Von Peter Hossli
Vier Meilen trennen Christoph Meili noch vom Disneyland, der fröhlich-bunten Verwirklichung des amerikanischen Traums. Ansonsten hat es der einstige Wachmann der globalen Grossbank UBS geschafft. Präsident Bill Clinton persönlich signierte dessen Aufenthaltsbewilligung. Seit Mitte September studiert er an einer angesehenen Privatuniversität in Los Angeles, unweit des märchenhaften Disney-Vergnügungsparks.
Ständig scheint dort die Sonne. Das Schulgeld ist bezahlt, ebenso fünf Jahre Miete und ein Nissan Baujahr 1993. Dreimal wöchentlich fährt Meili mit ihm zur Chapman University, belegt morgens Kurse und verzieht sich nachmittags in die Bibliothek der juristischen Fakultät.
Christoph Meili ist glücklich. «Es geht mir jetzt besser», sagte er unlängst der Tageszeitung «USA Today». Das triste Dasein als Portier in Manhattan quittierte er. Mitsamt Familie verliess er den ungeliebten Grossraum New York und zog gen Westen. Hier ist es ruhiger und grüner, sind die Strassen breiter und sauberer. Auch Journalisten rufen seltener an. Der «Swiss Hero» kann sich aufs neue Leben konzentrieren.
Abgesehen vom Interview mit «USA Today» meidet er die Presse. «Zuerst soll Christoph lernen, Englisch zu schreiben», begründet die Sprecherin der Chapman University, Ruth Wardwell, die Zurückhaltung des prominenten Studenten. Die Geschichte von der Aktenrettung im dunkeln UBS-Keller habe er ja ohnehin zur Genüge geschildert.
Die Nobelschule in Los Angeles offerierte Meili ein Stipendium in der Höhe von 80 000 Dollar. Es umfasst sämtliche Studiengebühren für vier Jahre. Für die Unterhaltskosten kommt der Club 1939 auf – ein Zusammenschluss von rund 900 in Südkalifornien wohnenden Holocaust-Überlebenden. Sie zahlen die Miete eines Vier-Zimmer-Hauses mit Umschwung, das Auto und etwas Sackgeld. Ein Zubrot verdient sich der Student mit Reden, die er zum Thema Holocaust hält. Ein- bis zweimal monatlich tritt er öffentlich auf, jeweils für 2000 Dollar.
Gattin Guiseppina sucht derzeit einen Job. Am besten eine Teilzeitstelle. Die zwei Kinder Mirjam, 7, und Davide, 5, gehen zur Schule.
Dass Meili keine Matura hat, war für die Chapman University nebensächlich. «Unsere Uni honoriert Gutes mit Gutem», preist Wardwell Meilis Aufnahme im akademischen Zirkel. Problemlos bestand er den Tofel-Test, eine speziell für ausländische Studenten entwickelte Sprachprüfung. «Dazu kommt die enorme Aufmerksamkeit, die wir dank ihm weltweit erhalten», freut sich die Uni-Pressesprecherin.
Ungewiss bleibt, in welches Gebiet sich Meili vertiefen möchte. An US-Colleges legen sich Studierende meist erst im zweiten Jahr auf ein Hauptfach fest. Neben dem Englischkurs besucht er derzeit Computer-Wissenschaften sowie «Kritisches Denken». Dieser einsemestrige Kurs lehrt Lernwilligen das Einmaleins des studentischen Handwerks: aufmerksames Lesen und Analysieren sowie das akkurate Verfassen von Seminararbeiten.
Meili hoffe, dereinst als Menschenrechtsanwalt zu wirken. Ob die Chapman University das dafür nötige dreijährige Jusstudium berappt, ist noch offen. «Unser Präsident macht sich dazu Gedanken», sagt Uni-Sprecherin Wardwell diplomatisch. Zuerst müsse Meili jedoch das College schaffen. Reichlich Mühe bereite Meili das Alter der Kommilitonen. Die Studienkollegen sind 18-jährig, er ist 31. Traditionell entdeckt die US-Jugend am College Sex, Drogen und Rock ‘n’ Roll. Meili hingegen wandelt sich vom Büezer zum Denker. Mit Kameraden verlebe er deshalb wenig Zeit. Schweizerische Freunde hat er in LA keine. Die alte Heimat sei Meili ohnehin überdrüssig. Vom New-Yorker Anwalt Ed Fagan hätte er sich abgewandt. Jetzt protegiere ihn William Elperin, Jurist aus Santa Monica und Präsident des Clubs 1939. Allzu viel habe der jedoch nicht zu sagen. «Die Meilis», sagt Wardwell, «wollen endlich auf eigenen Füssen stehen.»