Saving Private Ryan – Helden des Überlebens

Amerika ist vom neuen Film Steven Spielbergs begeistert: «Saving Private Ryan» gilt als einer der eindrucksvollsten Kriegsfilme aller Zeiten.

Von Peter Hossli

Köpfe explodieren unterm Stahlgewitter. Tausend Soldaten versuchen eine Düne in der Normandie zu erklimmen. Keiner überlebt. Selbst ins eiskalte Atlantikwasser peitschen Gewehrsalven. Pausenlos löchern deutsche Kugeln Augen, Stirnhöhlen und Oberschenkel. Blut spritzt, Därme quellen heraus. Verzweifelt schleppt ein amerikanischer Soldat den eben erst weggesprengten linken Unterarm zum aufgewühlten Truppensanitäter. 10 549 alliierte Tote an einem bedeckten Tag im Juni.

Krieg ist schrecklich. Und Krieg ist unerträglich laut. So laut und so schrecklich wie in Regisseur Steven Spielbergs neustem Film «Saving Private Ryan» war er im Kino noch nie. Brillant inszenierte er den D-Day, die Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944, im Stil verwackelter Wochenschaubilder als nackte Gewalt. Nicht glamourös, nur grauenhaft und hässlich.

Der Film, vergangenes Wochenende in US-Kinos erfolgreich gestartet, wurde von der Kritik als Spielbergs «filmisches Meisterstück» gefeiert. Wuchtig katapultiert er jenes Ereignis erneut ins Bewusstsein Nordamerikas, das gemäss Spielberg «das 20. Jahrhundert am eindringlichsten geprägt hat»: der Zweite Weltkrieg.

Nach dem «Titanic»-Jahr dominiert nun «der letzte grosse Krieg», wie es im Werbetext zum Film heisst, die US-Medien. Das Oscar-Rennen sei bereits entschieden, glaubt die «New York Times». Spielbergs superbes Drama um acht Soldaten, die in der Normandie einen Verschollenen suchen, dessen drei Brüder innert einer Woche starben, werde wohl als bester Film ausgezeichnet.

Historische Abhandlungen über «The Big One», wie der Zweite Weltkrieg in den USA heroisch genannt wird, dominieren die Auslagen der Buchhandlungen. Geschichtsprofessor und Spielberg-Berater Stephen E. Ambrose verkaufte in einem halben Jahr über eine Million Exemplare zweier populärhistorischer Bücher zum Krieg. Täglich talkt er im Fernsehen über die von Kino, Medien und Lexika verdrängten Grauen der Rückeroberung Europas. Fast 600 000 Amerikaner fielen – in Hollywood entstehen darüber derzeit sechs neue Filme.

Regisseur Spielberg, sonst eher pressescheu, begab sich für «Saving Private Ryan» erstmals seit 17 Jahren wieder auf Interview-Tournee. Zu vermarkten hat er einen Film, dessen bestechende Eingangssequenz das literarische Wochenmagazin «The New Yorker» mit Erich Maria Remarques Klassiker «Im Westen nichts Neues» verglich, dem 1928 veröffentlichten Roman, der die Unerbittlichkeit der deutsch-französischen Front im Ersten Weltkrieg schildert.

Der «E.T.»-Macher schuf seinen kühnsten Wurf. Einen ästhetisch grandiosen Film, der nicht nach Erklärungen sucht, die es ohnehin nicht gibt, sondern bloss zeigt, was Krieg ist. Weder verhaspelt er sich in pseudo-pazifistischen Floskeln, noch verherrlicht er die Rolle der USA.

Beeinflussen liess sich Spielberg von 150 Stunden unlängst gefundenem, farbigem Archivmaterial, das Westernregisseur John Ford («The Searchers») während der Invasion drehte. Anfang 1999 soll eine Auswahl davon ins US-Fernsehen gelangen – restauriert von Spielbergs Studio DreamWorks.

Der Zeitpunkt stimmt. Ein letztes Mal können Beteiligte mit ihren Grosskindern über «The Big One» sprechen. Lange, sagt Spielberg-Berater Ambrose, leben die Veteranen, die ihre verwegenen Taten jetzt gebannt auf der Leinwand verfolgen, nämlich nicht mehr.�