«Wirklich glücklich ist, wer viel kaufen kann»

Das Buch «American Psycho» zeigte 1991 ein kaltes, brachiales Amerika. Damals war George Bush an der Macht. Heute regiert sein Sohn. Mary Harron über die Aktualität ihrer Verfilmung.

Von Peter Hossli

Die kanadische Filmerin Mary Harron, 48, mag das Obskure. Vor fünf Jahren kramte sie die längst vergessene Feministin und Warhol-Attentäterin Valerie Solanas hervor. Ihr Einstand «I Shot Andy Warhol» galt sofort als erste ehrliche Abrechnung mit den rücksichtslosen Machos der ach so liberalen Kunstszene New Yorks während den Sixties. Nun gelangt Harrons zweiter, von der Kritik gefeierter, vom Publikum grösstenteils missverstandener Film in die Schweizer Kinos. Sarkastisch inszeniert sie den Schlüsselroman über die Achtziger, «American Psycho». Voller Ironie erzählt Harron vom Doppelleben des Borsianers Patrick Bateman. Der scheffelt am Tag Millionen und mordet nachts bestialisch. Der Film, im April 2000 in den USA gestartet, erhitzte die Gemüter. Zu Gewalttätig und zu sexy, riefen die Moralapostal. Ein Treffen in New York.

Mary Harron, betrübt es Sie, dass George W. Bush erst heuer ins Weisse Haus eingezogen ist?
Mary Harron: Wäre «American Psycho» jetzt und nicht vor Jahresfrist angelaufen, hätten ihn mehr gesehen. Vor einem Jahr war die Stimmung in den USA optimistisch. Die Börsen boomten. Niemand zweifelte an endlosen Gewinnzunahmen. Nun ist die Blase geplatzt. Mein Film spricht die Leute eher an, wenn es ihnen schlecht geht.

«American Psycho» erzählt von den Achtzigern. Damals forderte Amerika Steuersenkungen für die Reichen, entwickelte ein Raketenabwehrsysteme, der Präsident negierte die Umwelt – wie heute. Wie zeitgenössisch ist Ihr Film?
Harron: Die späten Achtziger waren schamloser und abgestumpfter. Man trotzte allem Liberalen. Die Götter hockten damals ausschliesslich an der Wall Street.

Das ist doch jetzt nicht anders.
Harron: Heute ists heuchlerischer, die Gier diskreter. Man gibt nun vor, liberal zu sein, sich zu kümmern. Gleichwohl ist die Besessenheit mit Geld und Besitz ausgeprägter denn je. In jeder Ecke der Welt hat ja der Kapitalismus triumphiert. Andere Werte existieren kaum mehr.

Gerade in den USA erlebt aber die religiöse Rechte unverhofft eine Blütezeit.
Harron: Die Religion ist längst nicht so stark wie die Ethik des Konsums. Wirklich glücklich ist nur, wer viel kaufen kann.

Weil Sie dem nicht trauen, haben Sie ein Buch verfilmt, das die Oberflächlichkeit des gekauften Glücks radikal offenlegt?
Harron: Ich ziehe es vor, hier zu leben, weil der amerikanische Traum vom Reichtum demokratischer ist als die europäische Klassengesellschaft. Jeder glaubt, er könne es schaffen. Das soziale Ansehen wird aber definiert von der Grösse des Autos. Wie kein anderer hat das Bret Easton Ellis im Buch «American Psycho» dargelegt.

In Ihrem ersten Spielfilm, «I Shot Andy Warhol», schiesst eine Feministin auf einen Star. Nun ermordet ein schicker Börsenhändler Frauen und fühlt sich dabei wie ein Star. Was reizt Sie an diesem Mix aus Popkultur und Gewalt?
Harron: Mich interessieren Aussenseiter. Valerie Solanas, die auf Andy Warhol schoss, war ihrer Zeit voraus – und blieb ein Leben lang unverstanden. Patrick Bateman hingegen verkörpert das Ideal der US-Gesellschaft. Er konsumiert, ist reich, hat einen perfekten Körper. Und trotzdem steckt dahinter ein furchtbares Monster.
Bateman ist ein Mann, der Frauen enthauptet und sie mit Motorsägen zerstückelt.

Macht es Spass, solche monströse Gewalt zu inszenieren?
Harron: Ich hatte Angst davor. Die Belastung, extreme Verhaltensformen zu filmen, ist enorm. Ertragen konnte ichs nur, weil ich stets wusste, ich drehe eine Satire.

Der Grad zwischen Satire und verherrlichender Gewaltorgie ist schmal. Vor allem gegen Filmende ziehen Sie sämtliche Register, vom Blutbad bis zur Kettensäge.
Harron: Damit will ich aufwühlen, das Publikum schockieren. Die Gewalt soll nicht lustig und stilisiert sein wie in «Pulp Fiction». Am Schluss muss die Ironie völlig draussen bleiben. Sie soll Angst einflössen. In «American Psycho» stecken zwei verschiedene Filme: eine soziale Komödie, die äussere Welt von Bateman; ein Horrorfilm, sein erschreckendes Inneres.

Fast wöchentlich fallen an US-Schulen Schüsse. Der Filmindustrie wird vorgeworfen, Jugendliche würden Gewaltakte wie jene in «American Psycho» nachahmen. Sind Sie mitschuldig?
Harron: Meine Gewalt schreckt ab. Niemand ahmt sie nach.

Der Film wurde massiv attackiert.
Harron: Als unlängst «Hannibal» ins Kino kam, musste sich Regisseur Ridley Scott kaum Fragen zur Gewalt stellen – obwohl sein Film Gewalt im Gegensatz zu «American Psycho» glorifiziert.

Warum kamen nur Sie unter Beschuss?
Harron: Sind wir ehrlich: Niemand kümmert sich um Gewalt im Kino. Es zählt nur der Umsatz. Spielen Filme viel ein, bleibts ruhig. Kritisiert werden kleine Filme. Wäre die Gewalt ein Anliegen, verschwänden sofort alle Waffen. Über kulturelle Verrohung zu jammern, ist viel einfacher als Pistolen zu entladen.

Sie mussten nicht Gewalt-, sondern Sexszenen beschneiden. Warum fürchtet sich Amerika so sehr vor belebten Lacken?
Harron: Weil das Land nach wie vor sehr prüde ist. Mir wars recht so. Sexszenen lassen sich leichter schneiden als Gewalt.

Als das Buch herauskam, schrien viele wegen der Frauen verachtenden Hauptfigur auf. Sind sie die Alibifrau, die «American Psycho» jetzt mit dem Film legitimiert?
Harron: Eine Frau musste diesen Film drehen.

Um die enormen Akte gegen Frauen gutzuheissen?
Harron: Nein, um die Kritik am männlichen Benehmen in dieser Gesellschaft zu begreifen. Die Stärke von Brets Buch liegt in seiner gnadenlosen Darstellung der elitären Macho-Welt an der Wall Street. Als seis eine Armee, werden die Männer in Gruppen zu regelrechten Killern getrimmt. In ihrem Gebaren steckt eine starke Homoerotik. Sie sind besessen voneinander. Sie lieben einander mehr als ihre Freundinnen. Alles sind Narzissten. Eine Frau ist eher in der Lage, diese aufgedonnerte Welt zu durchschauen.

Nichtsdestotrotz attackierten feministische Gruppen Sie und Ihren Film…
Harron: … bevor er abgedreht war. Als er rauskam, mochten ihn die Frauen. Männern wurde es ungemütlich weil ich ihnen einen Spiegel vorhielt.

Wie stehts heute um die Männlichkeit?
Harron: Auch das hat Bret Easton Ellis als erster gemerkt: Sie ist in eine schweren Krise geraten. Nun zählen auch Männer Kalorien. Sie leiden genau wie wir Frauen unter dem Zwang, perfekt sein zu müssen. Überdies eignen sich Frauen zunehmend öffentlichen Raum an. Das verunsichert. Ohne es zu merken, gehören die Männer in «American Psycho» einer aussterbenden Gattung an.

Als das Buch herauskam, zerzauste es die Kritik. Warum wurde es damals missverstanden?
Harron: Weil niemand die extreme Gewalt verstehen wollte. Einem Produzenten, dem ich mein Drehbuch zeigte, schlug vor, aus den Opfern allesamt Männer zu machen. Man dürfe nicht Frauen töten – als ob Gewalt gegen Männer okay wäre.

Warum tötet denn Bateman?
Harron: Aus Angst vor und Hass gegen den eigenen Körper. Ellis hat den US-Körperkult wie kein zweiter beschrieben. Das hat manche verwirrt und führte zur Ablehnung des Buchs. Amerikaner glauben, alles müsse gut für sie sein. Sie wollen alles kontrollieren und alles zur Perfektion treiben. Amerika ist die einzige Kultur, in der man glaubt, man müsse glücklich sein, und man könne das Glück erzwingen oder gar kaufen. Weils nicht geht, gibts Panik, Einsamkeit und Angst. Davon handelt «American Psycho». Brets Buch ist nicht perfekt. Aber es ist wichtig.

Half die Kontroverse dem Film?.
Harron: Klar. Die Produktionsfirma war begeistert, vor allem, als die Zensurbehörde den Film erst ab 18 Jahren freigeben wollte. Mehr kostenlose Öffentlichkeit hätten wir nicht generieren können.

Trotzdem war der Film kein Hit. Blieben die Leute fern, weil im Fernsehen reale Satiren wie Monica Lewinsky laufen?
Harron: Nein. Das Marketing war schlecht. US-Werber wissen oft nicht, wie sie Satiren anpreisen sollen. Deshalb verpackten sie «American Psycho» plump als Horrorfilm. Komödienfans kamen nicht, das Horrorpublikum war verwirrt.

Und Sie sind darob enttäuscht?
Harron: Überhaupt nicht. «American Psycho» hat ja nichts, was ein echter Hit haben muss. Kein sympathischer Held. Kein Ende mit moralischer Wende. Kein Star.

Leonardo DiCaprio war einst im Gespräch als Hauptdarsteller. Mit ihm wäre der Film doch bestens gelaufen.
Harron: Mit ihm hätte ich niemals gedreht. Ich bestand auf Christian Bale. Leonardo gefiel das Drehbuch. Da bot ihm die Produktionsfirma 21 Millionen Dollar Gage an. Ich stieg sofort aus.

Weil sie Angst vor dem grossen Star und dem hohen Budget hatten?
Harron: Nein. Es ist einfacher, einen teuren Film zu drehen. Ein Star wie DiCaprio hätte endlose Neuversionen und Kompromisse bedingt. Steigen die Kosten, sinkt das Risiko. Nachdem ich ging, war Oliver Stone als Regisseur vorgesehen. Doch Leonardo und Stone konnten sich auf keine Drehbuchfassung einigen. Man rief mich wieder an. DiCaprio stieg aus. Heute ists allen peinlich, Leonardo überhaupt die Rolle angeboten zu haben.

Die Buchseiten von «American Psycho» quillen über mit Markenartikel. Nicht so der Film. Konnten Sie es sich leisten, aufs Merchandising zu verzichten?
Harron: Wir durften viele Produkte nicht benutzen oder erwähnen. Evian, Rolex, Calvin Klein oder Ralph Lauren hatten Angst, mit einem kontroversen Film in Verbindung gebracht zu werden. Schade. Am liebsten hätte ich den Film mit Markenprodukte zugepflastert.