Von Peter Hossli
Freunde wie Feinde zeigen sich bestürzt über die präsidiale Begnadigung von Rohstoffhändler Marc Rich. Dem in die Zentralschweiz geflüchteten Financier wird unterstellt, üppig Steuern hinterzogen sowie verbotenen Handel mit dem Iran getätigt zu haben. Präsident Clinton, von der Verfassung mit dem Begnadigungsrecht versehen, habe sich die Rich-Begnadigung dubios abkaufen lassen.
Währenddessen gewöhnt sich der Präsident, George W. Bush, ans Leben im Weissen Haus. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, leitete er einen Feldzug gegen die Abtreibung ein, besetzte wichtige Ämter mit Konservativen und bereitete Steuersenkungen vor, die angesehene Ökonomen für «unrealistisch und verantwortungslos» halten. Vergangenes Wochenende fragte nun die «New York Times», ob Bush die sonderbare Rolle im langen Schatten von Clinton zusage. «Es scheint so», schreibt ein Kolumnist. Erstmals schreibt die einflussreichste US-Zeitung, was Polit-Auguren seit langem vermuten: Der Tumult um die Rich-Amnestie könnte ein verkapptes Ablenkungsmanöver sein. Zumindest spricht niemand mehr vom zwiespältigen Wahlausgang in Florida. Die von vielen erhoffte Debatte über die fragwürdige Rolle des Obersten Gerichtshofes blieb aus. Von den Medien fast gänzlich ignoriert werden auch brisante Bush-Geschichten. So will der neue Präsident künftig das soziale Werk von Kirchen staatlich unterstützen – obwohl die Verfassung Staat und Kirche klar trennt. Kaum im Amt, entsandte Bush Bomber nach Bagdad, um Saddam Hussein eine «deutliche Botschaft» zu schicken. Vernebelt wurde nach dem Angriff rasch, was diese Botschaft genau beinhalten sollte.
Während Clinton öffentlich angeprangert wird, er begnadige skrupellos gegen Bares, bedankt sich Bush im Verborgenen bei politischen und finanziellen Förderern. Ein Grossteil von ihnen, so errechnete das unabhängige Institute Center for Public Integrity, sei der hiesigen Öl- und Energieindustrie zuzurechnen. Nun ist ein neues Energiegesetz in Vorbereitung, das unversehrte Naturschutzgebiete in Alaska zur Ölgewinnung freigibt. Zudem, so die «New York Times», werde Bush ihm nahe stehenden Rohstoffhändlern Steuergeschenke in der Höhe von 20 Milliarden Dollar machen.
Ebenfalls kaum der Rede wert war eine andere Enthüllung, die das Magazin «The New Yorker» publizierte: Eine treibende Kraft hinter der Rich-Absolution war ein republikanischer Lobbyist, Lewis Libby. Zwei Jahre lang bemühte er sich um eine Begnadigung von Rich. Achtmal soll er ihn getroffen haben. Überdies durchstöberte Libby die hängige Anklageschrift gegen Rich nach juristischen Ungereimtheiten – und kassierte dafür angeblich zwei Millionen Dollar. Mittlerweile amtet Libby als engster Berater von Vizepräsident Dick Cheney.
Rich hingegen ist angeblich bereit, seine horrenden Steuerschulden zu tilgen. Vergangene Woche erhielt er vom Staat New York eine Steuerrechnung über 137,9 Millionen Dollar, davon 110,9 Millionen Strafzinsen. Denn erst seit die Fahndung eingestellt wurde, kann der Fiskus Rich erneut belangen. Laut Sprecher des New Yorker Steueramts habe ein Partner von Rich angedeutet, der Amnestierte sei zahlungswillig.
Zaghaft beginnt die US-Presse zudem, die Pardons von Clintons Vorgänger George Bush senior unter die Lupe zu nehmen. «Damals wie heute liessen Kandidaten im Hinblick auf die Begnadigung Beziehungen zur Macht spielen», schreibt das Onlinemagazin «Salon». Der einzige Unterschied: «Heute ists ein Thema.» So amnestierte Bush senior den ehemaligen Verteidigungsminister Casper Weinberger sowie weitere Angeklagte der so genannten Iran-Contra-Affäre. Mit illegal erworbenem Geld finanzierte der Ölbaron Armand Hammer den Lauschangriff von Richard Nixon, der zum Watergate-Skandal führte – Bush senior liess ihn laufen.
Jahrelang lobbyierte Hammer auf oberster Regierungsebene, etwa mit einer 100’000-Dollar-Spende an die Amtseinführungsparty von Bush. Die Begnadigung löste keinen Wirbel aus. Pikant: Armand Hammers damaliger Lobbyist, Theodore Olson, vertrat im Dezember George W. Bush vor dem Obersten Gericht. Unlängst berief der Präsident Olson zu seinem juristischen Berater.
Noch bizarrer erscheinen die Bush-Pardons für einen kubanischen Terroristen und einen pakistanischen Drogenhändler. Orlando Bosch steht unter schwerem Verdacht, 1976 in einem kubanischen Zivilflugzeug eine Bombe zur Explosion gebracht zu haben. 76 Menschen starben. Bush liess ihn laufen – weil ein lokaler Politiker aus Florida einen direkten Draht zu ihm nutzte. Es war Bushs Sohn Jeb. Die einflussreiche kubanisch-amerikanische Gemeinde Floridas zeigte sich von ihrer grosszügigen Seite. Sie beteiligte Jeb Bush an lukrativen Immobiliengeschäften. Mit Trompeten und Fanfaren unterstützte sie Jahre später die erfolgreiche Kampagne von Jeb Bush für den Gouverneursposten in Florida.
Zwei Tage bevor Bush senior das Präsidentenamt an Bill Clinton übergab, entliess er, unerwartet, Aslam Adam aus einem Gefängnis in North Carolina. Adam war zuvor zu 55 Jahren verurteilt worden, weil er Heroin im Wert von 1,5 Millionen Dollar von Pakistan in die USA geschmuggelt hatte. Die Presse schwieg. Abgesehen von einem Artikel im Musikmagazin «Rolling Stone», der die Umstände des Straferlasses nur spekulativ klären konnte, fehlt bis heute eine umfassende Untersuchung.»�