friedensforscherin der Harvard University Swanee Hunt. «In Ländern, in denen man nicht auf die Frauen hört, blüht traditionell extremer Fanatismus.»