Von Peter Hossli
Nicht mehr bloss Mama und Papa und ein Kind, sagte die New-Yorker Senatorin, sondern auch zwei Männer oder zwei Frauen können eine richtige Familie sein: Hillary Clinton kratzte ganz öffentlich am Urbild der trauten amerikanischen Familie.
Und kaum jemand widersprach der einstigen First Lady. Hatten bis vor kurzem noch prüde Moralprediger gegen Schwule und Lesben gewettert, herrscht plötzlich aufgeschlossene Einigkeit: Lebenspartner von homosexuellen Opfern der terroristischen Attacken vom 11. September, verlangen nun selbst konservative Politiker, müssten genauso behandelt werden wie Angehörige konventioneller Familien. Es gehe nicht an, wenn Schwule und Lesben bei der Verteilung finanzieller Hilfeleistungen jetzt benachteiligt würden, sagte Ethikprofessorin Jean Elsthain. Das ist die gute Geschichte der Tragödie.
Die schlechte ist, dass schätzungsweise 100 Homosexuelle in New York und Washington ihre Partner verloren haben. Umgehend reagierte der Gouverneur von Kalifornien, Gray Davis. Im Beisein von Paul Holm unterzeichnete er letzte Woche ein neues Gesetz, das homosexuelle Beziehungen regulären Ehen beinahe gleichstellt. Ein ebenso wichtiger wie symbolischer Akt. Denn Holms langjähriger Lover Mark Bingham starb am 11. Sep-tember auf dem Flug United Airlines 93 von Newark nach San Francisco. Mittlerweile weiss die ganze Nation, dass der bullige schwule PR-Angestellte Mark Bingham jener verwegenen Truppe von Passagieren angehörte, die wagemutig Terroristen angriff und den Jet, der das Weisse Haus hätte angreifen sollen, über einer kahlen Wiese in Pennsylvania zum Absturz brachte.
Schwul war auch das vielleicht erschüt-terndste Opfer der Attacke, Mychal Judge. Der Feuerwehrkaplan war gerade dabei, für getötete Feuerwehrkollegen zu beten, als ihn Trümmer des einstürzenden World Trade Center erschlugen. Die Medien reagierten. «Schwule sind Amerikas neue Helden», lautete die Schlagzeile eines CNN-Berichts.
Der emotionale Boden für die Gleich- behandlung gleichgeschlechtlicher Paare dürfte also geebnet sein. So wurde der Gründer der ultrarechten Organisation Traditional Values Coalition, Reverend Louis Sheldon, massiv angegriffen. Er hatte verlangt, gespendetes Geld dürfe nur an «Männer und Frauen verteilt werden, die verheiratet waren». In einem Leitarti-kel verlangte ein Autor der «Chicago Tribune», Gott sollte den Reverend verklagen.
In New York wies Gouverneur George Pataki das Crime Victims Board an, schwule und lesbische Lebenspartner gleichberechtigt zu unterstützen. «Die Terro-risten attackierten Amerikaner», liess Pataki seinen Sprecher ausrichten, «die sexuelle Orientierung war denen egal.» Unternehmen wie die Bank Morgan Stanley erklärten sich umgehend bereit, homosexuellen Angestellten Hilfe zu bieten.
Unklar bleibt jedoch, wie der Bundesstaat New York nun tatsächlich verfährt. Bis Dezember muss Staatsanwalt John Ashcroft die Regeln für die Verteilung von 15 Milliarden Dollar aufstellen. Ein Teil davon geht an Angehörige der Betroffenen. Ashcroft, ein Konservativer, dürfte bestehendem Recht folgen. Ohne Ehelizenz oder Eintrag ins Testament, lautet das Gesetz, existiert keinerlei Verbindung zwischen zwei Personen. Kommt es deswegen zur Ausgrenzung der neuen Helden, dürfte das landesweit Entrüstung hervorrufen.�