Microsoft hat in den goldenen Apfel gebissen

Bill Gates hats geschafft: Mit bescheidenen 150 Millionen Dollar hat er sich bei Apple eingekauft und die Herrschaft über das Internet übernommen.

Von Peter Hossli

Gellende Pfiffe schlugen Steve Jobs von aufgebrachten Leuten in teuren Anzügen entgegen. Jobs, 42, Gründer und heutiger Berater der US-Computer-Firma Apple, hatte am 6. August an der Fachmesse MacWorld in Boston einen historischen Entscheid verkündet. Für 150 Millionen Dollar werde sich Microsoft-Chef Bill Gates am renommierten, aber maroden Rechnerbauer Apple Computer beteiligen.

Eingetroffen war für viele das Unfassbare: Apple, jahrelang einziger ernst zu nehmender Widerpart von Microsoft, warf sich in die Arme von Multimilliardär und Quasimonopolist William H. Gates III. Der treuen Apple-Gemeinde mutete diese Seilschaft so unglaublich an wie ein allfälliger Zusammenschluss von Pepsi und Coca-Cola oder eine politische Allianz zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon. Enttäuscht buhten sie zuerst Jobs und dann Gates aus, der über einen orwellschen Grossbildschirm die Qualitäten des Betriebssystems von Apple lobte. Analytikern des Computer-Marktes war klar, dass künftig niemand die technologischen Entscheide des Duos Apple-Microsoft hinterfragen könnte.

Jobs und Gates ordneten an diesem Tag den Standard der digitalen Welt neu.

Als Gates den von Apple produzierten Computer Macintosh zusätzlich als «Plattform für führende Internet-Technologien» bezeichnete, verschlug es in Kalifornien einem jungen Software-Fabrikanten die Sprache: Marc Andreessen, 25, Gründer und Mitbesitzer der Firma Netscape. Für den Hersteller des Netscape Navigators, wusste Andreessen nach Gates’ Ansprache, könnte der Deal das Ende bedeuten. Am nächsten Tag verdoppelten sich die Aktien von Apple, jene von Netscape fielen in den Keller. Netscape, mit einem Marktanteil von 68 Prozent führender Fabrikant von Internet-Browser-Programmen, geht als klarer Verlierer dieses 6. August hervor.

Gates kaufte an diesem Tag das Internet.

Die an Apple überwiesenen 150 Millionen Dollar könnten sich nachträglich als gewinnbringendste Investition der Industriegeschichte erweisen. Klammheimlich sicherte sich der smarte Multimilliardär für wenig Geld die Herrschaft über das globale Datennetz, das noch vor Anbruch des 21. Jahrhunderts horrende Gewinne abwerfen wird.

Mit der Unterschrift unter den Vertrag mit Apple erzwang sich Gates einen entscheidenden Vorteil im so genannten Krieg der Browser: die Vorinstallation des von Microsoft entwickelten Browsers Internet Explorer in jeden Computer, den Apple ausliefert. Wer künftig mit einem Macintosh aufs Internet will, kann das am einfachsten und billigsten mit einem Programm von Bill Gates tun. Da auf fast allen anderen Heimcomputern bereits Programme von Gates laufen und im Anfang 1998 ausgelieferten neuen Betriebssystem von Microsoft, Windows 98, der Explorer ebenfalls installiert wird, könnte Gates bald der weltweit alleinige Anbieter von Browser-Programmen sein.

Der König des Internets.

«Netscape gehört bald nicht mehr zu den führenden Software-Firmen», schrieb die in Boston ansässige Consulting-Firma Aberdeen. Dabei leistete die 1993 von Andreessen im Silicon Valley gegründete Firma für die Popularisierung des Internets Pionierarbeit. Zwar haben Universitäten und die US-Army den Verbund von Computern seit den sechziger Jahren genutzt. Erst der von Netscape 1993 entwickelte Browser ermöglichte ein vereinfachtes Durchstöbern von Datenbanken oder Archiven. Schon bald brachte Netscape multimedia-taugliche Versionen auf den Markt.

Bill Gates verpasste die ersten beiden Jahre des Internets. 1993, als die ersten Versionen des Netscape-Browsers auf den Markt kamen, beschäftigte sich der Microsoft-Chef mit der Entwicklung und Vermarktung seines labilen Betriebssystems Windows 95. Dass sich das Internet durchsetzen würde, bezweifelte Gates. Der nicht seiner Lust zur Innovation, sondern seiner Anpassungsfähigkeit wegen bekannte Manager setzte auf Bewährtes: Kalkulationsprogramme, Betriebssysteme oder Textverarbeitung.

Erst die astronomischen Wachstumsraten von Netscape und der Erfolg des Internets bewogen Gates, seine Ingenieure mit der Entwicklung eines eigenen Browsers zu beauftragen. Als 1996 Netzwerk-Computer auf den Markt kamen, die ihr System, die Programme und Dokumente nicht mehr auf der Festplatte lagern, sondern aus dem Netz beziehen, sah Gates seine Vormachtstellung schwinden.

Gleichzeitig wurde Netscape als Retter der Branche vor Gates’ Alleinherrschaft gefeiert. Da das Internet bald zum wichtigsten Anwendungsbereich von Computern werde, prognostizierten Analytiker, könnte das Betriebssystem direkt in den Browser von Netscape installiert werden. Netscape-Chef Andreessen träumte davon, Windows noch vor dem Jahr 2000 abzulösen. Mit Aussichten auf Erfolg: Da der Internet-Marktanteil von Netscape sowie das Know-how enorm hoch waren, könnte die kleine Firma aus dem Silicon Valley für den Giganten aus Redmond bei Seattle das Ende bedeuten. Kein Rechner würde ohne Netscape ausgeliefert werden.

Doch Gates besann sich auf seine alte Tugend und sein Geld. Der angeschlagene Marketingspezialist verfuhr wie eh und je: Er sprang auf den fahrenden Zug auf, suchte nach verwundbaren Stellen seiner schärfsten Konkurrenten. Im richtigen Moment schlug er zu.

Zwischen 1995 und 1997 investierte er rund vier Milliarden Dollar in bereits bestehende Technologien des Internets. Im April dieses Jahres gründete er Web TV, das Internet zum globalen Fernsehkanal macht. Bereits schwirren etliche, mit russischen Raketen abgeschossene Satelliten von Gates um den Erdball. Sie sollen die Übertragungsgeschwindigkeit des Internets massiv erhöhen. Das Betriebssystem Windows 98 vereint den Computer und das Fernsehgerät. Künftig können mit den Programmen von Gates aus verschiedenen Informationskanälen, die über das Internet übertragen werden, Daten direkt auf den Fernsehschirm geladen werden.

Um den Einstieg ins Internet-Geschäft zu schaffen, beauftragte Gates zuerst seine Ingenieure, die besten Elemente der Netscape-Programme in den Internet-Explorer zu übernehmen. Mit Erfolg. In zwei Jahren stieg der Anteil des Explorers von fünf auf über dreissig Prozent.

Am billigsten zu stehen kommt Gates die Zusammenarbeit mit Apple. Während bis anhin rund 90 Prozent der Apple-Nutzer den Zugang zum Internet mit Hilfe von Netscape-Programmen bewerkstelligten, werden sie in Zukunft mit dem Browser von Gates nach digitalen Informationen suchen. Die meisten Web-Sites entstehen nach wie vor auf Apple-Computern. Da diese bald nur noch mit dem Internet Explorer ausgerüstet sind, wird Gates den technischen Standard für jede Seite des Internets setzen.

Gewinnen dürfte Bill Gates wegen der Bequemlichkeit der Anwender. Zwar wird es auch in Zukunft noch möglich sein, den Browser von Netscape direkt vom Internet auf die eigene Festplatte zu laden. Das dauert aber seine Zeit, erfordert gewisse technische Fertigkeiten sowie Vorkenntnisse und kostet Telefongebühren. Glücklicher ist, wer seinen Computer anschliesst und mit Hilfe eines vorinstallierten Browsers im Internet landet.

Das Ende der Allianz Netscape-Apple bedeutet auch das Ende der Allianz zwischen Apple und Sun, dem kalifornischen Entwickler von Netzwerk-Computern. Analytiker trauten Sun, Netscape und Apple zu, mit Microsoft mitzuhalten. Doch Gates tat wieder einmal das Richtige zum richtigen Zeitpunkt: Er handelte strategisch. «Netscape hätte die 150 Millionen Dollar problemlos aufwenden können, um die finanzielle Situation bei Apple zu verbessern», sagt ein ehemaliger Apple-Entwickler. «Dasselbe gilt für Sun. Beide Firmen dachten nicht strategisch. Gates schon.»

Gates denkt immer strategisch. Darum gewinnt er immer. Zwar verfügen Netscape und Sun noch über einen Vorsprung bei Java, einer Programmiersprache, die auf allen Systemen läuft und dank ihrer enormen Verdichtung von Daten der Bild- und Tonfähigkeit des Internets zum Durchbruch verhelfen wird. Gates verpflichte nun aber Apple, eine Java-Version für Windows zu entwickeln. Gelingt das, hätte Netscape alle seine Vorteile verloren. Gelingt es nicht, findet Gates einen strategischen Zug, Netscape den Nacken für ein paar Dollar endgültig zu brechen.

Mitarbeit: Pascal Zemp

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