Von Peter Hossli und Christiane Binder
Auch in der berühmten amerikanischen Comedy-Serie «Saturday Night Live» ist nichts mehr, wie es war: In der mit Spannung erwarteten ersten Ausgabe nach der Katastrophe verzichtete SNL zum ersten Mal in seiner 27-jährigen Geschichte auf den Sketch zum Start. Stattdessen pries der New-Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani in pastoralem Tonfall die tapferen Polizisten und Feuerwehrleute. Paul Simon sang die besinnliche New-York-Ballade «The Boxer». Es folgte pubertärer Humor wie aus der Umkleidekabine. Ein auf einer Robinson-Insel Gestrandeter riss schale Witze über Sex mit Fischen – ungewohnt geistlos für den TV-Satire-Klassiker, der eigentlich meilenweit über dem üblichen Serien-Comedy-Schrott thront und Stars vom Schlage eines Jim Belushi, Dan Aykroyd oder Eddie Murphy hervorbrachte.
Nur das «Weekend Update», das aktuelle Ereignisse satirisch aufbereitet, widmete sich dem 11. September. Es ging um die Mafia, die nun Giulianis Aufruf, den Alltag wieder aufzunehmen, befolge und die Stahlträger des eingestürzten World Trade Center einsammle. Man verglich Osama bin Laden mit Hitler. Gefolgt von einer Persiflage auf Jesse Jackson, den schwarzen Bürgerrechtler, der beabsichtige, in Afghanistan mit den Taliban zu verhandeln. Dabei bliebs. Amerika, die Wiege der Stand-up-Comedy, versteht keinen Spass mehr.
Wenn Witze zu dem heiklen Thema gerissen werden, dann vorerst nur in Europa. Ein Amerikaner und ein Afghane spielen Schach. Wer gewinnt? Der Afghane natürlich. Dem Amerikaner fehlen schliesslich zwei Türme. Da lässt sich sogar noch eine Pointe draufsetzen: Stimmt, aber der Afghane hat bald keine Bauern mehr …
Zögernd zunächst, dann immer schneller kursierten die Terror-Jokes auch in Schweizer Büros und Kantinen. Was ist der neue Slogan der American Airlines? «Wir fliegen Sie direkt ins Büro.» Und wie lautet der neue Name der Fluggesellschaft? Antwort: NBC – «Never Come Back».
Bei aller Beisshemmung gegenüber Tod und Leichen auch in Europa: Es darf wieder gelacht werden. Welche Bandbreite möglich ist, zeigen die Profi-Spassvögel aus dem Fernsehen. Kalauer gegen den triefenden Betroffenheitskitsch feuert das deutsche Enfant terrible Ingo Appelt ab. Was fällt ihm derzeit im Flugzeug ein? «Einmal 34. Stock, bitte!» Und seit Tagen gehe ihm der verballhornte Harry-Belafonte-Ohrwurm nicht aus dem Kopf: «Hey, Mister Taliban, telly me bin Laden».
Bei so viel Gift und Galle fühlt sich zwar mancher auf den Schlips getreten. Doch auf der anderen Seite hat auch wieder die Stunde des Kabaretts der alten Schule geschlagen. Wie übersteht der brave deutsche Bürger die wieder eingeführte Anti-Terror-Rasterfahndung ohne Ärger? Wenn die terroristischen Schläfer schon pünktlich ihre Rundfunkgebühren bezahlen, hilft nur der Umkehrschluss – vom Kabarettisten Dieter Hildebrandt in dessen Sendung «Scheibenwischer» empfohlen: «Hören Sie auf, Ihre Steuern zu zahlen.» Ähnlich spitzzüngig spiesst Ingo Appelt den Aberwitz des politischen Alltags nach der Katastrophe auf. Sein Kommentar zur Erhöhung der Tabaksteuer in Deutschland zur Finanzierung der Anti-Terror-Massnahmen: «Jetzt fehlt nur noch der Aufdruck auf den Zigarettenschachteln: Rauchen verursacht Krieg. Der Rauch dieser Zigarette tötet Sie und einen Afghanen.»
Genau für diese Art von doppelbödigen Scherzen war bisher das amerikanische Satire-Magazin SNL berühmt. Doch jetzt bleibt sogar der bisher stets mit beissender Ironie überschüttete Präsident George W. Bush ungeschoren. Diesem passt jedoch die neue Zahmheit auch aus anderen als Pietäts-Gründen in den Kram.
Die Krise bietet manchem amerikanischen Funktionsträger die willkommene Gelegenheit, subversive Witzbolde für einmal mundtot zu machen: Als sich Bill Maher in der Satiresendung «Politically Incorrect» über das Vorgehen der USA gegen die Terroristen mokierte, wurde er vom Weissen Haus sofort massiv angegriffen. Amerikaner müssten «aufpassen, was sie sagen, aufpassen, was sie tun», warnte der Pressesprecher des Präsidenten, Ari Fleischer. Eingeschüchtert stoppten Karikaturisten ihre Bush-Cartoons. Barbra Streisand entfernte Despektierliches über Bush von ihrer Website.
Die amerikanischen Profi-Spassmacher üben bis auf Weiteres den nationalen Schulterschluss: Am 8. Oktober trifft sich die Komiker-Crème in der Carnegie Hall zum «Stand Up for New York». Statt Witze zu reissen, sammeln Leute wie Jerry Seinfeld, Bill Cosby oder Will Ferrell jetzt für Witwen und Waisen.�