US-Politik ist Männersache

Das höchste Amt in den USA hat noch nie eine Frau bekleidet. Der amerikanische Politmechanismus macht es dem weiblichen Geschlecht schwer.

Von Peter Hossli

Erhobenen Hauptes ist die Lady in Pink abgetreten. Betreten stand ihr Gatte daneben. Eine Stimme hatte zwar noch niemand abgegeben, doch die Umfrageergebnisse waren zunehmend besser ausgefallen. Das Geld floss. Trotzdem zog sich Elizabeth Dole, Trägerin meist pastellfarbener Deuxpièces, im Beisein ihres weinenden Ehemanns Ende Oktober aus dem Rennen um das Weisse Haus zurück.

Die Expräsidentin des amerikanischen Roten Kreuzes sah “nicht die geringste Chance”, die Nomination der Republikanischen Partei zu gewinnen. Das “Phänomen George W. Bush” könne sie nicht schlagen. Der texanische Favorit der Republikaner habe achtzigmal grössere finanzielle Ressourcen beisammen. “Luft reicht nicht aus, um zu kandidieren”, sagte sie. “Gegen diese Dollarfülle kann niemand etwas ausrichten.”

Ein Zeitvertreib für Herren

Bestimmt keine Frau. Amerikas Politauguren haben für Doles Scheitern vorab eine Begründung parat: das Geschlecht der an sich populären Kandidatin. “Frauen haben in der US-Politik nichts zu suchen”, sagte ein Kommentator auf CNN. “Sie schaffen weder bei Wählern noch Spendern ausreichendes Vertrauen.” Politik ist in den USA, die in feministischer Hinsicht sonst progressiv sind, ein Zeitvertreib der Herren.

Zahlen belegen dies eindrücklich. Ins Weisse Haus hat es trotz 21 Anläufen noch keine Frau geschafft, weder als Präsidentin noch als Vize. Nur drei der fünfzig US-Bundesstaaten sind weiblich regiert. In den beiden Kammern des 535-köpfigen Parlaments sitzen nur 12 Prozent Frauen. Eine erbärmliche Quote. In der Schweiz sitzen immerhin 23 Prozent Frauen in National- und Ständerat, in Schweden stellen sie sogar die Hälfte des Parlaments.

In Amerika aber mangelt es Politikerinnen an medialer Öffentlichkeit. Im bereits auf Hochtouren laufenden Wahlkampf trat, abgesehen von Dole, bis anhin nur eine Frau ins Rampenlicht: First Lady Hillary Clinton. Deren Versuch, im nächsten Jahr Senatorin von New York zu werden, deuten Beobachter jedoch als Verzweiflungsakt einer von den Lümmeleien ihres Gemahls zutiefst gekränkten Karrieristin. Reelle Chancen geben ihr wenige.

“Politik ist in den USA seit jeher reine Männersache”, sagt die Politologin Mary Hawkesworth, Direktorin des renommierten Centers for American Women and Politics an der Rutgers University. “Die Politiker glauben, ein unwiderrufliches Geburtsrecht auf Regierungsposten und Parlamentssitze zu haben.” Nicht so die Frauen. Der Befund überrascht angesichts der Tatsache, dass die Amerikanerinnen seit Jahrhunderten mitwählen.

Als die Kolonien der Neuen Welt noch im Aufbau waren, beteiligten sich Siedler wie Siedlerinnen am politischen Prozess. Erst die Revolution und die Verfassung beendeten dies 1787 für kurze Zeit. Ausgerechnet die Hinterwäldler von Kentucky gaben den Frauen 1834 das Stimm- und Wahlrecht zurück. Es folgte Staat um Staat. 1848 verabschiedeten Suffragetten eine Unabhängigkeitserklärung mit den Worten “Alle Männer und Frauen sind gleichberechtigt geboren”. Das war der Anfang des politischen Feminismus in den USA. Frauen geniessen seit 1920 – länger als in den meisten europäischen Ländern – landesweit dieselben politischen Rechte wie Männer.

Es kam noch besser. Die Sechzigerjahre brachten die Pille und sexuelle Freiheiten, Jobs in der Privatwirtschaft und Bürgerrechte für alle. Minoritäten und Benachteiligte – eingeschlossen Frauen – geniessen seither dank “Affirmitive Action”-Programmen hinsichtlich der Vergabe von Verwaltungs- oder Universitätsposten reale Privilegien.

Heute fliegen Pilotinnen in Kampfjets, verdienen Schauspielerinnen in Hollywood fast so viel wie Akteure. Richterinnen sprechen an oberster Stelle Recht. Sportlerinnen erzielen höchste Einschaltquoten. Professorinnen lehren an Topuniversitäten. In den Medien haben zunehmend vife Journalistinnen das Sagen. US-Präsident Bill Clinton hat 41 Prozent der Regierungsposten mit Frauen besetzt. Und wirtschaftlich denken US-Frauen ohnedies längst selbstständig: Seit Mitte des 19. Jahrhundert gilt die Gütertrennung innerhalb der Ehe.

Bei vom Volk besetzten Ämtern hapert es jedoch mächtig. Obwohl heute mehr Frauen als Männer wählen und Frauenthemen – Abtreibung, das Gesundheitswesen, Sicherheit an Schulen – die politische Diskussion mehrheitlich bestimmen. Die Hauptschuld an der krassen Untervertretung trage das Majorzwahlsystem, sagt Politologin Mary Hawkesworth. Jede Wahl ist eine Personenwahl. Frauenlisten gibt es nicht. Sowohl die Demokraten wie die Republikaner vernachlässigen parteiinterne Förderungsprogramme. Statt dessen würden Frauen von beiden Fraktionen “offen entmutigt anzutreten”, sagt Hawkesworth. Ein Mann überlasse die Kandidatur nur dann einer Frau, “wenn er chancenlos” sei.

Laut einer unlängst veröffentlichten Studie der Rutgers University wehren sich Politiker gegen Amtszeitbeschränkungen, meist zum Nachteil der Frauen. Posteninhaber werden traditionellerweise wieder gewählt. Kommissionssitze werden im Kongress nach Amtsdauer vergeben, nicht auf Grund von Fähigkeiten. Frauen – politische Newcomerinnen – bleiben draussen.

Zusätzlich hindern gesellschaftliche Schranken Amerikanerinnen am Politisieren. Männer besassen in den USA von Beginn weg das Bürgerrecht, sie hatten sich am Aufbau des Staates zu beteiligen. Bei den Frauen hingegen galt allein das Muttersein als politische Pflicht. “Was die Nazis in den Dreissigerjahren priesen”, sagt Hawkesworth, “dem huldigte Amerika zu Beginn des 19. Jahrhunderts: die Verherrlichung der Mutter und damit die Reduzierung der Frau aufs Gebären.”

Diese Anschauung hat überlebt. Unzählige Werbekampagnen sprechen heute gezielt den Mutterinstinkt an. Die Popkultur verherrlicht Mütter in Filmen und Soapoperas. Die Demokratische Partei hat Mitte Jahr sogar eine Einheit geschaffen, die sich ausschliesslich mit Mutterfragen befasst. Muttersein und eine politische Karriere liessen sich in den USA kaum vereinbaren, schrieb Madeleine Kunin, die einstige US-Botschafterin in der Schweiz, 1998 im TA.

Die Zukunft sieht Mary Hawkesworth düster. Das frauenfreundliche “Affirmitive Action”-Programm steht unter Beschuss von rechts. Es sei verfassungswidrig, sexistisch und rassistisch, wenn Schwarze und Frauen bevorzugt würden, lautet die Argumentation. Optimistischer gibt sich die Harvard-Professorin und einstige US-Botschafterin in Österreich, Swanee Hunt: “Wir machen Fortschritte”, sagt sie. Allerdings seien die “so zähflüssig wie Melasse im Winter”.

Einseitige Berichterstattung

Dass Frauen fähig sind, bewies Elizabeth Dole, 62. Ihre Kampagne lief hervorragend an. Die Hälfte ihres Spendengeldes kam von Frauen, von denen normalerweise nur ein Viertel das Checkbuch zückt, um Kandidaten zu unterstützen. Dole mobilisierte Leute, die sonst nicht zur Urne gehen: Highschool-Schülerinnen, Studierende, junge Berufsleute. Ihre Wahlauftritte fanden oft in vollen Sälen statt.

Gleichwohl ignorierte die Presse die Kandidatin. “Wir wollten nicht auf eine Verliererin setzen”, sagt CNN-Journalistin Judy Woodruff. “Das ist schlecht für die Quoten.” Schlagzeilen in breiten Lettern erhielt Elizabeth Dole erst nach einem schweren Vertrauensbruch ihres Mannes. Hämisch berichteten die Medien, als Gatte Bob Dole verlauten liess, er unterstütze finanziell die Kampagne von Senator John McCain. Dole, der als Präsidentschaftskandidat 1996 kläglich an Clinton gescheitert war, räumte der eigenen Frau öffentlich allerhöchstens “geringe Chancen” ein.