Von Peter Hossli
Lebenssaft ist im lebhaften New York Mangelware. Ausgerechnet hier fehlt das Blut. New Yorker spenden ihren roten Saft ungern. Nirgendwo sonst wirken aber mehr angesehene Ärzte, die aufwändig operieren, als in Manhattan. An zahlreichen erstklassigen Kliniken werden Herzen geflickt, Nieren ersetzt und Lebern verpflanzt. Um den enormen Blutbedarf der Luxuspatienten zu decken, führt New York seit Jahren rund ein Drittel aus dem Ausland ein.
Abhilfe leistet die kleine Schweiz – mit Abstand der grösste Blutversorger der USA. Seit den Siebzigerjahren liefert der Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) jährlich etwa 16 Tonnen auf vier Grad gekühlte Blutkörperchen in die Millionenmetropole. Der Kontrakt hilft beiden Seiten: Die Schweiz kann ihre Überschüsse zu guten Konditionen in den lukrativen Dollarraum verkaufen, und die Stadt New York erhält ohne Umtriebe über die Hälfte ihres importierten Blutes, ansonsten weltweit ein knappes Gut.
Das dürfte sich bald ändern. Die amerikanische Lebensmittel- und Medikamentenbehörde FDA hat beantragt, den Import von europäischen Blutprodukten zu unterbinden. Der Grund ist BSE. Es bestünde die Gefahr, argumentiert die FDA, dass die menschliche Version des Rinderwahnsinns, die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, über Transfusionen in die USA gelangen könnte. «Wir rechnen damit, dass die Einfuhr in eineinhalb Jahren gestoppt wird», sagt der Direktor beim Blutspendedienst SRK, Rudolf Schwabe.
New York wird Mühe haben, gleichwertiges Blut zu finden
Die Folgen wären für New York fatal. Im vergangenen Jahr führte das New York Blood Center (NYBC) rund 140’000 Einheiten à 230 Milliliter roter Blutkörperchen aus Europa ein. 70’000 davon stammten aus der Schweiz, 40’000 aus Holland und der Rest aus Deutschland.
Die NYBC-Sprecherin Linda Levi beschreibt das schweizerische Blut als besonders hochwertig und typenvielfältig. Die FDA gab ihm bislang stets ihr Gütesiegel – die Zulassung in den USA. «Es wird nicht einfach sein, in so kurzer Zeit andere Lieferanten zu finden», sagt Levi. Zumal die Behörde wegen der langen Inkubationszeit von BSE und der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zusätzlich sämtliche Blutspenden von Amerikanern verbieten will, die sich seit 1980 länger als drei Monate in Grossbritannien oder länger als drei Monate im Rest Europas aufgehalten haben.
In kaum einem Land gibts willigere Spenderinnen und Spender als in der Schweiz. Die schweizerische Pharmaindustrie benötigt allerdings hauptsächlich Blutplasma zur Herstellung von Medikamenten und zur Behandlung von Blutern.
Die Überschüsse werden verkauft. Es sei ethisch nicht vertretbar, Blut nutzlos zu entsorgen, sagt Blutspendedienst-Direktor Schwabe, ausserdem verringerten die Exporte die Blutpreise in der Schweiz. Eine Einheit Blut kostet derzeit 169 Franken. Ans New York Blood Center werden sie etwas billiger verkauft. Die Amerikaner führen sämtliche Tests durch und verteilen die Beutel an die Spitäler. Ohne die Exporte in die USA und nach Griechenland käme das in der Schweiz verwendete Blut auf rund 175 Franken pro 230 Milliliter zu stehen. Die Schweiz spart auf diese Weise etwa zwei Millionen Franken.
Schweizer seien eben gute Spender, begründet Schwabe den eidgenössischen Blutsegen. Überdies würde mit dem Blut haushälterisch umgegangen. Ein Überschuss bestehe nirgendwo sonst auf der Welt. Der anstehende amerikanische Einfuhrstopp habe daher wenig direkte Auswirkungen auf die Schweiz. Das Schweizer Blut finde bestimmt problemlos anderswo Abnehmer, etwa in Südamerika oder in Afrika. Besonders Regionen mit hoher Aids-Infizierung hätten einen grossen Blutbedarf. Die Vorteile würden die allfälligen BSE-Gefahren überwiegen.
Schwabe hält schweizerisches Blut für sicher. Allerdings zeigt er Verständnis für die Eingabe der FDA und den drohenden Importstopp. «In den USA gibt es noch keinen einzigen Fall von der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit», sagt er, «das Land unternimmt alles, um die Verbreitung der tödlichen Krankheit zu verhindern.» Auch habe die Schweiz Vorkehrungen getroffen. So verhängte das Rote Kreuz unlängst ein Blutspendeverbot für Englandaufenthalter.
Ob die USA wirklich frei von BSE sind, wird bezweifelt
«Ich verstehe, dass die USA ihre Bevölkerung schützen möchten», sagt auch der renommierte Prionenforscher Adriano Aguzzi. Der Professor an der Universität Zürich bezweifelt allerdings, ob die USA tatsächlich frei von Prionenkrankheiten sind. «Um das abschliessend zu sagen, fehlen schlicht die wissenschaftlichen Grundlagen.» Im Übrigen könne weder bewiesen noch widerlegt werden, ob die Krankheit tatsächlich mittels Bluttransfusionen übertragen wird. Vorgekommen sei das bisher in keinem Fall, sagt Aguzzi. Es sei aber verheerend, wenn man sich deshalb in Sicherheit wähne.
Klar ist für Aguzzi eines: In den USA führt der Einfuhrstopp zu Blutknappheit. Man müsse nun abwägen, was das grössere Risiko darstellt, das theoretische einer BSE-Erkrankung oder der tatsächliche Blutmangel.
Blutbedarf New York
Blut besteht aus zwei Hauptbestandteilen, Blutkörperchen und Plasma. Patienten benötigen meist nur eine der beiden Ingredienzen. Vor rund dreissig Jahren begann der Blutbedarf in New York rasant anzusteigen, weil komplizierte Operationen, bei denen viel Blut gebraucht wird, alltäglicher wurden. Überdies lassen sich viele Auswärtige in New Yorker Spitälern behandeln. In der Schweiz fanden US-Ärzte 1973 schliesslich ein grosses Überangebot an roten Blutkörperchen. Dieses wurde wegen der kurzen Haltbarkeit in den meisten Fällen weggegossen.