Jenseits von gut und böse

«Star Wars Episode I - The Phantom Menace» erklärt, woher das Böse kommt. Das Weltraummärchen hat durchschlagenden Erfolg.

Von Peter Hossli

Hölzern die Schauspieler, simpel die Geschichte, allzu idealistisch die platte Botschaft, abgedroschen der Zwist zwischen Gut und Böse, absehbar das Finale – nein, grosse Kunst ist «Star Wars» bestimmt nicht. Nie gewesen.
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Trotzdem ist die Weltraumsaga von Regisseur George Lucas, 55, das phänomenalste Stück amerikanischer Populärkultur, grösser als Elvis, grösser als Rock ‘n’ Roll. Und Grösse macht Amerika bekanntlich irre.

Wochenlang kampierten im Mai Tausende von «Star Wars»-Fans in New York und Los Angeles auf offener Strasse. Sie wollten ins Kino und als Erste die neuste Episode des intergalaktischen Epos bestaunen. Zuvor hatten die Medien «Star Wars Episode I – The Phantom Menace» zum «meisterwarteten Film der Kinogeschichte» emporgehoben.

Lange vor dem Start zierten «Star Wars»-Akteure die Titel fast aller US-Magazine. Buchläden füllten Regale mit dazugehörigen Bildbänden. Im vergangenen November kauften Fans Hunderttausende von Kinobilletten – nur um den zwei Minuten dauernden Vorfilm zu «The Phantom Menace» zu bestaunen. Den Hauptfilm schenkten sie sich. Zehn Millionen Mal luden Web-Surfer den Trailer hernach auf ihre Festplatten. Kinder zerrten Eltern im Spätwinter in Spielzeuggeschäfte, um Plastik-Miniaturen der ausserirdischen Helden zu erstehen. Pepsi druckte diese auf Blechdosen. Der Cola-Mischer hatte zwei Milliarden Dollar für dieses exklusive Recht bezahlt.

Raubkopien des vollständigen Oeuvre zirkulieren längst im Internet. Im Web-Auktionshaus Ebay bieten Sammler über 15 000 antiquarische «Star Wars»-Artikel zu Höchstpreisen feil. Tausend Franken pro Sitzplatz zahlten Hartgesottene einer Krebsstiftung, die in US-Städten im Mai Vorpremieren veranstaltete. Selbst Clinton sah «Star Wars», mitsamt Familie.

Der Hype war galaktisch. Nicht bloss in den USA, weltweit berichteten die Medien über das Phänomen der Superlative.

Auch die Zahlen stimmten. Seit dem US-Start am 19. Mai spielte der 175 Millionen Franken teure Film weltweit fast eine Milliarde ein, obwohl er noch nicht überall zu sehen ist. Nur «Titanic» füllte die Kinokassen prächtiger.

Jetzt kommt der Film in die Schweiz. Am 26. August startet «The Phantom Menace» mit Werbegetöse in 78 Kinos. Um innerstädtische Zeltplätze in Basel, Luzern oder im Wallis zu verhindern, begann Verleiher Fox mit dem Vorverkauf bereits Ende Juli, einen Monat vor Filmstart. «Wir erwarten wochenlang volle Kinos», sagt Fox-Schweiz-Pressesprecherin Emmanuelle Zinggeler.

Den Erfolg haben sich die schweizerischen Fox-Leute vertraglich zusichern lassen. Wie überall müssen Kinobesitzer hier zu Lande strikte Bedingungen einhalten. «The Phantom Menace» darf erst nach vier Wochen aus dem grössten Saal in ein kleineres Kino verlegt werden. Statt den üblichen 50 Prozent bleiben dem Verleiher 55 Prozent der Eintrittspreise. Die Mindestlaufzeit beträgt sechs Wochen. Floppt der Film, müssen ihn die Lichtspieltheater-Betreiber gleichwohl spielen. Obwohl einige die Verleihpolitik von Fox hinter vorgehaltener Hand als «existenzbedrohend» bezeichnen, schreit im Gegensatz zur amerikanischen Kinobranche niemand direkt nach Boykott. Zu eindrückliche Umsatzzahlen vermelden Städte im Ausland. Überdies tragen die Kinos den Konflikt mit Fox auf dem Rücken des Publikums aus: Die Eintrittspreise werden erhöht.

Abhalten wird das niemanden. Alle wollen endlich wissen, wie die sechsteilige Serie beginnt. Jetzt ins Kino gelangt Teil eins. Lucas drehte bis anhin die Folgen vier bis sechs. Nun rollt er die Saga von vorne auf. Das Ende steht fest. Das Böse ist besiegt. Wie es dazu kam, erzählen die neuen Filme, wobei die Teile zwei und drei 2002 und 2005 anlaufen.

Theorien, weshalb der Sternenkrieg die Kinos stets massig füllt, gibts reichlich. Der Weltraum fasziniere, lautet eine. Als die erste Episode anlief, herrschte Kalter Krieg; «Star Wars» verdeutliche dessen Aberwitz. Die Post-Vietnam-Generation suche in der Ferne Halt. Die Geschichte vom vaterlosen Kind spreche die Buben von geschiedenen Paaren an. Die Rebellion von Lucas gegen das Hollywood-System entspreche dem Zeitgeist einer durch 1968 rebellisch gewordenen Jugend. Die Absenz von Zynismus setze sich von den Dauerzynikern der Medienwelt ab. Stets widerfahre der Schaulust kolossale Befriedigung. Überwältigende Landschaften, rasante Verfolgungsjagden, Farben, wie sie das Auge nie sah, umhüllten Figuren anderer Welten.

Erfolg und Massenfaszination gründen tiefer: Lucas und der Sternenkrieg erweitern mit einem simplen Erzählkniff die Vorstellungskraft ins Unendliche. Er siedelt, so die Rolltitel zu Beginn aller Filme, seine Epen «vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxie» an.

In der Vergangenheit, ganz woanders. Will heissen: Er und die Zuschauer haben freie Hand. Vornehmlich diese ausgeklügelte Formel bestimmt die enorme «Star Wars»-Faszination. Alles ist möglich, nichts wirkt im grenzenlosen Feld komisch, unecht oder störend. Sich selbst und dem Publikum lässt Lucas grösstmöglichen Raum für wildeste Fantasien.

Frei mischt er geografische oder historische Stationen. Er borgt bei den alten Griechen, entnimmt das Römerbild im neusten Film der Hollywood-Schwarte «Ben Hur», verknüpft monotheistische Religionen mit der Vielgötterwelt und dem Atheismus. Die Bewohner der entfernten Galaxien atmen mittels stählernen Kiemen, hören durch dicke Mauern, kämpfen mit Laserschwertern oder leben, etwa das schwule Roboterpaar R2-D2/C-3P0, von Elektrizität statt Nahrung. Einige ähneln den Menschen auf der Erde, andere möglichen Mars-Fröschen. Noch nicht erfunden ist das Rad.

Im als Mischung aus Western und Roadmovie angelegten «The Phantom Menace» gleiten die Helden durch Städte, die dem Manhattan der Zukunft, dem dekadenten Rom oder Byzanz und Venedig in den Blütejahren ähneln. Sie durchwaten Sümpfe, schwimmen zur Unterwasserstadt Atlantis, fliegen Raketenrennen. Auf den Streifzügen begegnen ihnen an Giacometti-Skulpturen angelehnte Maschinenmenschen. Sie tauchen in Langs Klassiker «Metropolis» ein. Die Kulturgeschichte rattert vorbei, kondensiert in 132 grellen Minuten. Grössere Freiheiten als der «Star Wars»-Erfinder hat kein Künstler.

Lucas kanns. Er arbeitet unabhängig. Weit ab von Hollywood, auf der Skywalker Ranch bei San Francisco, fertigt der Bastler im eigenen Studio, was er will. Nörgler sagen zwar, Lucas drehe dort nichts sagende Hollywood-Filme. Denen entgegnet er schalkhaft: «Ich mache meine Filme. Hollywood kopiert sie. Dagegen kann ich ja nichts ausrichten.»

Da Lucas das Budget jedes neuen Films jeweils mit den Einnahmen des vorangegangenen deckt, muss er Verluste nicht fürchten. Als Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Besitzer der Spezialeffektefirma vereinigt er alle Macht in einer einzigen Person. Er zahlt und befiehlt, wählt die Komparsen, bestimmt die Musik, entwickelt die entsprechenden Spielsachen, entwirft Marketingkonzepte. Potente und namhafte Stars verpflichtet er nie; sie wären ihm zu einflussreich. Nur den Verleih überlässt er einem der grossen Unterhaltungskonzerne – für magere zehn Prozent des Umsatzes. Mehr bekommt 20th Century Fox für den weltweiten Vertrieb nicht. Den Rest sackt Lucas ein. «Ich trage ja das Risiko», sagt er stets. «Floppt ein einziger Film, dann ist Schluss mit «Star Wars».»

Bis anhin floppte keiner. Alle vier bereits abgedrehten «Star Wars»-Vehikel rangieren in den globalen Top Ten der ewigen Kassenknüller. Insgesamt spielten sie über sechs Milliarden Franken ein. Weit mehr noch setzten Spielsachen, Videos, Bücher, T-Shirts und Computergames um. Allein mit «The Phantom Menace» dürfte Erschaffer Lucas privat 1,5 Milliarden Franken einstreichen.

Dabei erzählt «Star Wars» im Kern nur eine Familienchronik. Laut Lucas die Formel mit dem weltweit breitesten Massenappeal. «Alle haben in irgendeiner Form mit Familien zu tun», sagt er, «auch die, die nie eine hatten.» Über sechs spektakuläre Filme hinweg schildert er das Leben der bescheidenen Skywalkers, zu Deutsch: Himmelswanderer.

Ein kleiner, niedlicher Bub, der blonde Anakin Skywalker, wächst vaterlos versklavt auf. Ein edler Ritter befreit ihn. Später heiratet er eine Monarchin, zeugt ein Zwillingspaar – und wendet sich als monströser Fiesling namens Darth Vader dem ewig finsteren Schattenreich zu. Der eigene Sohn Luke wird zum erbitterten Widersacher und tötet ihn schliesslich. Wie in jeder Erlösungsgeschichte gelingt dem garstigen Vader vor dessen erbärmlichem Ende noch die Läuterung.

Früh deuteten Kritiker die ödipale Erzählung autobiografisch. George Lucas senior kümmerte sich kaum um den kreativen Zögling. Der Papa wollte ihn an eine Wirtschaftsuni schicken, der Sohn mochte lieber Kunst schaffen. Zeit fürs Kind nahm sich der Alte nie. Bewusst nannte Lucas den edelsten Ritter Luke.

Die Spannung zwischen Gut und Böse rückt der Filmer ins Zentrum. Die Frage, wie etwa aus einem österreichischen Kleinkind namens Adolf das kalkulierende Ungeheuer Hitler wurde, packt ihn. Alle Menschen, sagte er dem US-Nachrichtenmagazin «Time», trügen beide Seiten in sich, die dunkle wie die helle. Oft würden sie hin- und herpendeln. Mangelndes Mitgefühl und ungezügelte Gier beschleunigten den Übertritt. Anakin kann der Versuchung nicht widerstehen, sich materiellen Dingen hinzugeben. Er wird zu Darth Vader. Erst Konsumverzicht erlöst ihn vom Bösen.

Die «Star Wars»-Ungeheuer tragen viele Gesichter, im neusten Teil jenes eines siebenhörnigen Teufels. Ansonsten gemahnt der Schrecken an Nazis oder an Abtrünnige aus griechischen Mythen. Selbst im Hinduismus suchte und fand Lucas Monster. Zuweilen ist das Satanische halb Mensch und halb Maschine. Stets zieht es Diktatur vor.

Dem Horror stellt Lucas «The Force» gegenüber, etwa: die Kraft. Sie bildet das «Star Wars»-Wertesystem. Die Selbstlosen tragen sie in sich. Viele suchen danach. Niederträchtige finden sie nie.

Hartnäckig stellt Lucas damit die Frage nach Gott, «etwas, das alle quält», sagt er. Klare Antworten liefert er nicht. Nie leugnet die Serie aber das Dasein des Metaphysischen. Auf eine religiöse Lehre legt sie sich allerdings nicht fest. Als der erste Film 1977 in die Kinos kam, nahmen ihn alle Religionen für sich in Anspruch. Christen wie Juden, Moslems wie Buddhisten erkannten Motive ihres Glaubens. «Sie dachten, «Star Wars» verbreite genau ihre Weisheit», entgegnet Lucas zuweilen Vorwürfen, er verherrliche einzig das Christentum. Sicher ist eines: Der phänomenale Erfolg fusst mitunter auf der bekömmlichen spirituellen Wegleitung des knalligen Sternenkriegs.

Das Lucas-Evangelium gefällt. Dessen Comicbuch-Design nimmt ihm die Ernsthaftigkeit sonstiger Gottesdeuter. Statt Bibeltexte zu lesen, finden Suchende mitsamt Popcorn und Cola im gefälligen Stück Populärkultur höheren Sinn. Der Kinogang ersetzt den Messebesuch.

Sechzehn dürre Jahre harrten die Gläubigen und deren Apostel aus. So lange liess Lucas auf eine weitere Episode warten. Die Leistung der Computer genügte ihm nicht, seine Visionen auf die Leinwand zu bringen. Erst die Saurier aus «Jurassic Park» weckten Hoffnung. Lucas’ Ziel, einen Film fast gänzlich digital zu fertigen, schien nahe zu sein. Der ewige Tüftler machte sich ans Werk und schrieb das Drehbuch. Mit Bleistift.

Als Vieh bezeichnete der Brite Alfred Hitchcock einst Schauspieler. Dem menschenscheuen Lucas dienen sie allenfalls noch als Pixel, als austauschbare Punkte eines digital geformten Ganzen, als Figuren, die höchstens dazu taugen, fabelhafte Fantasiewelten im All zu bevölkern. Stets zog der Kontrollfreak Maschinen den Wesen aus Fleisch und Blut vor. Nur über Metalle, später Nullen und Einsen konnte er uneingeschränkt verfügen.

Fast jedes Bild des neuen Films entstand in Computern. Oft verschmolz der Regisseur verschiedene Einstellungen zu einem Bild. Mit Ausnahme der Wüstenszenerie, die Lucas in Tunesien aufnahm, fertigten Programmierer sämtliche Landschaften. Rund 2200 computerunterstützte Tricks bereichern den Film, bei «Titanic» genügten 500. Übers Internet schickte er die Sequenzen vom Drehort im Maghreb jeweils abends zur Bearbeitung nach Kalifornien. Beim Aufstehen schaute sich Lucas das Endprodukt auf dem Laptop an. Die real wirkende Figur Jar Jar Binks entstand gänzlich in leistungsstarken Rechnern von Lucas’ eigener Spezialeffekte-Firma Industrial Light & Magic. Ob er künftig noch echte Schauspieler benutzen wird, lässt er offen. Technisch sei alles möglich, die Preise für Effekte geringer als Schauspielerlöhne. Nebendarsteller will er bloss noch digital schaffen.

Mit gutem Grund. Je abwegiger diese Figuren ausfallen, desto einträglicher deren Spielzeugversion. Mehr als acht Milliarden Franken setzte das Merchandising-Geschäft seit 1977 um. Allein dieses Jahr erzielten die Warenhäuser damit einen Umsatz von einer Milliarde Dollar. Eine stolze Zahl – der fast gleichzeitig angelaufene Disney-Film «Tarzan» generierte mit Spielsachen nur 22 Millionen. Kaum ein US-Haushalt, in dem keine «Star Wars»-Figur Staub ansetzt.

Dieser Staub bringt Lucas Gold. Er ist der reichste Filmer seiner Generation, reicher noch als Freund Steven Spielberg.

Dabei belächelte Hollywood anfänglich den bärtigen Visionär. Kein Studio mochte zu Beginn der Siebzigerjahre in eine abstruse Sciencefiction-Serie Geld stecken. Das sei längst passé, hörte Lucas von allen Seiten. Weltraumopern hätten die Kinos während den Fifties gefüllt, bestellten ihm die Chefs von United Artist und Universal. Sie rieten ihm, in die Zukunft zu blicken. «Zu teuer», befand Warner Brothers. Zu umständlich erschien denen eine Serie, zu vage die bloss dreizehn Seiten umfassende Synopsis. Die enormen Kosten könnten ein Studio über Jahrzehnte belasten oder ruinieren.

Damals darbte die US-Kinoindustrie nach jahrelanger finanzieller Durststrecke, ökonomisch wie künstlerisch. Man sprach übers europäische Kino. Fellini, Antonioni und ein kauziger Schweizer namens Godard sorgten filmisch für Aufsehen. Hollywood war out.

Dann drehte Regisseur Francis Ford Coppola 1972 die einträgliche Mafia-Seifenoper «The Godfather». Spielberg erschreckte 1975 das Publikum mit dem Haifischfilm und Kassenschlager «Jaws». Die prallvollen Kinos überzeugten 20th Century Fox, ein Popcorn-Flick zu drehen, einen Film für Junge, die actiongeladenes Entertainment der europäischen Schwermut vorzogen. Der damalige Fox-Chef Alan Ladd nahm Lucas unter Vertrag, gab ihm zehn Millionen Franken und schickte ihn nach London zum Dreh.

Dort traf der Jungfilmer eine folgenschwere Entscheidung: Zu Gunsten kostspieliger Spezialeffekte verzichtete Lucas aufs Regiehonorar. Es wurde die einträglichste Lohnkürzung der Filmgeschichte. Als Gegenleistung für den Abstrich in der Höhe von 750 000 Franken sicherte sich der Produzent alle erdenklichen zukünftigen Rechte an «Star Wars».

Ob nun weitere Filme gedreht, T-Shirts bedruckt, Videogames gefertigt oder Plastikfiguren gegossen würden – George Lucas verdient daran. Nicht zu knapp. Auf drei Milliarden Franken schätzt das Wirtschaftsmagazin «Forbes» dessen Vermögen. Weitere 7,5 Milliarden Franken Wert hätte seine Firma LucasFilm. Industrial Lights & Magic scheffelt Millionen mit Effekten für Blockbusters wie «Terminator» oder «Titanic». LucasArt gehört zu den grössten CD-ROM-Herstellern. Am US-Spielwarengiganten Hasbro besitzt er acht Prozent der Aktien. 900 Millionen Franken überwies ihm Hasbro für eine zehnjährige Lizenz an den «Star Wars»-Figuren.

Noch in den Siebzigerjahren liessen ihn die Kollegen spüren, dass sie mehr Talent hätten als der Weltallanbeter. Verbürgt ist die Anekdote von der ersten Vorführung. Lucas lud Bekannte ins Privatkino nördlich von San Francisco. Er wollte den Rohschnitt zu «Star Wars» zeigen. Alle namhaften Filmer jener Generation kamen: Spielberg, De Palma und Coppola, dazu etliche Produzenten, Autoren und Akteure.

Was sie sahen, schockierte die meisten. «Ein Desaster», meinten sie einhellig. Auf der Leinwand spielte sich vor den Augen der Sehgeschulten ab, was «Star Wars» laut «New Yorker» stets gewesen ist: «Figuren, die aus einem Comic entstiegen sein könnten, eine unglaubwürdige Geschichte, miserable Schauspieler, weder politisches noch soziales Engagement, holprige Dialoge, eine aufgesetzte Moral, kaum ausgefeilte Spezialeffekte. Kurz – ein miserabler Film.» Nach dem Abspann erschallte im Raum lautes Gelächter. Bloss einer lachte nicht.

Steven Spielberg erkannte die perfekt gemachte Einfachheit. Lucas verlor keine Zeit, umständliche Charaktere einzuführen oder deren Motivation zu zeigen. Stattdessen hatte er Zeit für aufwändige Actionszenen, mindestens alle zehn Minuten eine. Sollten Plot oder Fantasiefiguren nicht ankommen, so konnte sich das Publikum zumindest satt sehen. Der «Action Beat» war erfunden, die anderen Studios in Hollywood übernahmen das Schnellschnitt-Schema.

Spielberg prophezeite dem Film eine lange Lebensdauer, einen Riesenerfolg und weit über 150 Millionen Franken an der Kinokasse. Er lag weit daneben. «Star Wars» war noch weit erfolgreicher und entthronte Spielbergs «Jaws» als umsatzstärksten Film der Geschichte.

Die beiden Blockbusters standen am Anfang für ein neues Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, das bis heute andauert. Hollywood erholte sich von einer fast zwanzig Jahre dauernden Krise. Junge, an Filmschulen ausgebildete Regisseure brachten Schwung und die Umsätze, auf die Hollywood so lange gewartet hatte. Seither starten monumentale US-Filme jeweils mit vielen Kopien, begleitet von hohen Werbebudgets. Spezialeffekte verdrängten ausgereifte Drehbücher, die Schauspielkunst erlitt etwas Schlagseite.

George Lucas schrieb ein zentrales Kapitel der Filmgeschichte. Mit unzulänglicher Kunst? Wen kümmerts.

Filmkritik
Mit «Star Wars Episode I – The Phantom Menace» gelangt Teil eins der insgesamt sechsteiligen Weltraumsaga in die Kinos. Fest steht jetzt: Den Sternenkrieg entfachte ein banaler Steuerstreit.

Vor langer Zeit, in einer weit entfernten Galaxie, droht ein ernsthafter Zwist zwischen der finsteren Handelsföderation und dem friedliebenden Planeten Naboo. Zwei Jedi-Ritter, die Wächter von Friede und Gerechtigkeit, setzen sich zwecks Schlichtung in den Raumgleiter. Zur Reparatur landen sie unterwegs auf dem Wüstenplaneten Tatooine. Dort begegnet der Ober-Jedi einem blonden Buben mit sonderbaren Kräften. Keine Frage, dieser Kleine ist zu weit Höherem geboren. Schon auf wackligen Kindsbeinen kann er beachtlich kriegen und fliegen. Als lang gezogener Vorfilm zu den beiden nächsten «Star Wars»-Folgen versteht Regisseur George Lucas diese Rahmenhandlung. Mit dem Gesamtwerk vertraute Fans wissen längst: Der Kleine wird bald die fesche Königin von Naboo ehelichen, zwei Kinder zeugen und bald zum Monster Darth Vader mutieren.

Weil Lucas davon ausgeht, dieser Einblick sei Allgemeingut, wendet er sich schnell vom einsichtigen Geschichtenerzählen ab. Statt griffige Charaktere zu entwickeln, schafft er umwerfende Bilder von Unterwasserwelten, Luftschlachten im schwerelosen Weltall oder Fahrten durch endlose Stadtlandschaften. Schaulustige kommen dabei voll auf ihre Rechnung. Wer eine dramatische Erzählung mit ausgeklügelten Ränkespielen erwartet, wird enttäuscht. Die Geschichte treibt vor allem Treibstoffmangel voran.

Nie machte der «Star Wars»-Schöpfer einen Hehl daraus, wen er neben den eingefleischten Fans hauptsächlich ansprechen will: Kinder. Wohl deshalb erzählt er meist gemächlich. Den Figuren mangelts an Dimensionen. Sie werden zu Statisten der digitalen Welten. Scheinbar absichtlich limitieren an sich talentierte Schauspieler wie Liam Neeson oder Ewan McGregor ihr Repertoire. Stoisch suchen sie nach Antworten auf die Konfusion im Universum. Allenfalls Natalie Portman als Königin Amidala hat ihren Spass: Der 18-jährige Jungstar darf in jeder Szene ein anderes Kostüm tragen.

Aus Rücksicht aufs junge Publikum fiel das Böse dieses Mal recht zahm aus. Darth Maul, die abgerichtete Killermaschine der Handelsföderation, erinnert eher an einen ausgestossenen Buben an einer Halloween-Party denn an ein Ungeheuer. Die Gewalt, obwohl reichlich vorhanden, wirkt nie sadistisch. Eher filmt sie Lucas, als sei alles nur ein fröhliches Videogame.

Trotz dieser vermeintlich neuen Filmsprache folgt Lucas dem uramerikanischen Grundmuster von rechtschaffenen und mindergerüsteten Helden, die die böse Übermacht in die Knie zwingen. Das gefällt in Amerika. Erinnert es doch an die Lumpenarmee, die einst das britische Imperium zum Teufel jagte.

Gemunkelt wurde im Vorfeld des Filmstarts, ob «The Phantom Menace» das Untergangsdrama «Titanic» als erfolgreichsten Film aller Zeiten ablösen würde. Keine Chance. Es fehlt die Romanze. Siebzig Prozent der Kinogänger waren junge Männer. Frauen blieben trotz bunter Fummeln der Königin fern.

Interview mit «Star Wars»-Produzent Rick McCallum

Rick McCallum, der neue «Star Wars»-Film ist ein Riesenerfolg. Warum funktioniert die alte Formel noch?
Rick McCallum: Weil sie so simpel ist, weder Gehirnoperation noch Bergman sein will. «Star Wars» erzählt die Geschichte eines Kindes, das das Elternhaus verlässt und erwachsen wird. Das passiert allen.

Mit Ausnahme der «New York Times» verrissen die US-Kritiker den Film.
McCallum: Die Filmkritik ist seit Jahren tot. Niemand setzte sich mit dem Film auseinander. Die Presse hat bloss den Hype kritisiert. Trotzdem schauten sich 125 Millionen Amerikaner «Star Wars» an. Hier wie beim Clinton-Skandal hatten die herkömmlichen Medien keine Ahnung, was das Publikum denkt. Sie werden immer unwichtiger.

Wir informieren Ihre Zuschauer.
McCallum: Falsch. Wenn das US-Magazin «Time» eine «Star Wars»-Titelgeschichte druckt, lesen das vier Millionen. Vielleicht fünftausend gehen auf Grund der Kritik ins Kino. Wenn ein 14-Jähriger aber eine Besprechung auf seiner Web-Site platziert, lesen das weltweit dreissig Millionen. Die gehen alle ins Kino. «The Phantom Menace» ist der erste Film, dessen Marketing im Internet stattgefunden hat. In den USA schaltete Verleiher Fox keinen einzigen Fernsehspot.

Was bedeutet das?
McCallum: Es braucht die Verleiher nicht mehr. Schon jetzt ist es möglich, Filme per Satellit in die Kinos zu übertragen. Der Einfluss grosser Marketingfirmen schwindet. Die 15- bis 25-Jährigen informieren sich hauptsächlich online.

Wie reagiert der Produzent?
McCallum: Wenn die Online-Nachrichten dich hypen, kann man sich zurücklehnen und lachen, wenn nicht, muss man sich zurücklehnen und weinen.

Lucas wird von europäischen Kritikern vorgeworfen, er habe mit «Star Wars» den Kunstfilm zerstört.
McCallum: Die verstehen die amerikanische Kunst nicht. Europäische Regisseure geben sich damit zufrieden, in Paris eine Wohnung zu haben und alle paar Jahr einen kleinen, dunklen Film zu machen. Amerikanische Filmkünstler wollen Wohnungen in Paris, New York und Los Angeles. Sie fliegen im Privatjet, fahren Jaguar und lassen sich von ihren Frauen scheiden. Das kostet Geld. Darum drehen wir Filme, die vielen gefallen.

Wie gehts denn dem US-Kino?
McCallum: Die Filmer sind verwirrt. Die jetzigen Umwälzungen überfordern viele. «The Phantom Menace» hat gezeigt: Dank Computern ist alles möglich. Der Film ist von der fotografischen zur malerischen Ausdrucksform geworden. Die Leinwand ist der Bildschirm, der Pinsel die Maus, die Ölfarbe die Software.

So kann nur Hollywood filmen.
McCallum: Im Gegenteil. Das Budget von «The Phantom Menace» belief sich auf 115 Millionen Dollar, den nächsten «Star Wars»-Film will ich mit 90 Millionen machen, den übernächsten mit 60. Filmemachen wird täglich billiger. Jeder kann auf einer Sony-Videokamera einen Film drehen, die Bilder auf dem Apple-Computer bearbeiten, auf eine DVD pressen und per Fed Ex verschicken. Technik und Vertrieb kosten 15 000 Franken. Wer eine gute Geschichte gut erzählt, kanns jederzeit machen.