Dünner wird höchstens der Geldbeutel

Amerikaner mampfen für 50 Milliarden Dollar Diätprodukte: Die Zahl der Dicken nimmt trotzdem alarmierend zu.

Von Peter Hossli

Wer das Disneyland in Los Angeles betritt, erschrickt mächtig. Nicht grinsende Mickymäuse, viele fröhliche Dicke lassen einem erschaudern: Die Cola in der einen, Pommes in der anderen Hand, wackeln kolossale Fleischberge auf Achterbahnen zu: Weissliches Fett quillt über beige kurze Hosen. Baumdicke Beine verrammen sich in ungeschnürten Turnschuhen. Unaufhörlich schwitzen halslose rosa Häupter.

Besucher aus Europa finden Bestätigung: Amerika ist das Land der Vielfrasse und Dickwanste. US-Wissenschaftler belegten das letzte Woche mit einer Studie. Dicksein gilt jetzt in Amerika offiziell als «Epidemie» und «eine der hauptsächlichen Todesursachen».

Die USA haben während den Neunzigern reichlich zugelegt. Trotz Fitnesswahn und spindeldürren Starlets verdoppelte sich die Zahl wirklich Dicker dort innert acht Jahren. Ein Fünftel der Amerikanerinnen und Amerikaner, so die im Journal der American Medical Association publizierten Studie, ist in gefährlichem Masse fettleibig. Gar die Hälfte sei zumindest übergewichtig. 1991 galten erst 15 Prozent als zu korpulent. Ein alarmierender Trend.

Die Folgen des Übermasses, sorgen sich US-Ärzte, seien sprichwörtlich fatal: Das fette Jahrzehnt – die US-Wirtschaft boomte, Arbeitslosigkeit und Kriminalitätsrate sackten ab, Zufriedenheit herrscht allenthalben – fordert seine Opfer. 300 000 Menschen fallen jedes Jahr der zügellosen Gier nach Schokolade, Frittiertem und Käsekuchen anheim. Andere Schätzungen gehen gar von 374 000 Toten durch Überfütterung aus. Der Grund: Bei Dicken steht das Herz eher still, steigen Cholesterin- und Zuckerwerte auf ungesunde Werte, ebenso der Blutdruck. Diabetes, Herzinfarkt, Krebs.

«Wir sprechen selten von Epidemien», sagt der Direktor des U.S. Centers for Disease Control and Prevention, Jeffrey P. Koplan. Der Hang zum Übergewicht hätte sich aber so rapide ausgebreitet wie die Grippe im Winter – obwohl an Schulen mehr denn je Ernährungsunterricht erteilt wird, selbst seriöse Zeitungen vollgeschrieben werden mit Gesundheitstipps, der Staat aufwändige Aufklärungskampagnen bezahlt. Gewirkt hats nicht. Denn: Die gefrässige Supermacht bewegt sich kaum noch und isst mit Vorliebe Junk.

Schlangenfrass vor dem Computer – der beste Weg in die Krankheit

Dem vermeintlichen Körnlipicker-Tofusieder-Mineralwasser-Teetrinker-Hype zum Trotz schnellte die Zahl der Hamburgerbeisser hoch. Je fetter und klebriger, desto besser. McDonald’s und Konkurrent Burger King vermelden satte Zuwachsraten, genauso Fabrikanten von Fertigmenüs oder Chips. Gleichzeitig sank die Bewegungsrate. Körperliche Inaktivität lässt die Ringe am Bauch anschwellen, sagt Koplan: «Amerikaner sind faul geworden.» In den Städten und Vororten verringerte sich die Zahl der Gehsteige. Dafür gibts mehr Parkplätze.

Autos, nicht Beine, bewegen fort. Jugendliche schauen noch mehr fern. Dick, das ist das Überraschende der Studie, macht ausserdem die Arbeit. Der berufliche Alltag prägt nicht nur die US-Gesellschaft, sondern auch die restliche westliche Welt: Zeit, in Ruhe zu speisen, finden die wenigsten. Stattdessen ver-schlingt man zunehmend fetttriefende Klösschen am Computer. «Schnell», sagt Koplan, «bedeutet ungesund essen.»

50 Milliarden Franken investieren Herr und Frau Amerika jährlich in Diätprodukte, Fitnessstudios, Fettabsaugeoperationen oder Hungerkuren. Ungeachtet dessen verfetten laut Koplan alle gesellschaftlichen Schichten. Frauen. Männer. Junge. Alte. Weisse. Schwarze. Asiaten. Raucher. Nichtraucher. Reiche. Arme. Länger lebe nur – das ist alther- gebrachte Weisheit – wer sich ertüchtige und ausgewogen esse.