Arthur Schlesinger – «Hollywood war hysterisch»

Regisseur Elia Kazan soll einen Ehren-Oscar erhalten, obschon er ein Denunziant gewesen ist. Historiker Arthur M. Schlesinger verteidigt ihn.

Von Peter Hossli

arthurschlesinger.gifProfessor Schlesinger, was halten Sie von Elia Kazans Filmen?
Arthur M. Schlesinger Jr: Kazan gehört zweifellos zu den brillantesten Regisseuren des 20. Jahrhunderts.

Er erhält nächste Woche den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk. Vor dem Komitee des Kommunistenjägers Joseph McCarthy verriet er 1952 acht Mitglieder der amerikanischen kommunistischen Partei. Die Denunziation ist Teil des Lebenswerks.
Schlesinger: Die Zusammenarbeit mit McCarthy, so schlimm dieses Komitee auch war, hat weniger Schaden angerichtet als seine Zusammenarbeit zuvor mit der KP.

Kazan habe zur schlimmsten Bürgerrechtsverletzung der USA beigetragen. Dies entgegnet Autor Bernard Gordon, dessen Karriere 1952 ruiniert wurde.
Schlesinger: Das ist komplett verrückt.

Kazan nannte Namen. So half er McCarthy die Grundrechte zu verletzen.
Schlesinger: Kazan verabscheute McCarthy. Ihn jetzt für den McCarthyismus verantwortlich zu machen, ist absurd.

Warum hat er trotzdem mit McCarthy kollaboriert?
Schlesinger: Ganz einfach: Kazan hasste die kommunistische Partei.

Er war immerhin deren Mitglied.
Schlesinger: Kazan kannte die KP. Es war ihm unmöglich, sie zu verteidigen. Zudem waren 1952 gravierende sowjetische Menschenrechtsverletzungen genauso bekannt wie der Hitler-Stalin-Pakt oder der Gulag. Kazan war ein Liberaler, der Stalin verabscheute.

Ist die Aktion also verständlich?
Schlesinger: Ich verstehe Kazan.

Verstehen Sie die Leute, die sich jetzt über die Auszeichnung ärgern?
Schlesinger: Selbstgerechtigkeit ist der Fluch der Welt. Jene, die ihn nun verurteilen, haben im Vergleich zu Kazan künstlerisch nichts erreicht. Wer jetzt aufschreit, leugnet zudem den enormen Druck der damaligen Zeit. Überdies gab Kazan keinen einzigen Namen preis, der nicht schon bekannt gewesen wäre. Er fügte niemandem echten Schaden zu.

Immerhin verriet er Andersdenkende. Das ist bestimmt kein nobler Akt.
Schlesinger: 1933 brannte der Berliner Reichstag. Der bulgarische Kommunist Dimitrow wurde vor Gericht gestellt. Dimitrow sagte offen: Ja, ich bin Kommunist, und ich bin stolz darauf. Das beeindruckte sogar die deutschen Richter. Er wurde freigesprochen. Was ich nicht verstehe: Amerikas KP versteckte sich hinter der Redefreiheit. Statt ihre Gesinnung zu verteidigen, schwieg sie.

Warum? Es gibt die Redefreiheit.
Schlesinger: Kommunisten huldigen der Verleugnung, hat Präsidentengattin Eleanor Roosevelt treffend bemerkt.

Kazans Aussagen ermöglichten ihm eine steile Karriere. Seine wichtigsten Filme entstanden nach dem Verhör.
Schlesinger: Wenn er die Aussage verweigert hätte, wäre es bestimmt schwierig gewesen, weitere Filme zu drehen. Er hätte nur noch Theater machen können.

Demnach handelte Kazan aus purem Eigeninteresse?
Schlesinger: Er tat es, weil er KP-Mitglied war. Er wusste, die Partei würde nichts zur Demokratie in irgendeinem Land beitragen. Heute widerspricht niemand mehr Kazans damaliger Ansicht.

Zugleich gilt er immer noch als Denunziant. Lässt sich Kunst losgelöst vom Leben des Künstlers beurteilen?
Schlesinger: Das bestimmt allein der Kontext. Wer beispielsweise eine Biografie schreibt, kommt nicht darum herum, alle Aspekte einer Person zu beurteilen.

Ein Kunstkritiker hats besser. Der muss nur die Kunst betrachten.
Schlesinger: Der Amerikaner Ezra Pound dichtete hervorragend. Er unterstützte aber Mussolinis Faschismus. Ein aussergewöhnlicher Poet bleibt er allemal. Die Kunst muss mit menschlichen Widersprüchen leben. Die Tatsache, dass ein Schriftsteller etwa mit dem Kommunismus liebäugelt, macht ihn noch lange nicht zum Botschafter der Freiheit. Unter Stalin verloren die Künstler alle Freiheiten.

Können Kommunisten keine freie Kunst schaffen?
Schlesinger: Als Picasso in Paris wirkte, war er Mitglied der französischen KP. Trotzdem hasste Stalin seine Kunst. Picasso verabscheute den sozialen Realismus und wehrte sich dagegen, Kunst in den Dienst einer Ideologie zu stellen.

Kazan hätte sich später bei den Opfern entschuldigen können.
Schlesinger: Er sagte, er könne die Verärgerung für seinen Akt verstehen.

Sorry sagt er auch jetzt nicht.
Schlesinger: Warum sollte er? Entschuldigen müssen sich jene Leute, die Stalin unterstützten, nicht Kazan.

Eine Entschuldigung könnte die noch immer tiefen Wunden heilen.
Schlesinger: Ich glaube nicht an das Konzept der Entschuldigung. Die Welt ist zu besessen davon. Es wäre klüger, über Gesagtes und Getanes nachzudenken und allenfalls zu widersprechen.

In Hollywood wird Kazans Ehrung als Rache der Rechtsaussen für den Ehren-Oscar gesehen, den der Kommunist Charlie Chaplin 1972 erhielt.
Schlesinger: Kazan steht nicht rechts aussen, er ist ein liberaler Demokrat. Chaplins Auszeichnung hat man längst vergessen. In zwei Monaten wird keiner mehr von Kazan sprechen; machen Sie sich darüber doch keine allzu grossen Sorgen.

Die Reaktion auf Kazans Auszeichnung zeugt vom Gegenteil. Ein betroffener Drehbuchautor hat sogar gedroht, Kazan zu erschiessen. Er nannte ihn “den schlimmsten Denunzianten”.
Schlesinger: Ohne darüber nachzudenken, glauben viele, Denunzieren sei generell verwerflich. Fragt man aber, ob Nazis oder Mitglieder des Ku-Klux-Klans denunziert werden dürften, antworten alle sofort mit Ja; das wird als patriotische Tat gefeiert. Denunziert jemand einen Kommunisten, gilt er als Spitzel. Impliziert wird, dass die KP höhere Werte vertrat.

Die jetzigen Protestler wollen vor allem das freie Denken verteidigen.
Schlesinger: Falsch. Indem sie sagen, diese Gruppe dürfe denunziert werden und jene nicht, fordern sie im groben Masse undemokratische Regeln.

Viele Leute ärgert, dass Kazan Namen ehemaliger Kollegen nannte.
Schlesinger: Wären diese Leute ähnlich verärgert, wenn ein Ku-Klux-Klan-Führer seine Maske abstreifen und Mitglieder denunzieren würde? Bestimmt nicht.

Sind die nun harschen Reaktionen nicht nachvollziehbar?
Schlesinger: Die KP der USA war stets eine Ansammlung von Hysterikern. Das ist der Grund, warum Liberale wie ich mit ihr nie etwas anfangen konnten. Die waren damals so schrecklich, wie sies heute sind.

Es gab Hollywood-Grössen wie “High Noon”-Regisseur Fred Zinnemann, die Aussagen vor McCarthys Komitee verweigerten.
Schlesinger: Genauso John Ford oder Humphrey Bogart. Aber das ist eine andere Geschichte. Die waren nie KP-Mitglieder. Sie verachteten bloss McCarthy.

Welche Stimmung herrschte in Hollywood während der McCarthy-Ära?
Schlesinger: Pure Hysterie, vor allem nachdem das Komitee gegründet war – eine schreckliche Sache, eine Schande für das amerikanische Justizsystem.

Hollywood kollaborierte emsig.
Schlesinger: Die Studiochefs waren alles Feiglinge. Die gesamte Filmindustrie war feige. Alle hatten Angst, Publikum zu verlieren, wenn sie McCarthy nicht helfen würden. Hauptsächlich fürchteten sie Boykotte katholischer Kriegsveteranen.

Andere Personen in Hollywood nannten ebenfalls Namen. Warum gilt gerade Kazan als schlimmster Spitzel?
Schlesinger: Das ist mir ein Rätsel. Der damalige Schauspieler Ronald Reagan hatte eng mit McCarthy zusammengearbeitet. Er war Präsident der Schauspielergilde und spitzelte für das FBI.

Reagan wurde US-Präsident und war in Hollywood stets willkommen.
Schlesinger: Das bleibt das grösste Mysterium des McCarthyismus. Es gibt viel mehr Gründe, Reagan zu hassen als Kazan.

Warum schützten die Studios denn ihre Angestellten nicht besser?
Schlesinger: Sie setzten Schauspieler und Autoren auf die schwarze Liste, um die Gewerkschaften zurückzubinden.

Inwiefern war Hollywood denn wirklich ein kommunistisches Nest?
Schlesinger: Viele gaben an, sie mögen den Kommunismus. Tatsächlich waren sie gegen McCarthys Komitee. Bogart verabscheute es. Er unterstützte die KP jedoch nie. Bald erkannte Bogart, dass die Kommunisten ihn nur missbrauchten.

Warum war McCarthy möglich? Wie konnte die Meinungsfreiheit derart torpediert werden?
Schlesinger: Es war eine schreckliche Zeit in der Geschichte der USA. Die Meinungsfreiheit wurde aber nie untergraben. Die KP blieb erlaubt. Die Kommunisten wurden unter dem Smith-Gesetz von 1934 vor Gericht gestellt. Das Gesetz klagte unamerikanische Taten an.

Es war gegen Nazis gerichtet.
Schlesinger: Die Kommunisten hatten es sogar unterstützt. Sie dachten, es sei grossartig. Erst später merkten sie, es könnte ihnen selbst Schaden zufügen. Dann sagten sie, es würde die Verfassung verletzen. Das ist typisch. Die Kommunisten in den USA hatten nie Prinzipien.

Derzeit versuchen Journalisten und Historiker Joseph McCarthy reinzuwaschen. Dokumente aus Sowjet-Archiven würden beweisen, etliche KP-Mitglieder seien tatsächlich Spione gewesen.
Schlesinger: Zuerst muss geklärt werden, ob die Papiere wirklich echt sind.

Sind sie echt, könnte Spionejäger McCarthy rehabilitiert werden.
Schlesinger: McCarthy fand keinen einzigen Spion. Er wollte bloss den Liberalismus zerstören. Niemand in diesem Land wird ihn dafür jemals rehabilitieren.

Die entdeckten Dokumente sollen sogar belegen, dass Amerikas KP eine ausgeklügelte Spionagemaschine war.
Schlesinger: Die meisten Mitglieder waren keine Spione. Die KP diente aber als Gefäss, Sowjet-Agenten zu rekrutieren.

Ist die Linke Amerikas unfähig, solche Wahrheiten anzuerkennen?
Schlesinger: Es gibt doch kaum mehr Linke. Jetzt schreien jene nach Rache, die sich permanent vorlogen, die Sowjetunion sei eine Art Utopia gewesen. Wer eingesteht, dass dem eben nicht so war, muss sein Leben in Frage stellen. Das tut weh.

Es gibt zwei Theorien zu Senator McCarthy. Er war entweder ein amerikanischer Faschist oder ein Held der freien Welt. Wo sehen Sie ihn?
Schlesinger: McCarthy war ein opportunistischer, brutaler Demagoge ohne jegliche Prinzipien.

Dann ist der jetzt geläufige Begriff “sexual McCarthyism” für die Clinton-Lewinsky-Affäre also zu harsch?
Schlesinger: Der Begriff passt doch bestens. In den letzten 13 Monaten wurde dieselbe sinnlose Untersuchung durchgeführt wie zur Zeit von McCarthy.

Arthur Meier Schlesinger jr, 81, gilt als einer der wichtigsten US-Historiker dieses Jahrhunderts. Er lehrte zeitweilig in Harvard und noch immer an der City University of New York. Für zwei seiner Werke erhielt Schlesinger den Pulitzer-Preis. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Redenschreiber und Kampagnenmanager für etliche demokratische Präsidentschaftskandidaten. So verhalf er John F. Kennedy 1960 zum Sieg über Richard Nixon. Bis zur Ermordung Kennedys 1963 wirkte Schlesinger als dessen engster persönlicher Berater. Er gilt als ultraliberal und setzte sich besonders für den Rückzug der USA aus Vietnam ein. Bevor sich Schlesinger dem Staatsdienst verschrieb, verdingte er sich als Journalist und Filmkritiker. Noch heute ist das Kino seine Passion.