«Viele wollen einen Film über mein Leben drehen»

Seine Theglobe.com war eine der heissesten Adressen der Internetszene und er mit 24 schon dutzendfacher Millionär. Nach zwei Jahren steht der Schweizer Stephan Paternot wieder fast vor dem Nichts, schreibt ein Buch und hofft darauf, dass Hollywood sein Leben verfilmt. Der amerikanische (Alb-)Traum im Zeitraffer.

Von Peter Hossli

01_paternot_03.gifEr galt als Wunderkind der Internetgeneration. Einer, der den amerikanischen Traum lebt. Zusammen mit Studienfreund Todd Krizelman gründete der 26-jährige Waadtländer Stephan Paternot 1994 als 20-Jähriger an der Cornell University im Bundesstaat New York die Hightechfirma Theglobe.com. Noch bevor das Internet ins öffentliche Bewusstsein drang, hatte Paternot eine Vision: Er wollte die globale digitale Gesellschaft. Die würde sich im Internet von überall her auf Theglobe.com treffen, dort Gedanken und Ideen austauschen, chatten, einkaufen, eigene Clubs gründen und spielen. Möglichst viele Aspekte das täglichen Lebens, war er überzeugt, würden künftig online bei ihm erledigt.

Der Markt war vorerst angetan. Der Börsengang von Thglobe.com schrieb im November 1998 Geschichte. Um über tausend Prozent schoss die Aktie am Eröffnungstag in die Höhe, auf rund 600 Prozent schloss sie, ein bis heute unerreichter IPO-Rekord. Zwischenzeitlich besassen die beiden Gründer rund 50 Millionen Dollar – auf dem Papier. Die Medien feierten sie wie Popstars, CNN und «New York Times» berichteten. Auch die Schweiz hatte mit Paternot ihren Internetmillionär. Als «wonder-boys romands» feierte «L’Illustré» die beiden Neureichen, und auch CASH fand lobende Worte für die beiden Firmengründer.

Seither gings bergab. Im Frühling 2000 platzte die Internetblase. Vier Cents war die Aktie von Theglobe.com im letzten Dezember noch wert. Am ersten August räumten Paternot und Krizelman ihre Posten als Co-CEO. Nun versucht der erfahrene 53-jährige Manager Charles Peck, die Firma in die Gewinnzone zu bringen. Paternot und Krizelman haben sich vom Tagesgeschäft in den Verwaltungsrat zurückgezogen. Lohn beziehen sie keinen mehr. Paternot hat sein Interesse aufs Geschichtenerzählen verlegt. So verfasst er eine Autobiografie, die im Herbst in die Buchläden gelangt. Im vergangenen Jahr produzierte er zwei Kurzfilme. Im einen, «Shutter», verkörpert er sogar die Hauptrolle, mitsamt erotischer Bettszene. Der 24 Minuten lange Film ist auf www.filmfilm.com zu sehen.

01_paternot_06.gifStephan Paternot, es ist Donnerstagnachmittag. Sie sitzen in Jeans und Pulli auf der Couch. Warum sind Sie nicht im Büro Ihrer Firma Theglobe.com?
Stephan Paternot: Seit August wird Theglobe von einem neuen CEO gelenkt. Ich gehe nur noch hin, wenn ich gebraucht werde.

Das scheint selten vorzukommen. Die Globe-Pressestelle wollte verhindern, dass Sie ein Interview geben und sich zur Firma äussern.
Paternot: Niemand kann mir verbieten, über mich zu reden. Zum Globe nehmen jetzt aber andere Stellung.

Sie haben eine grosse Internetfirma aufgebaut und erfolgreich an die Börse gebracht. Nun wurden Sie abgehalftert. Wie fühlt sich ein Internet-Wunderkind, das plötzlich nicht mehr mittun darf?
Paternot: Der Wechsel war schon einschneidend. Schliesslich ist Theglobe unser Baby. Wir haben es kreiert und aufgebaut. Dann erkannten wir, dass das Baby einen erfahrenen CEO benötigt, um zu gedeihen. Überdies sagen mir kreative Dinge mehr zu als administrative.

Sind Manager nicht kreativ?
Paternot: Zwei Jahre lang war ich CEO. Sich um Personalfragen und Aktienkurse zu kümmern bereitet wenig Spass. Längerfristig mochte ich das nicht tun. Am Tag, als Todd Krizelman und ich Theglobe gründeten, schworen wir uns, so lange dranzubleiben, bis uns der Spass vergeht. Er verging, als die Aktie einbrach und die Internetblase barst. Der Druck wurde enorm.

Zu viel für einen 25-Jährigen?
Paternot: Meine Prioritäten haben sich verschoben. Als ich mit Theglobe anfing, war ich 20. Jetzt bin ich an einem anderen Punkt angelangt. Ich suche nach Beschäftigungen, die persönlicher sind.

Sind Sie nicht etwas jung, um sich auf Sinnsuche zu begeben?
Paternot: Meine Midlifecrisis kam mit 26. Es ist schon komisch, sich in diesem Alter neu orientieren zu müssen. Ausser Theglobe habe ich ja noch nichts gemacht. An einem Vorstellungsgespräch war ich noch nie.

Der neue Globe-CEO ist über fünfzig. Er war Offizier der Marines. Brauchts die harte Hand eines Generals, um der Internetjugend die Flausen auszutreiben?
Paternot: Wer ein Unternehmen aufbaut, braucht eine gute Idee und muss pausenlos strampeln. Das machten wir. Jetzt brauchts jemanden, der die Firma in die Gewinnzone bringt. Stabwechsel gehören zu jeder Neugründung.

Einst zählten Sie zu den reichsten Internetunternehmern …
Paternot: … reich? Ich war nie reich, höchstens auf dem Papier. Die Medien überhöhten unsere Geschichte. «Diese zwei Kids-Milliardäre», titelten sie. Was für ein Schwachsinn! Wir waren nie Milliardäre. Wir hatten überhaupt nie viel Geld. Wir hatten Aktien einer Firma.

Die Globe-Aktie ist von 97 Dollar auf einen halben Dollar gesunken. Wie kommen Sie damit zurecht?
Paternot: Für mich ist das kein Problem. Ich hatte nie den Lebensstil eines hundertfachen Millionärs. Ich lebe das Leben eines normalen Twens. Häuser, Limousinen und Jachten habe ich mir keine gekauft. Wir haben gearbeitet, nicht geprasst.

Sie besitzen nicht fünf Häuser auf fünf Kontinenten?
Paternot: Ich wünschte, es wäre so.

Dann bedauern Sie es, Ihre Aktien nicht früher verkauft zu haben?
Paternot: Niemand verliert gerne Geld. Als die Aktien hoch waren, dachten wir, sie gingen noch höher. Ans Verkaufen dachte keiner. Verbittert bin ich aber nicht. Ein bisschen Geld habe ich ja verdient, etwa so viel, wie ein anderer mit einem regulären Job.

Wie viel Geld besitzen Sie heute?
Paternot: Als ich anfing, hatte ich null. Jetzt habe ich null und ein bisschen. Das ist ganz okay.

Die Medien feierten Sie als Wunderkind. Dieselben Journalisten witzeln nun über Internetpleiten. Schmerzt das?
Paternot: Dieselben Journalisten waren vor sechs Jahren schon Journalisten. Sie sind es noch immer. Ich hingegen habe die Welt gesehen. Die Presse zieht oft kurze Kicks aus Ups und Downs. Sie spülen dich hoch und lassen dich fallen. Risiken gehen die Medien dabei selten ein. Wer kein Risiko wagt, gewinnt nichts. Wer riskiert, rechnet damit zu scheitern. Ich ziehe es vor, zu lieben und zu verlieren, als mit dem Wissen zu sterben, nie geliebt zu haben.

Sie mussten hunderte von Leuten entlassen. Wie fühlte sich das an?
Paternot: Es ist beklemmend, Verantwortung für 350 Angestellte zu tragen. Glücklicherweise musste nicht ich die Entlassungen vornehmen. Der neue CEO hat die blauen Briefe verschickt.

Die Optionen auf Globe-Aktien, die Sie einst den Mitarbeitern verteilt haben, sind auch nichts mehr wert. Haben Sie noch Freunde beim Globe?
Paternot: Theglobe zahlt gute Saläre. Die Aktien sind eher der Zuckerguss auf dem Kuchen. Vielleicht werfen sie mal einen Extrabonus ab.

Im Herbst kommt Ihre Autobiografie. Wird es eine Tragödie?
Paternot: Ach wo. Es ist die Geschichte eines europäischen Kindes, das nach Amerika kommt und den amerikanischen Traum lebt. Es wird hochgeschwemmt, fällt runter – und macht trotzdem weiter.

Mit was haben Sie mehr Geld verdient, mit Theglobe oder mit diesem Buchvertrag?
Paternot: Mit Büchern verdient nur Stephen King Geld.

Was können Sie noch übers Internet erzählen, das nicht schon alle wissen?
Paternot: Die erste persönliche und ehrliche Story. Ich zeige, wie lustig und wie schwierig es ist, ein Internetbusiness aufzubauen. Es gibt Tage, an denen man jauchzt. An anderen weint und blutet man.

Klingt nach melodramatischem Kino.
Paternot: Es gibt in Hollywood etliche Produzenten, die einen grossen Film über mein Leben drehen möchten.

«Wall Street» der Internetgeneration?
Paternot: Schon eher «Rocky». Ich will ähnliche Geschichten über das Internet schreiben, wie sie «Rocky» über das Boxen erzählt hat. Das inspiriert die Leute.

Rocky hat in Teil 1 verloren.
Paternot: Er hat trotzdem gewonnen. Er hat sich gut gefühlt, weil er gut geboxt hat. So sehe ich meine Geschichte und die Geschichte des Internets. Viele haben extrem hart fürs Internet gearbeitet. Sie verdienen es, glorifiziert zu werden.

Kaum ein Schweizer schafft den amerikanischen Traum. Warum gelang er Ihnen?
Paternot: Meine Mutter ist Amerikanerin, ich kam in San Francisco zur Welt. Nachdem sich meine Eltern früh scheiden liessen, zog ich umher. In keinem Land lebte ich länger als sechs Jahre. Das zwang mich, selbstbewusst zu werden. Freunde kamen und gingen. Zuhause wechselten. Zur Schule ging ich in der Schweiz und in England. Erst in den USA wurde ich ermutigt zu träumen. Hier träumen alle, niemand lacht über Träumer.

Was gefällt Ihnen an den USA?
Paternot: Es gibt kein Klassensystem. Du wirst nur auf Grund des Vermögens beurteilt, das du dir selber schaffst.

Also doch ein Klassensystem.
Paternot: Wenn du mit Geld um dich wirfst, das du geerbt hast, schaut man auf dich herab. Ehrfurcht ernten nur die, die mit nichts kamen und es allein geschafft haben.

Hätten Sie Theglobe in der Schweiz starten können?
Paternot: Niemand hindert dich daran, es dort zu versuchen. Allerdings passiert sehr wenig. Hinsichtlich Internet liegt die Schweiz weit zurück. Der Gesellschaft fehlt die kulturelle und unternehmerische Revolution. Wenn du mal scheiterst, bist du für immer weg.

Was empfinden Sie für die Schweiz?
Paternot: Es ist meine Heimat. Ein konservativer Ort, an dem ich mich aber wohl fühle. Ich bin ganz froh, dass sich dort kaum was ändert. Es ist eine Insel, auf der man sich von der Hektik der restlichen Welt erholen kann. Zudem gibts die beste Schokolade.

Die Blase ist geplatzt. War das Internet bloss ein Hype?
Paternot: Ja und nein. Der Job eines Unternehmers ist es, eine Idee zu verkaufen. Viele haben ihre Ideen zu teuer verkauft. Deshalb hatten sie Erfolg. Wenn jemand sagte, er werde 10 Millionen verdienen, interessierte das niemanden. Wenn er versprach, 100 Millionen Dollar zu verdienen, sprangen die Investoren sofort auf. Es war wie eine Religion. Jetzt endlich beurteilen die Investoren Fakten.

Viele schreiben das Internet nun aber ab. Hat es noch eine Zukunft?
Paternot: Das Internet ist da, es wird nie mehr weggehen. Und es wird weiterwachsen. Bloss: Es wird damit weit weniger verdient als prophezeit.

Wie unterscheidet sich der Crash im Jahr 2000 von jenem im Jahr 1987?
Paternot: Die Internetgeneration hat etwas Neues kreiert, eine bahnbrechende Technologie. In den Achtzigern war das Neue die finanzielle Revolution. Bis dahin hatte noch niemand richtig begriffen, was mit Geldtransaktionen alles gemacht werden kann.

Die Investoren haben Milliarden in Kinder wie Sie investiert. Wäre Theglobe nicht erfolgreicher gewesen, wenn von Beginn weg ein gestandener CEO das Zepter geführt hätte?
Paternot: Theglobe hätte in dieser Form wahrscheinlich nie existiert. Als wir starteten, war kein Topmanager bereit, den gut bezahlten Job aufzugeben und allein für Optionen zu arbeiten.

Sie sagten einst, Sie wollten die gesamte Gesellschaft ins Internet verlegen. Passiert ist das nicht.
Paternot: Es war eine Vision. Dennoch leben heute sehr viele irgendwie online. Wir kaufen und recherchieren online, wir lesen Zeitungen und verschicken E-Mails. Es war das Ziel von Theglobe, die Onlinegesellschaft zu begründen. Niemand kann bestreiten, dass dies eingetreten ist.

Wie gehts weiter mit dem Internet?
Paternot: Es wird weiterwachsen. Die Technologie wird besser. Und es wird nie mehr einen Hype darum geben.

Was passiert mit Theglobe?
Paternot: Dazu sage ich nichts. Rufen Sie den CEO an.

Stichworte

Marc Rich: Weiss wenig darüber, verfolge aber den Fall.

Steve Jobs: Die Verkörperung einer ganzen Computerindustrie in einer einzigen Person.

Bill Gates: Eine Ikone für und gegen unternehmerische Aktivitäten.

George W. Bush: Vier schwierige Jahre.

Internetbrowser: War 1995 wichtig. Niemanden interessierts 2001.

Doppelbürger: Möglichkeit, um zu flüchten.

New York: Am besten, wenn man jung ist.

Jugend: Die beste Zeit im Leben, um ein Risiko einzugehen.