Ab ins Museum

Amerikanische Museen melden zuschauerrekorde. Dank zugkräftigen Shows mit Stars oder ausgefallenen Themen.

Von Peter Hossli

Das Angebot klang verführerisch, vife Musemspromoter hatten alles genau aufeinander abgestimmt. Zuerst gabs Kunst, dann wahlweise eine Pizza oder Risotto, später gings ins hauseigene Kino, zum Schluss jazzten Trompeter und Posaunisten. Wer in den letzten drei Monaten die Jackson-Pollock-Ausstellung im New-Yorker Museum of Modern Art, Moma, besuchte, bekam nicht nur Kunst geboten. Gegen einen happigen Aufpreis gab es ein ganzheitliches Kulturerlebnis.

Natürlich: Die über 150 ausgestellten Werke von Pollock, einem der bedeutendsten US-Künstler dieses Jahrhunderts, verblassten ein bisschen neben Musik, Essen und Film. Trotzdem verzeichnete das Museum famose Eintrittszahlen: eine halbe Million kam.

Die Schau geriet zum Kunst-Blockbuster. Zum lukrativen Riesenerfolg, herbeigeführt durch gekonntes Marketing. Neben Pizza bot das Moma Auswärtigen Hotel- und Reisevergünstigung – und allen Weindegustationen. Hilfreich waren die Werke des verstorbenen Stars. Vornehmlich trug aber der anhaltende Museumsboom in den USA zum enormen Publikumsandrang bei. Auch die anderen Kunsthäuser New Yorks – etwa das Guggenheim oder das Metropolitan Museum of Art – vermelden Rekorde. Um zwanzig Prozent stiegen 1998 die Besucher- zahlen.

Heuer sollen noch aufwändigere Ausstellungen noch mehr Publikum anlocken. Das Guggenheim Museum zeigt Picassos während des Zweiten Weltkriegs entstandenes Werk, das Moma möchte Pollock mit Miró und einer Show zum Thema Kunst und Humor übertreffen. «Es dürfte gelingen», schreiben die Kritiker. Denn Kunsthallen liegen im Trend.

Mehr Amerikaner schauen sich Bilder in Museen an als Wettkämpfe in Sportstadien. 1998 besuchten 337 Millionen Kunstbeflissene die 1240 Museen. Ein Fabelrekord. Museen erleben ihr «Golden Age», leitartikelten die «New York Times», in den USA würden museale Aktivitäten «explosionsartig zunehmen», schrieb die «Washington Post».

Allenthalben öffnen neue Kunst- museen ihre Portale, nicht nur in den Zentren an Ost- und Westküste, auch in Minneapolis, Minnesota, in San Antonio, Texas, und in Detroit, Michigan. Über 200 neue Museen wurden in den letzten zwanzig Jahren errichtet. Die meisten verschreiben sich moderner Kunst. War die einst der akademisch-wohlhabenden Elite vorbehalten, ist sie heute so alltäglich wie der Gang ins Quartierkino.

Fast jeden Monat eröffnen bedeutende US-Museen kolossale Ausstellungen, meist mit den Namen zugkräftiger Stars oder mit ausgefallenen Themen. Die Direktoren wissen: Beim Publikum kommen vertraute Namen wie Monet, Picasso, Matisse und spektakuläre Shows am ehesten an. «Es genügt nicht mehr, gerahmte Bilder aufzuhängen und Beschriftungen anzubringen», sagt Ausstellungsmacher Jonathan Stein aus Philadelphia, «echte Medienereignisse müssen her.»

Ein solches war die Motorradausstellung im Guggenheim im vergangenen Sommer. Töfffans aus aller Welt reisten nach New York, um sich an stählernen Harley-Davidson oder BMW zu ergötzen. Zwar meinten einige Kritiker, Töffs seien künstlerisch wertlos. Aber: «Der Erfolg gibt uns Recht», sagte Guggenheim-Direktor Thomas Krens. 301 037 Besucher kamen; mehr als je zuvor.

Seit Ende Januar sind in Philadelphia Werke des US-Künstlers Jasper Johns zu sehen, im staatlich finanzierten Kunstmuseum von Los Angeles hängt eine Auswahl mit Bildern des Holländers van Gogh. Das Guggenheim zeigt Picasso. Moma-Chef Lowry hofft, Humor werde Pollock übertreffen. «Menschen lachen doch gern», sagt er.

Doch eitel Freude herrscht keineswegs in der US-Museumswelt. Etliche Kritiker warnen vor einer unaufhaltsamen Disneyisierung der Museen, vor dem fröhlichen Vergnügungspark Kunsthalle.

Immer öfter bieten Museen ihre Shows als Teil eines umfassenden Entertainment-Paketes an. Oder das Museum wird vollständig in einen neonfarbenen Unterhaltungstempel eingegliedert, wie unlängst in der Spielermetropole Las Vegas. Dort beherbergt das einem nord-italienischen Schloss nachempfundene Casino «Bellagio» neben 3000 Zimmern für Spielsüchtige Originalkunst von Picasso, Monet, Renoir und de Kooning.

Parallel zu den Besucherzahlen vermehren sich die Kosten, was wiederum den Erfolgsdruck verschärft. Das führe unweigerlich zu «einer Verödung» der Ausstellungskultur, sagt Museumsmacher Stein, «überall Picasso ist langweilig».

Ein Hauptgrund für den Boom ist die florierende US-Wirtschaft. Verebbt dereinst das Wachstum, fliesst weniger Geld. «Teure Shows werden dann nicht mehr möglich sein», sagt John Strand, Redaktor der Zeitschrift «Museum News». Schlimmer: Etliche der noch geplanten Museen könnten als Bauruinen enden.

Noch steigt der Dow Jones. Um Steuern zu sparen, spenden Börsengewinnler Dividenden an Kunstinstitute. Deren volle Kassen ermöglichen es den Direktoren, Ausstellungen aufwändig zu vermarkten – genau wie Hollywoods Strategen. Nicht die Muskelpakete Stallone oder Schwarzenegger, sondern Picasso oder Pollock zieren die Werbeplakate. Erfolg hat, wer klotzt, Stars einsetzt und wem es gelingt, internationale Topereignisse zu kreieren, nicht aber, wer Anspruchsvolles oder Innovatives hängt. Bigger is better. Nur dann interessiert es die Medien.

Nie zuvor berichteten die Massenmedien nämlich häufiger über Museen als in den vergangenen drei Jahren, errechnete Victoria Newhouse, Autorin des eben erschienenen Buches «Towards a New Museum». Von Interesse sind meist die musealen Bauten. Jede Stadt scheint derzeit einen Stararchitekten anzuheuern, der ein Hunderte Millionen Dollar teures, mondänes Haus baut. Das wird sofort zur Tourismusattraktion. Jüngste Beispiele: Mario Bottas Museum of Modern Art in San Francisco und Richard Meiers Getty Museum in L. A.

Oft seien das «bloss Hüllen», sagt der New-Yorker Ausstellungsmacher Jake Barton. In keinem der neuen Museen hinge nennenswerte Kunst. Zwar besteche die Architektur, doch eine hochklassige permanente Ausstellung fehle. Kein Wunder: Viele Häuser wollen erst gar keine Sammlungen anlegen. «Ein zugkräftiger Bau genügt, wer braucht noch Inhalte?», fragt Barton. Es sei kaum zufällig, dass niemand über die Kunst im neuen Getty Museum spreche, «darüber gibts nichts zu sagen».

Museen, einst Liebhaberobjekte und Kuriositätenkabinette, dienen heute eher als Investitionen. Sie sollen die Wirtschaft einer Stadt oder Region ankurbeln. Seit etwa in Bilbao im spanischen Baskenland ein Guggenheim Museum thront, ist die zuvor heruntergekommene Industriestadt für US-Touristen zu einem europäischen Hauptreiseziel geworden. Neu ist das Phänomen nicht. Das 1974 in Paris gebaute Centre Georges Pompidou zieht jährlich acht Millionen Besucher an.

Dem Blockbuster-Druck halten viele Direktoren nicht stand und geben auf. Über zwanzig Chefposten an US-Museen sind seit längerem vakant. Sogar renommierte Häuser wie das Whitney Museum in New York oder das Dallas Museum of Art suchten während Monaten nach geeigneten Direktoren.

Kevin E. Consey, einst Direktor im Museum of Contemporary Art in Chicago, wird sich nicht bewerben. «Haufenweise Gold würde mir nicht genügen, ein weiteres Museum zu leiten», sagt er. Der Job sei «unbefriedigend geworden». Ausüben könnten ihn «nur Kompromisswillige», sagt die scheidende Direktorin des New Museum of Contemporary Art in New York, Marcia Tucker. Sie sei doch «keine opportunistische Werberin».

Marketing allein hob die Zahlen allerdings nicht. Den Museen gelang es, eine jüngere, weniger gebildete und minderbegüterte Klientel zu gewinnen. Vor zehn Jahren war die durchschnittliche Besucherin des Moma 55 Jahre alt, weiss, ausgestattet mit einem Uniabschluss und einem Einkommen von über 100 000 Franken pro Jahr. Heute liegt das Durchschnittsalter bei 35, Männer und Frauen halten sich die Waage. Öfters kommen Kunstliebhaber ohne akademische Bildung. Weisse seien zwar nach wie vor in der Mehrheit, aber, sagt Moma-Direktor Lowry, «andere Ethnien holen auf».

Am Anfang des Trends standen Blockbusters. «Cézanne oder Monet», sagt Lowry, «brachten viele überhaupt in ein Museum.» Jetzt treiben diese Stars die Preise an. Bis zu dreissig Franken kostet in den USA heute eine Eintrittskarte. Ehrgeiz und das Prinzip von Angebot und Nachfrage hätten zum Höhenflug geführt, sagt die Präsidentin des Los Angeles County Museum, Andrea Rich. Sie wollte van Gogh «unbedingt» zeigen, trotz enormer Kosten. Ihr blieb nur, die Preise markant anzuheben.

Vornehmlich die Börse und der boomende Kunstmarkt treiben die Preise. Private Händler kaufen die guten Stücke. Wer sie zeigen will, zahlt hohe Leihgebühren. Zusätzlich verteuern sich Transport- und Versicherungskosten. Weil die Shows teurer werden, brauchts noch mehr Publikum, also vornehmlich Blockbusters und noch mehr Werbung.

Inzwischen verlangen Museen je nach Ausstellung unterschiedliche Eintrittspreise. Das Moma verlangt normalerweise 14 Franken, die Jackson-Pollock-Ausstellung aber kostet gut 17 Franken. «Das ist keine gute Entwicklung», sagt J. Carter Brown, Chairman der National Gallery of Art, «aber es spiegelt den Markt.» Man könne «für Salami nicht denselben Preis verlangen wie für Kaviar, obwohl beides gut schmeckt», sagt er.

Die Museumsdirektoren lernten den wilden Kapitalismus 1992 auf der Strasse. Vor dem Moma verkauften damals Schwarzhändler frühmorgens erstandene Karten für die damalige Matisse-Aus-stellung. Statt die regulären siebzehn verlangten sie über siebzig Franken. Die Besucher zahlten – sie wollten nicht stundenlang auf Einlass warten. Die Händler verdienten rund anderthalb Millionen Franken, Geld, das das Museum gut hätte brauchen können. Seither schlagen die Preise auf, wenn Stars ausgestellt werden.

Die Leute kommen trotzdem und geben sich genussvoll dem Konsum hin. Den Museen angegliederte Läden, wo man Replikate der ausgestellten Kunst erstehen kann, florieren. Besucher geben weit mehr Geld für den Kauf von Büchern und Posters aus als für den Eintritt. Geld verdienen Museen heute mit Merchandising – genau wie Disney. Die Mickey-Mouse-Firma macht Gewinne mit Plüschtieren, nicht mit Filmen.

Wenig überrascht daher die eben erfolgte Wahl des Direktors des Chicago Museum of Contemporary Art, Robert Fitzpatrick, der nie zuvor ein Museum leitete. Er war Präsident und Manager bei Eurodisney. «Bei Disney habe ich gelernt», sagt Fitzpatrick, «den Besucher als Gast zu behandeln und nur einer einzigen Pflicht zu huldigen: dessen Bedürfnisse vollständig zu befriedigen.»

Pollock und Pizza

Glenn D. Lowry setzt als Direktor des Museum of Modern Art in New York voll auf das Museum als sozialen Treffpunkt.

Herr Lowry, Sie boten im Museum of Modern Art, Moma, Jackson Pollocks Kunst zusammen mit Pizza und Jazz an. Warum ist das nötig?
Glenn D. Lowry: Museen sind soziale Treffpunkte geworden. Es genügt nicht mehr, Bilder an die Wände zu hängen. Das Publikum erwartet umfassende Erlebnisse.

Dann wird das noble Kunstmuseum zum fröhlichen Vergnügungspark?
Lowry: Viel eher haben es etliche US-Museen geschafft, dem Kunstgenuss den einstigen Nimbus des Elitären zu nehmen. Wir können gleichzeitig Kunstkenner und erstmalige Besucher an-sprechen. Dazu brauchts hervorragende Ausstellungen und griffiges Marketing.

Ohne Kampagnen gehts also nicht?
Lowry: Was zählt, ist die Substanz, das einzigartige Kunsterlebnis. Zwar haben Museen versucht, ausschliesslich mit Werbung Publikum anzulocken. Sie mussten bald erkennen: Besucher bleiben aus, wenn die Galerien wenig bieten. Aktionen mit Jazz oder italienischem Essen helfen uns, den Mitgliederbestand zu erhöhen. Marketing allein ist jedoch nicht verantwortlich für den jetzigen Boom.

Warum kommen die Leute?
Lowry: Es geht der US-Wirtschaft blendend. Die Leute haben mehr Freizeit und Geld, was sie beflügelt, kulturelle Aktivitäten wahrzunehmen. Museumsbesuche sind billiger als Ballett oder die Oper.

Das Publikum besucht hauptsächlich Blockbuster-Ausstellungen, aufwändige Shows mit vertrauten Namen.
Lowry: Blockbusters sind zwar wichtig, aber sie machen nur einen Teil des Erfolges aus. Das Moma ist bemüht, stets eine Auswahl anzubieten. So kann man verschiedene Publikumssegmente ansprechen. Wer nur auf Blockbusters setzt, läuft Gefahr, Kunstbeflissene zu verlieren.

US-Museen kreieren ein Zweiklassensystem, indem sie bei Stars wie Picasso oder Pollock die Eintrittspreise erhöhen.
Lowry: Jedes Opernhaus verlangt mehr, wenn Pavarotti und nicht der lokale Tenor singt. Im Gegensatz zu Europa, wo die Museen hauptsächlich staatlich finanziert werden, sind wir stark vom Umsatz abhängig. Der Markt bestimmt hier die Preise.

Während in den USA die Museen boomen, verzeichnen europäische Institutionen Besucherschwund. Warum?
Lowry: Die staatliche Förderung macht europäische Museen etwas träge. Wir müssen am Markt bestehen und aus- gesprochen innovativ um Publikum buhlen.

Häufig stehen Museumsbauten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Lowry: Das ist eine gefährliche Entwicklung. Nehmen wir das Guggenheim in Bilbao. Ein imposanter Bau, es gibt dort aber überhaupt kein Kunstprogramm. Es ist einfacher – und auch billiger -, ein aufregendes Gebäude bauen zu lassen als eine Sammlung anzulegen. 150 Millionen Dollar reichen für das Haus, nicht aber für die Sammlung. Wer aber keine Kunst zeigen kann, geht als Museum unter.