Von Peter Hossli
Amerikanische Kinder stellten vergangenes Jahr häufig die Frage: «Papa, was ist ein Intern?» Ihr Präsident hatte eine derbe Affäre mit Monica Lewinsky gehabt, «an intern in the White House», einer Praktikantin im Weissen Haus. Besagte Intern kassiert inzwischen Millionen. Auf eine feste Anstellung wartet sie jedoch immer noch.
Dabei ist das der grosse Wunsch fast aller gut 500 000 Interns, die sich während der Semsterferien ohne Bezahlung bis spät nachts in Anwaltskanzleien, Regierungsämtern oder Banken verdingen. Wer in den USA etwas werden will, muss zuerst Gratisarbeit leisten.
Ganz unten beginnt der amerikanische Aufstieg. Chancen haben bloss jene, deren Herkunft Privilegien mitbringt.
Auf eine einzige Praktikumsstelle in Washington bei Vizepräsident Al Gore bewarben sich vor drei Jahren über zweihundert Lernwillige. Den Posten erhielt Jonathan Stein, ein hoch intelligenter Student der Arts University in Philadelphia. Seine Eltern, Textilienhändler aus Philadelphia, berappten ihm den dreimonatigen Aufenthalt in der US-Hauptstadt. Lohn bekam er keinen.
Bei dieser Enttäuschung blieb es nicht. Für ein eigenes Pult mangelte es an Platz, und auch einen funktionstüchtigen Computer hatte er nicht. Den Vizepräsidenten sah Stein gerade einmal – am Abschlussfest für Interns. Anstatt mit einflussreichen Lobbyisten zu fachsimpeln, verbrachte der Lehrling die meiste Zeit im Postraum – er leckte Briefumschläge und schnürte Pakete. Würde er es nochmals tun? «Klar.» Artig trug Stein den Job in seinen Lebenslauf ein. Für den zweiten Mann im Staat hat nicht jeder Briefe verschickt. Als Ganzes sei das Erlebnis aber ziemlich absurd gewesen.
Den ersten Auftrag bekam Stein dank einer Fotografie, auf dem er mit Al Gore zu sehen ist. «Allein dieses Bild zählte.» Heute gilt Stein, 25, als einer der hoffnungsvollsten US-Ausstellungsmacher.
Lynn True will zum Film. Die 22-jährige New-Yorkerin archiviert für die Dokumentalistin Holly Fisher ein Dutzend Videobänder. Hernach montiert sie auf dem computergesteuerten Schneideplatz zwei Sequenzen. True lernt viel. Sie arbeitet direkt und intensiv mit der Regisseurin zusammen. Erstmals verdient sie ein paar Dollar auf die Stunde.
Ihre beiden letzten Praktika hingegen seien «regelrechte Alpträume» gewesen. Vergangenes Jahr half True bei der angesehenen New-Yorker Produktionsfirma Good Machine aus. Niemand erklärte ihr Pflichten. Morgens sagte keiner Hallo. Hätte sie nicht sechs Tage die Woche gerackert, sie hätte gehen können – zwanzig Filmstudierende warteten darauf, sofort einzuspringen. Sie spurte, ohne aufzumucken. Um ins Filmgeschäft zu kommen, müsse man Erfahrung vorweisen. «Was genau jemand gearbeitet hat, spielt aber keine Rolle», sagt sie.
Als «extrem wichtig» bezeichnet die 26-jährige Christina LaBrie Praktika für künftige Anwältinnen. Die Jusstudentin arbeitet drei Monate lang beim Lawyers Committee for Human Rights, einer geachteten New-Yorker Menschenrechtsorganisation. Für deren Uno-Programm erstellt sie ein Handbuch. Das soll weltweit Gruppierungen helfen, Menschenrechtsverletzungen anzuklagen. LaBrie gefällts. Sie erhält ein bescheidenes Salär. Die Aufgabe fordert. Ihre Situation sei jedoch eine Ausnahme, «ein seltenes Privileg».
Ansonsten bekräftigen Praktika vor allem das Machtgefüge im Lande. Nützlich sind Internships nur, wenn sie in den wirtschaftlichen und politischen Metropolen New York und Washington absolviert werden; beides Städte mit hohen Lebenskosten. Durchschnittlich kostet eine Einzimmerwohnung in Manhattan monatlich 2800 Franken. Ohne Einkommen können sich das nur Kinder begüterter Eltern leisten. Weil die Nachfrage nach lukrativen Internships das Angebot bei weitem übertrifft, wählen die Arbeitgeber gezielt aus. Reelle Chancen hat nur, wer eine Top-Universität besucht. Die sind teuer und der Oberschicht vorbehalten. Es hilft, einer alteingesessenen oder einflussreichen Familie anzugehören. «Es zählt ausschliesslich, wer und was du bist», sagt Christina LaBrie, «und nie, was du kannst.»
Vor Jahren arbeitete die angehende Juristin drei Tage die Woche unentgeltlich für eine landesweit geachtete Anwaltskanzlei. Nebenbei servierte sie in einer Cafékette – sie brauchte das Geld. Die Rechtsfirma warf sie raus – ein anderer war bereit, fünf volle Tage gratis zu dienen. «Dieser Konkurrenzkampf stärkt dich fürs Leben», bestellte ihr der Chef.
Machen konnte Christina LaBrie wenig. Interns haben kaum Rechte, öffentliche Anerkennung finden sie keine. Das Arbeitsministerium in Washington, sonst eine Anstalt für genaue Statistiken, weiss nicht einmal, wie viele Interns jährlich beschäftigt werden. Schleierhaft ist dem Wirtschaftsdepartment, in welchem Masse die für Gotteslohn Bediens- teten zum US-Bruttosozialprodukt beitragen.
Es müssen etliche Milliarden Dollar sein, schätzt ein ranghoher Mitarbeiter des Amtes für Statistik in Washington. Davon zeugen Beststeller wie «The Internship Bible» oder «America’s Top Internships». Nachzulesen ist darin etwa, wo man die besten und nachhaltigsten Praktika absolvieren kann und soll.
Oft trügt jedoch der Schein. Gemäss dem Professor für Journalismus an der New York University, Richard Petrow, schneiden die begehrten Medienkonzerne meist miserabel ab. Studentinnen berichten von sexueller Ausbeutung, Studenten von peinlichen Machtspielen und herablassenden Attitüden der leitenden Redaktoren. Eine Praktikantin einer New-Yorker Fernsehanstalt beklagte sich, ihr Chef hätte sich bei ihr nach der Färbung der Schamhaare erkundigt. Als sie sich zur Wehr setzte, flog sie raus.
Arg geschunden verlassen viele Interns Washington, schreibt Autorin Sue Grabowski in ihrem «Congressional Intern Handbook», einer Art Knigge für Hauptstadtpraktikanten. Frauen mit Uniabschluss müssten zuerst wochenlang Kühlschränke und Kantinen reinigen. Mit Glück reiche es zum Telefondienst. Nicht umsonst heissen die Interns in Washington «Sklavenarbeiter».
Gleichwohl wollen die meisten dorthin. «Ein Internship in D. C. ist die beste Voraussetzung für den Werdegang», sagt Gore-Praktikant Stein. Seit Lewinskys einträglichen Kapriolen wissen das alle.