Nach 117 Jahren rehabilitiert

Nachdem er das Impeachment überstanden hat, widmet sich Bill Clinton wieder einem seiner Hauptanliegen - den Schwarzen.

Von Peter Hossli

Sichtlich gerührt bat US-Präsident Bill Clinton am Freitag letzter Woche um Verzeihung. Anlass für die feierliche Abbitte im Weissen Haus boten für einmal nicht derbe Bettgeschichten, sondern ein schweres Unrecht, das vor 117 Jahren einem schwarzen Armeeoffizier widerfahren war.

Henry O. Flipper, der erste afroamerikanische Absolvent der angesehenen Militärschule West Point, war 1882 fälschlicherweise wegen Diebstahls verurteilt worden. Seitdem haben seine Nachkommen etliche Präsidenten um ein formelles Pardon ersucht.

Erst Bill Clinton, seit jeher offen für die Anliegen der Schwarzen, konnte sich dazu durchringen. Es sei an der Zeit, bestellte er den versammelten Verwandten Flippers, «diesem guten Mann seinen guten Namen zurückzugeben». Die US-Justiz, rügte der Präsident scharf, habe damals zu wenig unternommen, die individuelle Freiheit eines Amerikaners zu schützen.

Nicht ein Justizirrtum, sondern der weit verbreitete Rassismus hätte zur Verurteilung eines Unschuldigen geführt, sagen US-Historiker heute. Sie vergleichen den Fall Flipper mit der Dreyfus-Affäre in Frankreich. 1894 war der Offizier Alfred Dreyfus der Spionage bezichtigt und aus der Armee entlassen worden. Inzwischen konnten die Vorwürfe widerlegt werden – unter Verdacht war Dreyfus nur geraten, weil er Jude war.

Henry Ossian Flipper war schwarz. Er kam 1856 als Sohn von Sklaven zur Welt. Nach dem Sezessionskrieg konnte er als Siebzehnjähriger die Militärakademie West Point im Staat New York besuchen – als erster Afroamerikaner. Das Studium verbrachte er in sozialer Isolation – seine weissen Kommilitonen verachteten ihn. Dennoch schloss er 1877 ab.

Flipper diente in ausschliesslich schwarzen Regimenten – als respektierter Offizier, zuerst in Oklahoma, dann in Fort Davis in Texas. Anklang fand sein Entwässerungssystem, dank dem die Verbreitung von Malaria reduziert werden konnte.

1881 beschuldigte ihn sein Vorgesetzter, ein Weisser, des Diebstahls. Flipper, so behauptete er, hätte etliche Schecks in die eigene Tasche gesteckt, statt sie an eine andere Armeestelle weiterzuleiten. Handfeste Beweise gab es angeblich genug: Die Schecks lagerten in Flippers Kasten.

Das sei eine perfide Falle gewesen, rekonstruierten Historiker. Flippers Vorgesetzte hätten ihn absichtlich angewiesen, das Geld aufzubewahren. Denn als Flipper die Schecks abschicken wollte, fehlten 2000 der ursprünglichen 3700 Dollar. Fest steht heute: Der schwarze Offizier war missbraucht worden, um den dreisten Diebstahl seiner Vorgesetzten zu vertuschen.

Flipper wurde bei seinem Prozess vom Vorwurf der Veruntreuung freigesprochen, jedoch wegen Falschaussage während der Untersuchung von einem Kriegsgericht für schuldig befunden und von der Armee ausgeschlossen. Gedemütigt streifte er im Juni 1882 die Uniform ab – obwohl bereits damals ein Militärrichter feststellte, die Vorwürfe seien «ausschliesslich rassistisch» bedingt. Der amtierende US-Präsident Chester A. Arthur weigerte sich, den Fall nochmals aufzurollen.

Nicht so Clinton. Mit einer Unterschrift gab er dem schwarzen Offizier, der 1940 im Alter von 84 Jahren starb, nun alle militärischen und persönlichen Ehren zurück. «Wir müssen die Fehler der Vergangenheit korrigieren, um die Zukunft besser bewältigen zu können», sagte Clinton.

Der Auftritt hatte Symbolcharakter. Eine Woche nach seinem eigenen Freispruch im Senat ergriff Clinton erneut Partei für Schwarze. Dabei sind genau solche Sympathie-Bekundungen die wahre Ursache des Hasses, den rechte Republikaner gegen Clinton hegen, behauptet der US-Schriftsteller Gore Vidal in einem «Spiegel»-Interview. Nur weil der Präsident sich stets für die Rechte der Afroamerikaner eingesetzt hat, hätte es das weisse Establishment auf ihn abgesehen. Vidal nannte das Impeachment ein «politisches Äquivalent zur Lynchjustiz», bei dem der «Held der Schwarzen» von der «alten Elite» zu Fall gebracht werden soll.

Tatsächlich durchbrach Clinton, in dessen Ahnenreihe man eine Afroamerikanerin vermutet, als erster US-Präsident die Mauer, die Amerika in Bezug auf Rassen noch immer teilt. Bereits als Gouverneur von Arkansas hat Clinton Schwarze ins lokale Kabinett berufen. Im Weissen Haus arbeiten mehr Schwarze in einflussreichen Positionen als je zuvor. Unlängst hielt Clinton an der Wallstreet US-Firmen an, vermehrt in schwarzen Stadtteilen Arbeitsplätze zu schaffen.

Wohl deshalb bezeichnete Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison Clinton als «ersten schwarzen Präsidenten».

Clintons engster Vertrauter und Freund, der einflussreiche Anwalt Vernon Jordan, ist schwarz. Genauso wie seine Sekretärin, Betty Currie. Oder Clintons langjährige persönliche Anwältin, Cherryl Mills. Alle drei spielten zentrale Rollen im Theater um Monica Lewinsky. Jordan half der Praktikantin, in Manhattan eine Stelle zu finden. Curries Terminplanung und stete Diskretion ermöglichten die amourösen Treffen. Und die sachliche wie gefühlvolle Rede von Mills überzeugte am Ende der Affäre viele Senatoren, Clinton freizusprechen.

Mühe macht den Republikanern die beständige Treue der schwarzen Bevölkerung zu Clinton. Achtzig Prozent wählten ihn 1992 und 1996 zum Präsidenten. Derzeit sagen gar fast 95 Prozent, sie seien mit seiner Arbeit zufrieden.

Das Vertrauen ist gegenseitig. Öfters bittet Clinton Schwarze um Rat. Pastor Jesse Jackson besuchte die Clintons mehrmals, als sich die Fakten der Sexaffäre erhärteten. Für die Affäre entschuldigte sich Clinton bei einem feierlichen Gebetsfrühstück – das Afroamerikaner für ihn organisiert hatten.