Reicht der Atem für Oxygen?

In den USA ist ein moderner Fernsehkanal für urbane, karrierebewusste Frauen gestartet. Von Beginn weg vereint sind Fernsehen und Internet. Trotz prominenter Investoren scheint der Erfolg fraglich.

Von Peter Hossli

Männer wie Frauen mögen Frauen, weil denen keine Haare auf den Buckeln spriessen. “Kahle Rücken” seien einer der vielen “grossartigen Gründe, Frau zu sein”. Genauso das famose Privileg, beim raschen Untergang auf hoher See zuallererst ins Rettungsboot zu steigen. Frech und auf grossen Plakaten wirbt seit Monaten das neue New Yorker Medienunternehmen Oxygen Media um urbane Zuschauerinnen und kecke Internetsurfer. Frausein ist dort Programm.

Gestern nun ging Oxygen – zu Deutsch: Sauerstoff – auf Sendung. Zehn Millionen US-Haushalte inhalierten eine kräftige Dosis Weiblichkeit. Einflussreiche Medienfrauen erfanden, befehligen, moderieren und leiten Oxygen. Als eine der “ambitiösesten Neugründungen in der jüngeren amerikanischen Fernsehgeschichte” bezeichnet die US-Wochenzeitung “New York Observer” den femininen Spartenkanal. Der strahlt nonstop Talkshows, Finanz- oder Gesundheitstipps für Frauen aus. Erstmals erzeugt ein Fernsehsender echte Synergien mit der dazugehörigen gleichwertigen Website. “Das Internet ist ebenso wichtig wie das Geschehen auf dem TV-Schirm”, sagt Oxygen-Gründerin und Chefin Geraldine Laybourne, 52. “Die Zukunft des Fernsehens gibt das Internet vor.”

Laybourne muss es wissen, sie gehört zu den visionärsten Personen des US-Fernsehens. Bevor die ehemalige Lehrerin 1999 Oxygen gründete, formte sie während 15 Jahren aus dem kleinen Kinderkanal Nickelodeon einen wichtigen Bestandteil der amerikanischen Jugend. Inzwischen ist Nickelodeon US-Kids so vertraut wie Erdnussbutter. Jetzt will Laybourne den Spartenerfolg für Frauen wiederholen. Schliesslich zählen diese zur “von den Medien am wenigsten bediente Gruppierung”. Abgesehen von den immer gleichen Modebeiträgen gebe es für sie kaum Sehenswertes. Diese Lücke will sie jetzt schliessen. Erste Anlaufstelle für alles Weibliche soll Oxygen werden, im globalen Datennetz wie am Fernsehen.

Laybourne peilt urbane Frauen an, die mitten im Leben stehen, arbeiten, reichlich Geld verdienen, es selbst verwalten und investieren möchten, die konsumieren, das politische Geschehen beachten, sich um ihre Gesundheit kümmern und dazu aufregende Beziehungen leben, ob mit Männern oder Frauen. Ein Medium für Superfrauen zwischen 18 und 60. Oxygen führt zusammen, was scheinbar nicht zusammenpasst: modernste Technologie und interaktive Fernsehzukunft, gepaart mit Mutterglück, Menstruationsschmerzen und Tipps für die Menopause. Einzige Mission sei es, Frauen zu inspirieren.

Talk über Tabus

Nicht dröge, sondern lustvolle und pragmatische Feministinnen sollen Oxygen gucken. Die meditieren morgens zur Sendung “Inhale” und lernen über Mittag in der Investmentshow “ka-Ching”, dass Frauen nur dann mächtig sind, wenn sie ihr Geld kontrollieren. In “Pyjama Party” wird spät nachts über Tabus getalkt. Die Nachrichtensendung heisst schlicht “Pure Oxygen”. 55 Stunden pro Woche produziert Oxygen eigene aufwändige Programme. Auf alte Serien wird vollständig verzichtet. Besonders originell scheint die Sendung “X-Chromosome” zu sein. Unverfroren schildern Trickfilmer zur Hauptsendezeit animierte Alltäglichkeiten. Laybourne hofft, so junge Frauen anzusprechen.

Laybourne, als vife und knallharte Managerin geschätzt, ist die Mutter von Oxygen. Dazu heuerte sie etliche einflussreiche Frauen an, etwa die Hollywoodproduzentinnen Marcy Carsey und Caryn Mandabach. Als Pressesprecherin und juristische Beraterin wirkt Cheryl Mills. Die schwarze Anwältin verteidigte Bill Clinton während dessen Amtsenthebungsverfahren. Dazu Oprah Winfrey, unbestrittene Königin des Talks und eine der bestbezahlten Figuren der Unterhaltungsbranche. Sie moderiert “Oprah Goes Online”, ein kühnes Projekt: Winfrey, von berufstätigen wie haushaltenden Frauen gleichermassen bewundert, erklärt darin Computerunkundigen die vielen Möglichkeiten des Internets. Das Ziel der Webshow: Oxygen.com soll für Millionen von Amerikanerinnen das Einstiegsportal ins Internet werden. In den USA kaufen mehr Frauen online ein als Männer. Auf dieses Potenzial setzt Oprah.

Oxygen kostete bis Sendebeginn rund eine Milliarde Dollar. Namhafte Investoren zahlen mit. So beteiligen sich America Online (AOL), AT&T und Microsoft-Gründer Paul Allen, alles Kabelfirmen, über die Oxygen demnächst ausgestrahlt werden soll. Ausserdem kaufte sich Bernard Arnault ein. Der Lenker des französischen Luxusfabrikanten LVMH beabsichtigt, Nobelmarken wie Christian Dior, Givenchy oder Louis Vuitton über den Fernsehsender und die Oxygen-Website an die Frau zu bringen.

Verstopfte Leitungen

Trotzdem bezweifeln Medienbeobachter, ob sich Oxygen tatsächlich behaupten wird. Lifetime, den zweiten, eher traditionellen Frauenkanal, empfangen über 75 Millionen Haushalte. Oxygen erreicht erst 10 Millionen. In den beiden lukrativsten TV-Märkten, New York und Los Angeles, fand der Sender bisher keine Aufnahme in die Kabelnetze. Zu verstopft sind dort die Leitungen. Die Kosten der teuren Originalprogramme will Oxygen überdies den Kabelbetreibern aufbürden. Die zögern. Noch steht nämlich nicht fest, ob Oxygen genug zusätzliche Kabelabonnements absetzen wird.

Dass US-Frauenkanäle überhaupt Furore machen, überrascht wenig. Die hiesige Medienwelt ist weiblich. Journalistinnen besetzen einflussreiche Posten. Weil die Politik US-Frauen weitgehend versperrt bleibt, gelangen viele in die Medien. “Journalismus ist unser politischer Ersatzspielplatz”, sagt die Fotochefin des US-Magazins “In Style”, Allyson Torrisi. So leitet Judy Woodruff die viel beachtete CNN-Politshow “Inside Politics”. Der CNN-Börsensendung “Moneyline” steht Willow Bay vor. TV-Veteranin Barbara Walters und Diane Sawyer bestimmen Inhalte und Stil des Nachrichtenmagazins “20/20”. Chefredaktorin Martha Nelson führte das Glitzerheft “In Style” in Kürze zu finanziellen Höhenflügen. US-Kommunikation ist Frauensache. Oder, wie Oxygen wirbt: “Das erste Wort, das Menschen reden: Mama.”