Von Peter Hossli
Henry Kissinger, 74, war gerührt, als er von der bevorstehenden Fernostreise erfuhr. Bald werde er, teilte ihm Disney-Chef Michael Eisner mit, in Peking alte Bekannte treffen. Der ehemalige US-Aussenminister, Friedensnobelpreisträger und unter Präsident Richard Nixon als China-Experte amtende Kissinger darf auf geheime Mission ins Reich der Mitte. Sein Auftrag: Mickey Mouse den Riesen China für geschäftliches Tun offen zu halten.
Das ist dringend nötig. Kein einziges Disney-Produkt, drohte das staatliche Filmministerium in Peking, dürfe nach China importiert werden, falls zu Weihnachten in den USA tatsächlich «Kundun» in die Kinos gelange. Der von Disney produzierte Film über den Dalai Lama, inszeniert von Martin Scorsese («Taxi Driver»), verfeme die Chinesen als brutale Herrscher. Zusätzlich verfälsche der Film Chinas Rolle in Tibet zu jener Zeit, als kommunistische Truppen einmarschierten und das Oberhaupt der dortigen Buddhisten, den Dalai Lama, in die Flucht trieben.
Schrecken löste diese Drohung beim Geschäftsführer der Walt Disney Corporation, Michael Eisner, aus. Er sah künftige Gewinne auf einen Schlag schwinden.
Mit einer Bevölkerung von einer Milliarde Menschen ist China ein Traumland für jeden Investor. Neben Filmen möchte Disney sein ganzes Unterhaltungsimperium dorthin exportieren: In Shanghai ist ein Disneyland geplant. Bereits werden in drei Läden Stoffpuppen, Badetücher oder T-Shirts verkauft, bedruckt mit lustigen und farbigen Disneyfiguren. Da die Leinwanddichte in China noch dünn ist, verspricht das Geschäft mit so genannten Multiplexkinos reichlich Rendite.
Nun soll Kissinger die Sache regeln.
Er habe den Auftrag, sagte Disney-Sprecher John Dreyer in einem Interview mit der «New York Times», «uns in verschiedenen Angelegenheiten zu helfen».
Regisseur Scorsese, der den Film in Marokko mit Exil-Tibetern drehte, fürchtet jetzt, Disney lasse sich auf einen Kompromiss ein und bringe den Film nur in limitierter Kopienzahl und mit nur kleinem Werbebudget in die Kinos.
Scorseses Furcht ist berechtigt. Um den Schaden in Grenzen zu halten, überliess Disney die internationalen Verleihrechte an «Kundun» dem französischen Unterhaltungskonzern UGC.
«Kundun» ängstigt Hollywood seit längerem. Religiöse Themen, lehrt die Filmgeschichte, bergen ein finanzielles Risiko. Immerhin beläuft sich das Budget von «Kundun» auf 30 Millionen Dollar. Ein Betrag, der kaum eingespielt wird.
Noch grössere Gefahr droht durch Repressionen aus China. Die Hollywoodstudios lehnten Scorseses Drehbuch fast unisono ab. Warner verzichtete vor zwei Jahren. Seagram, das Mutterhaus von Universal, folgte kurz darauf. Aus finanziellen Überlegungen: Der Getränkehändler verkauft in China erfolgreich Whiskey. Mit einem Film wollte sich Seagram das Schnapsgeschäft nicht verderben. Ausserdem plant Universal, im Reich der Mitte im selben Stil wie Disney einträgliche Vergnügungsparks sowie Kabelfernsehstationen aufzubauen.
Noch bevor «Kundun» fertiggestellt ist, reagiert China mit Gegenpropaganda. In Windeseile liess man einen Dokumentarfilm produzieren, den das chinesische Fernsehen im ganzen Land ausstrahlte. Er stellt die Mehrheit der Tibeter als unterwürfige Sklaven einer religiösen Elite dar. Ein solches System habe der Dalai Lama persönlich abgesegnet.
Vergangene Woche lud die chinesische Botschaft in Bern auserlesene Journalisten und Wirtschaftsvertreter zum Fernsehschauen. Auf dem Programm stand der chinesische Tibet-Dokumentarfilm, und der Schweizer Kinostart von «Kundun» im kommenden Februar sollte verhindert werden. Mit einer Bestechung des «Kundun»-Verleihers Focus: «Ein bekannter Schweizer Geschäftsmann, der in China geschäftet», sagt Focus-Chef Juerg Judin, «erkundigte sich, wie viel es denn kosten würde, den Film nicht herauszubringen.» Judin lehnte ab.�