Von Peter Hossli
Schon das erste Heft provozierte und schlug die gewollt riskante Richtung ein. “Das neue Gesicht der arabischen Frau”, titelte “Newsweek Arabic” am 6. Juni über dem Porträt der bildhübschen und selbstbewusst blickenden Königin Reina, der jungen Herrscherin von Jordanien. Dazu erschien ein ausführliches Gespräch mit dem aufgeschlossenen jordanischen Thronfolger, King Abdullah.
So nicht, meinten dazu die Zensoren im Libanon. Umgehend zogen sie sämtliche Magazine ein und liessen sie einstampfen. Eine Woche später widerfuhr den Zeitungshändlern in Beiruts engen Gassen erneut dasselbe Leid. Der eben verstorbene syrische Staatschef Hafez al-Assad guckte vom Titelblatt der zweiten “Newsweek”-Ausgabe. Prompt wurde sie zensuriert, im Libanon wie anderntags im benachbarten Syrien. Sieben Tage vergingen, und libanesische und syrische Zensoren griffen erneut ein – der propere britische Geburtstagscharmeur Prinz William lächelte beherzt vom Cover.
Interkulturelle Kommunikation
“Keine Rücksicht nehmen” auf solche Behinderungen mag der Chefredaktor des ersten vollständig arabischen US-Magazins, Mohammed al-Jassem. “Ich drucke alle Artikel nach journalistischen, nicht politischen Überlegungen”, sagt er in einem E-Mail-Interview. “Redaktionelle Glaubwürdigkeit” würden die Verbote verleihen, sagt der Vizepräsident von “Newsweek International”, François Verglas – “und viel Aufmerksamkeit”.
Bereits mit Erfolg. Arabische Zeitungen wie Fernsehstationen berichteten ausgiebig über die Neulancierung und bezeichneten das bunte Journal als “grösstes Medienereignis seit Jahrzehnten”. Schon in der ersten Ausgabe verdeutlichte Chefredaktor al-Jassem im Editorial seine Absichten: “Ein paar der Geschichten oder Ansichten könnten in der arabischen Welt als ungeeignet oder gar feindschaftlich aufgefasst werden”, schrieb er, “allerdings müssen wir uns fragen, inwiefern die Auseinandersetzung mit solchen Themen tatsächlich schädlich ist.” Er sieht das westliche Magazin als “Medium, über das die US-Kultur und arabische Leser miteinander kommunizieren”. Von amerikanischem Kulturimperialismus will er nichts wissen. “Information ist ja ein Synonym für Macht.”
In Kuwait City leitet al-Jassem die siebenköpfige Redaktion von “Newsweek Arabic”. Seit dem 6. Juni verlegt er wöchentlich eine arabische Version des erfolgreichen Nachrichtenmagazins. Ein Grossteil der Texte schreiben angestammte “Newsweek”-Autorinnen und -Korrespondenten. Arabische Mitarbeiter in Washington D.C. bearbeiten und übersetzen sie. Texte und Bilder montiert der Zeitungsverlag Dar al-Watan, der Wochen- und Monatsmagazine sowie die grösste kuwaitische Tageszeitung, “al-Watan”, herausgibt. Chefredaktor al-Jassem steht sowohl der kuwaitischen Zeitung wie “Newsweek” redaktionell vor.
Alle Anzeigen und Artikel sind in arabischer Kalligrafie abgefasst. Das Heft liest sich von rechts nach links. Wo im Westen ein Magazin endet, beginnts im Osten. Etwas überraschend füllen auf der Leute-Seite westliche Stars in knappen Kleidchen die Spalten. Bloss in ein weisses Badetuch gehüllt, lächelt Schauspielerin Sarah Jessica Parker in die Kamera. Tiefe Einsichten in den Ausschnitt von Serien- und Silikonstar Pamela Anderson ermöglicht eine andere Fotografie. “In manchen arabischen Ländern dürfen wir per Gesetz keine «unanständigen Bilder» drucken”, sagt al-Jassem, “ich versuche Anstössiges meist zu vermeiden. Allerdings entscheide nur ich darüber.”
Bis 2002 schwarze Zahlen
Allzu viel Kontrolle bleibt ihm ohnehin nicht. Der Inhalt entsteht fast ausschliesslich in den USA. “Al-Watan”-Journalisten tragen nur unwesentlich zu “Newsweek Arabic” bei. Es seien jedoch Bemühungen im Gang, lokale Schreiber auszubilden und sie “auf das Niveau von «Newsweek» zu bringen”, sagt al-Jassem. Er hofft überdies, bis 2002 schwarze Zahlen schreiben zu können. Als “bedeutende Märkte” bezeichnet “Newsweek International”-Vize François Verglas Nordafrika und den Mittleren Osten. “Wir wollen dort unseren Einfluss und unsere Präsenz rasant vergrössern.” Er strebe nicht bloss den Verkauf von Lizenzen, sondern die rasche Verbreitung redaktioneller Inhalte an. Farbige Anzeigenseiten für 6000 Dollar das Stück hätten sich für die ersten Nummern bereits gut verkauft, sagt Verglas. Da “Newsweek” die Lizenz an al-Watan abtrat, muss er sich jedoch weniger um den Erfolg des Magazins kümmern. Die Druck- und Marketingkosten übernehmen gänzlich die Kuwaiter.
Bilder aus Bahrain
Etwas urtümlich mutet die Bildübermittlung von der Zentrale in Washington in den Persischen Golf an. Jeweils kurz vor Redaktionsschluss fliegt einer der sechs Redaktoren nach Bahrain, nimmt am Flughafen ein paar Disketten in Empfang und jettet gleich wieder zurück. “In Kuwait sind wir technisch noch nicht so weit, um Bilder elektronisch zu empfangen”, sagt Chefredaktor al-Jassem.
Bescheiden fällt die Auflage aus. Derzeit gelangen 30 000 Hefte im Persischen Golf, im Mittleren Osten sowie in Nordafrika an die Kioske. In grösseren US- und europäischen Städten wird das Heft ebenfalls abgesetzt. Chefredaktor al-Jassem verzichtet auf den Verkauf in Libyen, Tunesien und dem Irak. Nach wie vor unterhält Kuwait keinerlei Beziehungen zum Irak. Libyen und Tunesien lehnten das Magazin generell ab.
Globale Präsenz
Kein anderes amerikanisches Nachrichtenmagazin vergibt derzeit Lizenzen im Ausland. “Newsweek” hingegen strebt eine möglichst globale Präsenz an – auch im Hinblick auf die Verbreitung von fremdsprachigen Nachrichten per Internet. Bereits erhältlich sind “Newsweek”-Ausgaben auf Japanisch (Auflage: 130 000), Spanisch (Auflage: 52 000), Koreanisch (Auflage: 90 000) sowie das russische Magazin “Itogi” (Auflage: 85 000), an dem sich “Newsweek” finanziell und redaktionell beteiligt. Das arabische “Newsweek” passe ins global ausgerichtet Konzept des Verlags, glaubt al-Jassem. “So können viele arabische Leser endlich westlichen Nachrichten folgen.”