Von Peter Hossli
Beflissen nahm Martina Hingis Rücksicht auf den Feiertagskalender. Nicht etwa am trauererfüllten Karfreitag, sondern in der Nacht vor Ostern, einem Freudentag, gab sich das Tennisass erstmals ihrem neuen Geliebten hin. Dabei war Christopher Calkin, 31, assistierender Staatsanwalt am Bezirksgericht von Miami, bereits tags zuvor nach Tampa geflogen, dem amerikanischen Wohnsitz der 20-jährigen Trübbacherin.
Akt und Trip sind jetzt eidesstattlich.
Sie könnten Hingis vor Gericht bald mehr Ärger eintragen als die Niederlagen gegen die Geschwister Williams auf Gras- und Hartplätzen. Der Schweizerin droht ein langwieriges juristisches Nachspiel und – schlimmstenfalls – eine Gefängnisstrafe.
Ihr Freund Calkin amtete als leitender Ankläger im Prozess gegen den australischen Tennisfan Dubravko Rajcevic, 46. Der einstige Kroate himmelt Hingis seit Jahren an. Er folgte ihr in die Schweiz und schickte Geschenke sowie bunte Sträusse nach Tampa, mitsamt blumigen Liebesbekenntnissen. Letztes Jahr wurde er am Tennisturnier von Miami Beach verhaftet und diesen Frühling zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Hingis selber trat als prominente Zeugin auf.
Im Gerichtssaal hätten sich Calkin und Hingis verliebt, vermutet der Anwalt von Rajcevic, Frank Abrams. Deshalb sei der Ankläger befangen, die Zeugin verwirrt und sein Klient infolgedessen benachteiligt gewesen. Ergo müssten Prozess und Urteil für nichtig erklärt werden.
Calkin insistierte stets, die Verbindung habe erst nach Prozessende angefangen. Aus Hingis’ persönlichem Umfeld ist nichts Genaueres zum Verlauf der Beziehung zu erfahren. «Ich kann bestätigen, dass Calkin vor, während und nach dem Prozess mit Martina Kontakt hatte, weil er sie als seine Zeugin vorbereiten musste», ist von Hingis’ Manager Mario Widmer einzig zu vernehmen. Die jüngste Entwicklung im Fall quittiert er mit einem «No comment».
Eröffnet wurde der Fall vorletzte Woche vom zuständigen Richter Kevin Emas, und zwar auf Abrams’ Geheiss. Dieser befragte Staatsanwalt Calkin unter Eid zu dessen Liebschaft mit Hingis. Auf Grund der pikanten Aussagen wird der Richter nun entscheiden müssen, ob der Verdacht auf unangemessenes Verhalten tatsächlich besteht. Abrams ist davon überzeugt. «Es liegen genug Beweise vor, um einen neuen Prozess zu bekommen», sagt er. Ein Blick auf die Zeitachse reiche. «Die Liebe begann, als der Prozess im Gang war.»
Am Abend des 12. April 2001, einem Gründonnerstag, verkündete der Richter das Urteil gegen Rajcevic. Bereits am nächsten Morgen, gab Calkin eidesstattlich zu Protokoll, reiste der zuständige Ankläger nach Tampa und nächtigte in der Villa von Hingis. Am Samstag, dem 14. April, begann die «körperliche Beziehung», wie Abrams Calkins Antwort schildert. Sie dauere nach wie vor an, sagte Calkin weiter.
«In weniger als 48 Stunden nach Prozessende begannen die beiden eine körperliche Beziehung», sagt Abrams. «Es ist doch unmöglich, dass es nicht bereits während des Verfahrens knisterte.» Nur darum sei Calkin nach Tampa gereist. Überdies habe Hingis dem dürftig entlöhnten Staatsdiener – Jahresgehalt vor Steuern: 39 500 Dollar – im Juni ein Flugticket in die Schweiz bezahlt. So erzählt es Calkin selber. Staatsanwälten in Florida ist es aber verboten, Geschenke von Zeugen anzunehmen, und zwar ohne zeitliche Limite. Calkin, der mittlerweile den Fall abgegeben hat, droht wegen Verletzung der Standesregeln angeklagt zu werden. Der nächste Gerichtstermin zum Fall ist auf den 24. September angesetzt.
Der Richter werde abwägen, was schwerer wiege, beurteilt die New-Yorker Anwältin Ayako Nagano den Fall. Die Pflicht des Staates, dem Angeklagten eine faire Untersuchung zu garantieren, spreche für eine Neuansetzung des Prozesses. Allerdings, sagt Nagano, handle es sich hier nicht um eine illegale Beziehung zwischen Anwalt und Klientin – Hingis war ja bloss Zeugin. «Rein technisch» sei die Beziehung überdies erst nach der Urteilsverkündung «richtig vollzogen» worden.
«Die Hürde für Rajcevic scheint ziemlich hoch zu sein», sagt der Rechtsprofessor an der Universität von Florida, Joseph Little. Abrams müsse beweisen können, dass die Liebe zu Calkin die Schweizerin zum Meineid verleitet habe. Log sie wirklich, droht ihr Gefängnis. Hingis wurde laut Abrams nun zu einer Befragung eingeladen, soll aber wegen ihres stark befrachteten Programms abgesagt haben. Anwalt Abrams, bisher primär für Bankrotte zuständig und jetzt im internationalen Rampenlicht, greift daher zu einem eigenen Indiz für früh keimende Liebe: Hingis ziere sich sonst in Liebesangelegenheiten und brauche Zeit, bis sie sich öffne. «Es ist nicht möglich, dass Calkin bloss einen Tag brauchte, worum sich mein Klient zuvor jahrelang bemüht hatte» – intime Nähe zu Martina.
Mitarbeit: Elmar Wagner
«Es war für beide überraschend»
Auszüge aus der Einvernahme Calkins
Staatsanwalt Christopher Calkin schildert in der Befragung durch Anwalt Frank Abrams ausführlich, wie es zur Beziehung mit Martina Hingis kam.
Die folgenden Auszüge stammen aus der eidesstattlichen Befragung von Christopher Calkin durch Frank Abrams. Calkin war leitender Staats- anwalt im Prozess gegen Dubravko Rajcevic, einen Belästiger von Martina Hingis. Seither ist Calkin der Freund der Tennis-Nummer eins. Abrams ist Rajcevics Verteidiger und wirft Calkin vor, wegen seiner Liaison mit Hingis in der Sache befangen zu sein.
Der Prozess gegen Rajcevic endete am 12. April 2001. Die hier wiedergegebene Befragung fand am 5. September in Miami statt und dauerte dreieinhalb Stunden. FACTS liegen die entsprechenden Dokumente vor.
FRANK ABRAMS: Wann sprachen Sie erstmals mit Frau Hingis?
CHRISTOPHER CALKIN: In der ersten oder zweiten Woche des Aprils 2001. (…)
ABRAMS: Wie war Ihre Beziehung zu Frau Hingis zwischen dem 13. und 14. April?
CALKIN: Sie wurde persönlich. (…) Unsere persönliche und körperliche Beziehung begann am 14. April 2001. Vorher bestand keine solche Beziehung.
ABRAMS: Hatten Sie am 14. April Sex mit ihr?
CALKIN: Ich beantworte die Frage nicht. Ich habe eine körperliche Beziehung. (…) Aber wenn Sie nicht verstehen, was eine körperliche Beziehung ist, sind Sie vielleicht naiv, versuchen mich in Verlegenheit zu bringen oder sind einfach ungebildet. (…)
ABRAMS: Wann waren Sie erstmals allein mit Frau Hingis?
CALKIN: Am Freitag, 13. April 2001.
ABRAMS: Wo?
CALKIN: In Tampa. (…) Sie hatte in jener Woche an einem Turnier in Amelia Island teilgenommen und wohl geplant, bis in den Final vorzustossen. (…) Unglücklicherweise verlor sie am Freitag. Auf dem Rückweg von Amelia Island rief sie mich aus dem Auto an und fragte mich, was ich am Wochenende vorhätte. Und sie fragte mich, ob ich sie in Saddlebrook [Hingis’ Wohnort in Florida] besuchen komme. Ich sagte zu, buchte ein Ticket und flog hin.
ABRAMS: Hatten Sie an jenem Abend oder am Tag danach eine physische Beziehung?
CALKIN: Am nächsten Tag. (…)
ABRAMS: (…) Kommt Ihnen das nicht ein bisschen seltsam vor? (…)
CALKIN: Überhaupt nicht. Aber es war für beide überraschend, wie schnell wir entschieden hatten, dass wir einander mögen. (…) Ich weiss nicht, ob wir damals schon diskutierten, ob wir die Beziehung überhaupt fortsetzen sollten. (…) Sie hatte sich einfach so ergeben. (…)
ABRAMS: Wann dachten Sie erstmals daran, Frau Hingis wieder treffen zu wollen? (…)
CALKIN: (…) Vermutlich als ich sie das erste Mal persönlich traf. Wenn sich die Möglichkeit ergeben und ich nicht die beruflichen, moralischen so wie ethischen Verpflichtungen gehabt hätte, hätte ich sie vielleicht schon damals gefragt. (…)
ABRAMS: Wann trafen Sie sich wieder nach dem 15. April?
CALKIN: Am Wochenende darauf. (…)
ABRAMS: Wo?
CALKIN: In Miami.
ABRAMS: Was tat sie dort? Ging sie dorthin, um Sie zu treffen?
CALKIN: Ja.
ABRAMS: Wo logierte sie?
CALKIN: In meinem Haus.
ABRAMS: Erzählen Sie mir über das folgende Treffen.
CALKIN: Ich glaube, es war in Zürich. (…)
ABRAMS: Sie geben zu, dass Sie von Frau Hingis Geschenke erhalten haben?
CALKIN: Ja.
ABRAMS: Und das beinhaltet auch den Aufenthalt in ihrem Haus, inklusive Essen? (…) Gabs noch andere Geschenke?
CALKIN: Sie gab mir eine Krawatte und ein Sofakissen. (…)
ABRAMS: Wann machten Sie die Reservationen [für Zürich]?
CALKIN: Keine Ahnung. Als ich nach Zürich ging, musste ich nichts reservieren.
ABRAMS: Sie spazierten einfach in ein Flugzeug und hoben ab?
CALKIN: Nein, sie [Hingis] tätigte die Reservationen.
ABRAMS: Wer zahlte das Ticket?
CALKIN: Sie. (…)
ABRAMS: (…) Haben Sie Frau Hingis je persönliche Notizen, Karten oder Liebesbriefe gesandt?
CALKIN: Ja. (…) Ich habe ihr, glaub ich, im Mai E-Mails geschickt. Und Blumen an ein Turnier.
ABRAMS: (…) An welches?
CALKIN: Es war das French Open.