Honorar im Wandel der Zeitung

Websites und Datenbanken seien neue und eigenständige Produkte, begründete Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg den klärenden Richtspruch. Schöpfer journalistischer Werke müssten deshalb stets angemessen entschädigt werden. Überdies wies das Gericht sämtliche US-Medien an, künftig Freie um Erlaubnis zu bitten und fair zu entlöhnen, wenn sie deren Arbeit online publizieren.

Von Peter Hossli

Websites und Datenbanken seien neue und eigenständige Produkte, begründete Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg den klärenden Richtspruch. Schöpfer journalistischer Werke müssten deshalb stets angemessen entschädigt werden. Überdies wies das Gericht sämtliche US-Medien an, künftig Freie um Erlaubnis zu bitten und fair zu entlöhnen, wenn sie deren Arbeit online publizieren.

Acht Jahre lang hatte Jonathan Tasini, Präsident der National Writers Union (NWU), den bahnbrechenden Fall gegen die «New York Times» und das US-Magazin «Time» durch Gerichte getragen. «Jetzt muss die Medienindustrie zahlen», sagte er hernach. Es könnte viel werden.

Pro urheberrechtlich geschützten und nicht entgoltenen Text verlangt die NWU von den Verlagshäusern zwischen 200 und 500 Dollar. Erste Schätzungen gehen von astronomischen Kosten aus – bis zu 600 Milliarden Dollar. Ein Appellationsgericht setzt derzeit den Preis fest.

Die US-Verlage drohen mit dem Löschen von sämtlichen Artikeln

Die betroffenen Verlage haben prompt reagiert. Sie weigern sich zu zahlen und versuchen mit drastischen Massnahmen, den Schaden zu begrenzen. Man werde sämtliche von Freischaffenden zwischen 1980 und 1995 geschriebenen Artikel aus den Archiven entfernen, sagte die «New York Times»-Sprecherin. Seit Mitte der Neunzigerjahre verlangt das Blatt von Schreibern das Recht, Werke online zu publizieren. In Frage kämen 115’000 Texte von über 27’000 Autoren. Der Entscheid sei fatal, so die Sprecherin, zerlöchere er doch die historische Vollständigkeit vieler Archive. Dieses Verhalten der «New York Times» widerspreche dem Geist des Urteils, sagte Kläger Tasini. Das Löschen müsse sofort gestoppt werden, verlangte er vor einem New Yorker Gericht.

Wöchentlich wächst die Datenbank Lexis/Nexis um neun Millionen Dokumente, geschrieben von festangestellten und freischaffenden Urhebern. Gemäss Eigenwerbung ist Lexis/ Nexis dreimal grösser als das gesamte Internet. Das weltweit umfangreichste Archiv hat mit 23’000 Inhaltslieferanten Lizenzverträge abgeschlossen. Magazine wie «Time» oder «The Economist», Zeitungen wie «The New York Times» oder «The Guardian», Transkripte von Fernsehsendungen sowie Nachrichtenagenturen wie AP und Bloomberg lassen sich rasch recherchieren. Auch Anwälte nutzen das juristische Archiv von Lexis/Nexis. Dessen Gebrauch ist nicht billig. Einzelne Kunden bezahlen oft mehr als 1000 Dollar monatlich. Seit 1994 gehört das in Ohio beheimatete, profitable US-Unternehmen der englisch-holländischen Gruppe Reed Elsevier. Bald könnte der jüngste Gerichtsentscheid auch europäischen Verlagshäusern reichlich Bauchweh bereiten. «Die Türe steht jetzt weit offen für ausländische Kläger», sagt der New Yorker Urheberrechtsspezialist Alexandre Montagu.

Lexis/Nexis publiziert nämlich zusätzlich Inhalte von zahlreichen Pressehäusern in Europa, Asien und Lateinamerika. In der Schweiz verkauft die «Neue Zürcher Zeitung» oder die Tamedia AG («Tages-Anzeiger», «Facts») Inhalte an Lexis/Nexis, darunter Texte von Freischaffenden. Seit 1994 hat die NZZ dem Monsterarchiv rund 520’000 Artikel geliefert, die Tamedia seit 1997 etwa 300’000. «Wir haben mit den meisten Journalisten Urheberrechtsregelungen getroffen», sagt die Rechtskonsulentin der Tamedia AG, Bettina Gubler. Allerdings wissen die meisten Schweizer Medienschaffenden nichts von der digitalen Verbreitung in den USA.

Zuerst müssen US-Gerichte beurteilen, ob sie allfällige Klagen aus dem Ausland zulassen. Der New Yorker Anwalt Montagu beurteilt dies als sehr wahrscheinlich. Zumal die 1976 in Bern verabschiedete internationale Urheberrechtskonvention ausdrücklich keine Registrierung der Werke in den USA verlangt. Das geschieht automatisch. Lexis/Nexis wird in den USA publiziert und untersteht demnach amerikanischer Gesetzgebung.

Journalisten in Europa denken ebenfalls an Sammelklagen

Montagu räumt Sammelklagen gute Aussichten ein. Schliessen sich ein paar Europäer zusammen, könnten sie US-Anwälte finden, die aufs Honorar verzichten und den Fall auf Erfolgsbasis durchziehen. Darauf setzt der Deutsche Journalisten-Verband. Dessen Jurist, Benno Pöppelmann, kann sich eine gesamteuropäische Klage «sehr gut vorstellen».
Internationale Fragen zum geistigen Eigentum beschäftigten Urheberrechtler zunehmend. Gerichte schützen vermehrt die Besitzer von Inhalten. «Es besteht die Gefahr, dass US-Gerichte Klagen aus der Schweiz zulassen», meint deshalb die Juristin des Verlegerverbandes Schweizer Presse, Antje Ruckstuhl.
Die Verleger in Deutschland und in der Schweiz haben aber vorgesorgt. Sie anerkennen die elektronische Auswertung als eigenständige Produkte und entgelten die Urheber für die Abtretung weit gehender Rechte. Im Gegenzug sichert etwa die Tamedia den Freien wie den Festangestellten beim Weiterverkauf einen Teil des Erlöses zu. Allerdings gingen bei der seit Jahren dauernden Lizenzierung an Lexis/Nexis die Schreiber leer aus.