Von Peter Hossli
Marc-Olivier Wahler mag die Schweiz, «weils nirgendwo mehr Klischees gibt». Klischees, so der künstlerische Direktor des Swiss Institute in New York, «regen optimal zu artistischen Auseinandersetzungen an. Ich zeige, was mir gefällt. Unterhaltung ist zentral.» Viel versprechende Worte des kürzlich eingesetzten Leiters dieser Institution, die allzu lange am Prinzip guteidgenössischer Kompromisse nagte.
1986 gegründet, fügt sich der private Verein seit 1992 einem selbst auferlegten Credo: historische und zeitgenössische Kunstvermittlung mit Schwerpunkt Schweiz. Stets hatten alle mitgeredet – die zahlenden Firmen, an Heimweh leidende Auslandschweizer und der Staat.
Der Präsident des Swiss Institute, der Bankier Johannes Frey, sprach von einer «weiteren Phase des Ausbaus», als er im vergangenen Jahr die Direktion neu zu besetzen hatte. Ein lebendiges Kommunikationszetrum schwebte ihm vor, straff und zeitgemäss geführt von einer redegewandten Managerin und einem öffentlichkeitsnahen Kunstfachmann.
Die Pragmatikerin und der Visionär ergänzen sich bestens
Die zwei Berufungen von letztem September scheinen geglückt. Der Neuenburger Wahler macht das Programm, und die New Yorker Juristin und Kunsthistorikerin Mary Rozell managt. Er liebt Amerika und mag Neubeginne. Sie kennt die europäische Gangart und wirkte zuvor in London, Paris und Berlin. Die zwei gegensätzlichen Typen ergänzen sich beim gemeinsamen Interview. Er hockt im verwaschenen Pullover da, sie im eleganten Hosenanzug. Er schweift ab, verfällt rasch der Begeisterung – «du musst das Publikum zum Träumen bringen» -, sie analysiert und redet über Machbares – «in zwei Jahren läuft der Mietvertrag aus. Bis dann müssen wir ein neues Haus in Manhattan finden.»
Bereits ist vieles neu. Der Mief, der jahrelang im dritten Stock des dunklen Lofts am Broadway hing, ist weg. In Boutiquen und Cafés nahe dem Gebäude im Shoppingquartier SoHo plant das Duo Miniausstellungen. Doch das Institut soll sich nicht nur in New York, sondern in ganz Nordamerika ausbreiten. So reist die Ausstellung «Under Pressure» nach Tucson, Arizona, und «Bubble and Boxes and Beyond» ans Massachusetts Museum of Contemporary Art.
Hemmschuh wie Lebensader war stets das «Swiss» im Titel. «Ohne «Swiss» kein Geld aus der Schweiz», sagt Patricia Schramm, Attachée culturelle des Generalkonsulats und Vorstandsmitglied beim Swiss Institute. Der Schweizer Kunstkenner Christoph Doswald hält das nationalstaatliche Label für «komplett veraltet». Rozell und Wahler sehens gelassener und erweitern einfach den Namen in Swiss Institute Contemporary Art. An diesem Ort soll allerlei zeitgenössische Kunst gedeihen.
Das Feld ist weit. «Zeitgenössische Kunst handelt von allem», sagt Wahler. Wurde sie einst mitsamt den Intellektuellen ins Abseits gestellt, erlebe sie jetzt eine Blütezeit. «Mein bevorzugtes Publikum sind Teenager und alte Leute», sagt Wahler, der zuvor in Neuenburg und in Genf wirkte. «Junge haben oft dieselben Bezugspunkte zur Realität wie die Künstler. Und Senioren legen alle Referenzen ab. Sie glauben, ohnehin verloren zu sein.» Wer glaube, alles über zeitgenössische Kunst zu wissen, «der ist bei uns falsch».
Neu ist die internationale Ausrichtung des Instituts
Das Swiss Institute unter neuer Führung soll kein Schweizer Kulturzentrum sein. Wahler will eine Plattform für europäische, amerikanische und japanische Kreative bieten. Nur mit Schweizern zu arbeiten hält er für unmöglich. Es sei beste Werbung für die Schweiz, in New York ein internationales Kunsthaus zu betreiben. Entgegen dem Igelimage, das Helvetia manchenorts habe, gelte deren Kunstszene ja als weltoffen. Und à propos Klischees: Spätestens im Herbst soll die Swiss Army Brass Band den Broadway entlangmarschieren und Acid House spielen.
Die hehren Absichten sind nicht gratis. Bis anhin betrug das jährliche Budget 750’000 Dollar. Zwanzig Prozent decken Bundesgelder. Der Rest kommt von Stiftungen und Schweizer Konzernen. Credit Suisse, UBS, Novartis, Nestlé und Private legten zwei Millionen Dollar in einen Fonds. Das jeweils Mitte März veranstaltete Benefizessen – heuer mit alt Bundesrat Adolf Ogi als Ehrengast – bringt 100’000 Dollar netto.
Nun will Mary Rozell vermehrt um amerikanische Stiftungsbeiträge werben – ein Novum fürs Swiss Institute und kein leichtes Begehren. «US-Förderer blicken Kunstvermittlern pedantischer in die Bücher, als sich das Schweizer gewohnt sind», sagt die Managerin. Doch sie ist überzeugt, dass das Geld kommen wird.
Rozell will dem Swiss Institute eine amerikanische Struktur und amerikanische Geschäftsgepflogenheiten verpassen. Als Amerikanerin dürfte ihr das leichter fallen als den bisherigen Direktorinnen schweizerischer Herkunft. «Die Unterschiede zwischen den USA und Europa sind grösser, als viele denken», sagt sie. «Wir müssen die Sprache des Publikums sprechen.» Das liegt im Sinn der Sache, und nur so scheint der «fruchtbare Dialog» zwischen der Schweiz und den USA möglich, den Präsident Frey fordert.