Das heisse Haus für die Karriere

Wer einmal im Weissen Haus gearbeitet hat, hat später die besten Aussichten in der Privatwirtschaft. Das Weisse Haus ist ein lukratives Sprungbrett in die Privatwirtschaft - nicht nur für ehemalige Präsidenten. Dabei ist die Tatsache, ein Insider dieser Machtzentrale zu sein, weit wichtiger als die für den neuen Job nötigen Fähigkeiten.

Von Peter Hossli

Als Bill Clinton und dessen einstiger Vize Al Gore im Dienste des amerikanischen Staates standen, hagelte es stets harsche Kritik. Etwas konnte man den beiden aber nie vorwerfen: mangelnden Arbeitseifer. Das ist nicht anders, seit sie in die Privatwirtschaft gewechselt haben. Nur drei Wochen nach dem Auszug aus Washington nahmen Clinton und Gore bereits bezahlte Arbeit an.

Schneller als Clinton meldete sich nie zuvor ein scheidender Präsident zurück. Gegen ein Honorar von 100’000 Dollar sprach er Anfang Februar in einem Privatclub in Florida, gesponsert von der Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter. Tags darauf hielt Gore seine Antrittsvorlesung an der Columbia University. Der einstige Präsidentschaftskandidat unterrichtet nun an der renommierten Journalistenschule der New Yorker Universität. Er schöpft aus eigener Erfahrung. Bevor Teilzeitprofessor Gore in die Politik eintrat, war er Reporter in Nashville, Tennessee. Für die US-Armee berichtete er über den Vietnamkrieg. Angehenden Journalisten will er nun die oft diffusen Abhängigkeiten zwischen Staatsführung und Medien darlegen – und bleibt so selbst in den Schlagzeilen.

Bill Clinton, wegen Anwaltskosten hoch verschuldet, prophezeien sämtliche Politauguren eine finanziell lukrative Karriere als Redner und Memoirenschreiber. Selbst der eher unrühmliche Abgang – das umstrittene Pardon für Financier Marc Rich, die Möbel, die er aus dem Weissen Haus abtransportieren liess – dürfte daran nichts ändern. Clinton ist der Elvis der Politik, spricht brillant und ist nach wie vor ausgesprochen populär. Berufliche Starthilfe beschert ihm das eben beendete öffentliche Amt. Eine Stelle im Weissen Haus ist in den USA das beste Sprungbrett für eine gut bezahlte Stelle in der Privatwirtschaft.

Gesucht sind Erfahrungen, die in der Privatwirtschaft selten sind

Nicht nur das Oval Office, auch die Nebenzimmer der Macht verhelfen zu lukrativen Posten. Clintons Verteidigungsminister William Cohen gründete eine Beraterfirma. Ex-Berater Jack Quinn eröffnete eine Anwaltspraxis. Sein erster Kunde heisst Marc Rich. Steile Karrieren schlagen vor allem die präsidialen Pressesprecher ein. So erhielt George Stephanopoulos, Clintons erster Sprecher, zwei Millionen Dollar für seine Memoiren und eine Stelle als Talker und Reporter beim Fernsehsender ABC.

Seine Nachfolger Mike McCurry und Joe Lockhart zogen ins Silicon Valley. Als CEO von Grassroots.com will McCurry Strategien entwickeln, wie das Internet für allerlei Kampagnen effizient eingesetzt werden kann. Lockhart stellt sich in den Dienst des Netzwerkriesen Oracle. Sein Können ist willkommen, «weil Joe Perspektiven und Erfahrungen mitbringt, die im Silicon Valley selten sind», sagt Oracle-CEO Larry Ellison.

Übersetzt heisst das: Lockhart verfügt über einen direkten Draht zur innersten politischen Macht und weiss, wie Parlamentarier und Regierungsvertreter von der Wirtschaft behandelt werden wollen. Für ein global tätiges Unternehmen, das wohlgesinnte Gesetzgeber mag, ist das ein unermessliches Gut.

Dieselben Überlegungen dürfte das deutsche Medienkonglomerat Bertelsmann angestellt haben, als es Ende Januar Joel Klein anstellte. Anwalt Klein koordinierte für die Regierung Clintons während Jahren das Antikartellverfahren gegen Microsoft. Bertelsmann hegt in Europa wie in den USA Expansionspläne. Kleins Insiderwissen im US-Kartellrecht dürfte manche Übernahme erleichtern.

Eine echte Pause gönnt sich nur die scheidende Justizministerin Janet Reno. Demnächst will sie mit einem gebrauchten Ford-Geländewagen das Land durchkreuzen, ganz alleine. Damit erfülle sie sich einen lang gehegten Traum.

Der neue Präsident, George W. Bush, brüstet sich, zahlreiche Ämter mit erfahrenen Kräften aus der Privatwirtschaft besetzt zu haben. Viele dieser Beamten kamen dort unter, weil sie zuvor im Weissen Haus wirkten. Vizepräsident Dick Cheney scheffelte in den Neunzigerjahren Millionen als Manager beim texanischen Öl- und Gasunternehmen Halliburton. Er brachte lohnende Bekanntschaften zu arabischen Ölproduzenten ein. Die sammelte er als Verteidigungsminister von George Bush während des Golfkriegs.

Als Clinton einwilligte, in Florida für 100’000 Dollar zu sprechen, gewährte er wohl Anfängerrabatt. Ex-Präsidenten können pro Rede mehr lösen. Rekordhalter ist nach wie vor Ronald Reagan, inzwischen neunzigjährig. 1989 bekam er vom japanischen Medienunternehmen Fujisankei Communications Group einen Scheck in der Höhe von zwei Millionen Dollar. Er musste zweimal zwanzig Minuten reden. Der neue Aussenminister Colin Powell liess sich in den vergangenen drei Jahren 213-mal Vorträge fürstlich entlöhnen – bis zu 80’000 Dollar pro Referat. Seinen hohen Marktwert erlangte der General während seiner ersten Karriere – im Weissen Haus unter den Präsidenten George Bush und kurz unter Bill Clinton.

Jimmy Carter verzichtete auf Geld und setzte sich für die Menschenrechte ein

Als Pionier bei bezahlten Reden gilt ein US-Präsident, an den sich nur noch wenige erinnern – Gerald Ford. Er erbte das Amt für zwei Jahre vom abgesetzten Richard Nixon, 1977 musste er Jimmy Carter weichen. Ford erkannte rasch, dass der Präsident der USA der bekannteste Mensch der Welt ist – ein medialer Superstar. Um in dessen Nähe zu sein, ihm gar die Hand zu reichen, würden viele viel bezahlen. Jährlich nahm er etwa eine Million Dollar ein. Nachfolger Carter, stets ein eher bescheidener Mensch, verzichtete aufs grosse Geld. Er schrieb Bücher und gründete eine Menschenrechtsorganisation. Und Reagan und Bush besannen sich aufs schnelle Geldverdienen und überliessen das Retten der Welt anderen.