Franco Cavalli behandelt Ex-Beatle

George Harrison lässt im Institut des renommierten Tessiner Krebsspezialisten einen Hirntumor bestrahlen.

Von Peter Hossli und Thomas Isler

Die Krankenschwester auf der Onkologie-Abteilung im Ospedale San Giovanni zögert keinen Moment: «George Harrison? Da müssen Sie in der Radiologie-Abteilung im zweiten Untergeschoss nachsehen.»

Der krebskranke Ex-Beatles-Gitarrist lässt seinen Tumor im renommierten Krebsinstitut des Spitals in Bellinzona behandeln. Der Leiter des Instituts, SP-Nationalrat und Fraktionschef Franco Cavalli, dementiert entsprechende Ge- rüchte nicht, will aber «wegen des Arztgeheimnisses keine weiteren Angaben» machen. Sicher ist: Der 58-jährige George Harrison hielt sich Ende Mai und auch im Juni regelmässig im Tessin auf. Als Ende Mai in Bellinzona die Beatles-Days stattfanden und auf verschiedenen Plätzen der Stadt Beatles-Covers zum Besten gegeben wurden, befand er sich im Spital. Für die Zeit der Behandlung in Bellinzona hat sich Harrison angeblich ein Haus im italienischen Luino gemietet, nur 40 Autominuten von Bellinzona entfernt. Für die Fahrt soll er laut Angaben aus sicherer Quelle Autos und Chauffeure wiederholt gewechselt haben. Zur Tarnung seien die Wagen mal mit italienischen, mal mit britischen, dann wieder mit schweizerischen Nummernschildern bestückt gewesen. Weder Harrisons Anwalt in Hawaii noch dessen Pressesprecherin wollten zur Behandlung im Tessin Stellung nehmen.

Im Mai wurde Harrison in den USA ein krebsartiges Geschwür entfernt

Wie aus dem Umfeld des Spitalpersonals verlautete, soll der Ex-Beatle in Bellinzona wegen eines Hirntumors mit Kobalt bestrahlt worden sein. Was auf eine dramatische Verschlechterung seines Gesundheitszustandes hinweisen könnte. «Hat der Patient ein Krebsleiden, das Ableger bildet, wie etwa im Hirn, muss man davon ausgehen, dass die Lebenserwartung deutlich verringert ist», sagt Daniel Zwahlen, Assistenzarzt an der Klinik für Radio-Onkologie des Universitätsspitals in Zürich. Die Lage wäre praktisch hoffnungslos. George Harrison liess sich anfangs Mai dieses Jahres an der Mayo Klinik in Rochester im US-Bundesstaat Minnesota ein krebsartiges Geschwür aus der Lunge entfernen. Die Operation sei erfolgreich verlaufen, liess damals der britische Anwalt des Ex-Beatle, Nicholas Valner, verlauten. Danach habe sich Harrison zusammen mit seiner Gattin Olivia Arias in die Toscana zur Erholung zurückgezogen. «Ich habe keine Pläne zu sterben», witzelte Harrison. Laut der britischen Zeitung «Daily Mail» hat er bei der Operation «beinahe die Hälfte einer Lunge» verloren. Nach dem Eingriff sei er im Privatflugzeug von Schauspieler Jim Carrey («The Truman Show») nach Mailand geflogen worden. Ob der Gitarrist nach wie vor im Krebszentrum von Bellinzona behandelt wird, ist unklar. Ein Arzt sagt, Harrison besuche das Bestrahlungszentrum regelmässig, liege aber nicht permanent im Spital. Andere Quellen dagegen vermuten, Harrison sei inzwischen abgereist, nach Hawaii, wo er seit Jahren ein Haus besitzt.

Das Krebsleiden von Harrison hatte bereits 1997 begonnen. Im Princess Margaret Hospital in Windsor liess er sich wegen eines Krebsgeschwürs im Kehlkopf behandeln, das angeblich im Frühstadium wegoperiert worden ist. Am Royal Marsden Hospital in London setzte er sich danach zweimal einer Bestrahlungsbehandlung aus. «Ich hab den Krebs bestimmt von den Zigaretten», sagte Harrison damals. «Vor Jahren hörte ich mit dem Rauchen auf, dann fing ich wieder an.» Ende 1999 hat George Harrison überdies knapp ein Attentat überlebt. Der damals 33-jährige Fan Michael Abram brach ins Haus des Gitarristen in Oxfordshire ausserhalb von London ein. Harrison versuchte ihn zu überrumpeln.

Beim Handgemenge stach ihn Abram in den Lungenflügel. George Harrison hat sich nie ganz von dieser Verwundung erholt. Ein Gericht befand den Attentäter später für geisteskrank und demnach nicht schuldig.

Auf eine mögliche Verschlimmerung von Harrisons Krankheit deutet eine weitere Entwicklung in Hawaii. Überraschend legte der Musiker am 19. Juni einen langjährigen Zwist mit seinen Nachbarn bei. Über das Grundstück von Harrison auf Maui verläuft ein Pfad zum pazifischen Ozean. Zu Beginn der Neunzigerjahre fing der Ex-Beatle an, die Benützung des Weges zu verbieten. Seine Privatsphäre werde verletzt. In Hawaii ist der Privatbesitz von Meerzugängen aber unerlaubt. Ein Gericht gab den Nachbarn von Harrison 1993 schliesslich recht. Doch Harrison zog den Fall weiter – bis zur aussergerichtlichen Einigung. Künftig ist der Pfad gesperrt. Harrison habe dafür bezahlt. Die Details der Einigung seien geheim, sagte Harrisons Anwalt Paul Alston dem «Herald News Service». Der Vertreter der Nachbarn, Kyle Coffman, sagte den Medien: «Schaut man den Gesundheitszustand von Harrison an, überrascht es nicht, dass er den Streit so plötzlich beenden wollte.»

Der stille Beatle

George Harrison kam am 25. Februar 1943 im Liverpooler Vorort Wavertree zur Welt. Sein Vater war Buschauffeur. Er wuchs als jüngstes von vier Kindern auf. 1958 stellte ihn sein Jugendfreund Paul McCartney dem Musiker John Lennon vor. Prompt heuerte Lennon Harrison als Ersatzgitarrist der Band The Quarrymen an. 1960 traten Lennon, McCartney und Harrison zusammen mit Stuart Sutcliffe und Pete Best erstmals unter dem Bandnamen The Beatles auf. Später schied Sutcliffe aus, Ringo Starr ersetzte Best als Schlagzeuger – der Rest ist Musikgeschichte. Die Beatles sind die erfolgreichste Band überhaupt. Sie haben über eine Milliarde Tonträger verkauft, mehr noch als Elvis. Lange nach deren Trennung 1970 standen die Alben der Beatles auf den Bestseller-Listen. Eine im vergangenen Jahr herausgegebene Kompilation aller Nummer-eins-Titel gehört zu den meistverkauften CDs.

Harrison galt stets als der stille Beatle. Er war das jüngste Bandmitglied. Als «in sich gekehrt, bescheiden und nachdenklich» beschrieb ihn die «Süddeutsche Zeitung». Angeblich schämte er sich wegen seiner abstehenden Ohren. Lange stand der introvertierte und scheue Musiker im Schatten des Duos John Lennon und Paul McCartney. Zu Unrecht. Immerhin schrieb er zweiundzwanzig Beatles-Songs, darunter Klassiker wie «Taxman» oder «Here Comes the Sun». Mitte der Sechzigerjahre begann er sich mit indischer Philosophie zu beschäftigen und ersetzte die Gitarre zeitweilig durch eine Sitar.

Nach der Auflösung der Beatles führ- te Harrison seine bereits 1968 ein- geleitete Solokarriere fort und gab etliche Platten heraus. Am bekanntesten ist «All Things Must Pass». Von 1979 bis 1990 engagierte sich Harrison hauptsächlich als Filmproduzent. Monty-Python-Werke wie «Life of Brian» oder «Time Bandits» oder die rabenschwarze britische Komödie «Withnail and I» entstanden unter seiner Federführung. Zu den Tiefpunkten der Produzentenkarriere gehörte sicherlich das Madonna-Sean-Penn-Vehikel «Shanghai Surprise» – gemeinhin bekannt als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten. Harrison lebt in London und auf Hawaii.

Cavalli: Erste Tessiner Adresse für Krebspatienten
Dass die Sonnenstube heute über angesehene Krebskliniken verfügt, ist hauptsächlich dem SP-Nationalrat und Mediziner Franco Cavalli zu verdanken. Am Ospedale San Giovanni baute er vor mehr als 20 Jahren das Onkologische Institut des Tessins auf. Das vernetzte er mit onkologischen Ambulatorien in vier weiteren Spitälern. Mittlerweile lassen sich im Krebsinstitut Leute wie die ehemalige italienische Aussenministerin und Schwester des verstorbenen Fiat-Bosses, Susanna Agnelli, ein Schatzmeister der Mafia oder der Musiker George Harrison behandeln. Cavalli, 58, präsidiert seit April die Schweizer Krebsliga. Seinen Lohn hat er auf 210 000 Franken eingeschränkt. Verdient er aus seiner Tätigkeit als Arzt mehr, überweist er es an das Spital. Durchschnittlich verdienen Tessiner Chefärzte jährlich 350 000 Franken. Die andern Ärzte an Cavallis Institut haben dieselben Verträge wie der Chef. SP-Politiker Cavalli hat kein Problem mit reichen Privatpatienten: «Diese Gelder fliessen nicht in unsere Taschen, sondern gehen an die Klinik. Manche Privat- patienten spenden überdies Geld in unseren wissenschaftlichen Fonds.» Ob auch Ex-Beatles-Gitarrist Harrison dazugehört, mochte Cavalli nicht sagen.