Von Peter Hossli
Cindy Sherman lebt in New York, kam in New Jersey zur Welt und gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerinnen: Cindy Sherman, 43, ist eine Klassikerin der fotografischen Gegenwartskunst. In der Schweiz waren ihre Fotografien von Dezember 1995 bis Februar 1996 im Kunstmuseum Luzern zu sehen.
Cindy Sherman begann in den siebziger Jahren als Malerin, besuchte eine Fotoklasse, fiel aber durch, weil sie angeblich die Technik nicht beherrschte. Bereits Mitte der achtziger Jahre galt sie aber als eine der besten Fotokünstlerinnen der Zeit. Ihr Werk besteht fast ausschliesslich aus inszenierten Selbstporträts, die von alten Filmen, Zeitschriften, der Mode- oder der Werbewelt beeinflusst sind. Thematisch sind Tod, der Verfall des Körpers, Sexualität, Anatomie oder Gewalt besonders präsent. «Office Killer» ist nun Cindy Shermans erster Kinofilm. Sherman ist mit dem französischen Videokünstler Michel Auder verheiratet.
Frau Sherman, Journalisten mögen Sie offensichtlich nicht, oder?
Cindy Sherman: Nicht alle. Warum?
In Ihrem ersten Kinofilm «Office Killer» lassen Sie ein halbes Dutzend Journalisten umbringen.
Sherman: Die meisten Journalisten verachte ich, darum müssen sie in meinem Film sterben. Die Opfer sind aber nicht die Autoren der Artikel, sondern die Redaktoren und die Geschäftsleiter. Leute, die selber schreiben, mag ich.
Ihr Film ist eine Anleitung, wie die Redaktion einer Zeitschrift in einer Woche ausgemerzt werden kann?
Sherman: Diese Interpretation gefällt mir. Ich werde das jedem Journalisten sagen, der mich künftig interviewt.
In den USA wird Ihr Film von Miramax verliehen, einer Firma, die zum Unterhaltungsriesen Disney gehört. Sie bezeichnen sich als Avantgarde-Künstlerin. Ist das kein Widerspruch?
Sherman: Es ist ein komisches Gefühl, plötzlich Teil des Mainstreams zu sein. Als Künstlerin hatte ich stets die totale Kontrolle über meine Arbeit und über deren Vermarktung. Jetzt entscheiden Unbekannte in Firmen mit horrenden Marketingbudgets über die Auswertung. Daran muss ich mich zuerst gewöhnen.
Gibt es sonst Unterschiede zwischen Avantgarde und Mainstream?
Sherman: Einen kleinen, vielleicht. Man sollte den Mainstream benutzen, um die Avantgarde neu zu schaffen. Momentan ist das aber kaum möglich. Der Mainstream frisst gierig aus dem Topf der unabhängigen und innovativen Kunst.
Gibt es Beispiele?
Sherman: Ich bin schockiert, dass Prodigy an der Spitze der Hitparade steht. Vor wenigen Jahren noch war Technomusik höchstens ein paar Insidern bekannt.
Um den Mainstream kommen auch Ihre Fotografien nicht herum. Ihre diesjährige Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art wurde von «Material Girl» Madonna gesponsert.
Sherman: Das hat mir einen grossen Schrecken eingejagt. Vor ein paar Jahren noch hätte ich einem Künstler, der sich seine Ausstellung von jemandem wie Madonna finanzieren lässt, gesagt: «Du verkaufst dich.»
Und jetzt verkaufen Sie sich?
Sherman: Halt, so einfach ist das nicht. Ich hatte überhaupt keinen Einfluss auf die Wahl des Sponsors. Niemand fragte mich, ob ich das wolle. Die Leute des Museums waren einfach froh, dass jemand für die horrenden Kosten aufkam.
Haben Sie sich gegen Sponsorin Madonna gewehrt?
Sherman: Es blieb keine Zeit. Eine Woche vor der Vernissage erklärte sich Madonna bereit, die Ausstellung zu finanzieren. Ob ich damit Probleme habe oder nicht, kümmerte keinen. Es hätte auch Sylvester Stallone sein können …
… oder Coca-Cola.
Sherman: Ja, oder der Zigarettenmulti Philip Morris. Das hätte wahrscheinlich die Antiraucher-Liga aufgeschreckt und weit grössere Diskussionen ausgelöst.
Wen ziehen Sie denn vor? Madonna oder Marlboro?
Sherman: Es gefiel mir nicht, mit einem Superstar in Verbindung gebracht zu werden. Gegen das Rauchen habe ich nichts.
Als Fotografiestudentin fielen Sie einst bei einem Kurs durch, weil Ihnen die Technik zu komplex war. Das Kino ist technisch aufwendiger als die Fotografie. Wie schafften Sie das?
Sherman: Ich hatte erfahrene Leute, die mir halfen, die Technik zu meistern. Sie kannten mein Werk und versuchten nie, auf meinen Stil Einfluss zu nehmen.
Wie erlebten Sie diesen Wechsel vom starren zum bewegten Bild?
Sherman: Es war die Hölle. Vor allem die langen Arbeitstage. Auf einem Filmset muss man sich während zwölf Stunden konzentrieren. Wenn ich fotografiere, arbeite ich ein paar Stunden, mache eine Pause und arbeite weiter. Das ist zwar Luxus, es verbessert aber das Endprodukt. Man kann sich distanzieren, weggehen, darüber nachdenken und bei der Rückkehr etwas anderes versuchen. Beim Film muss man konstant etwas produzieren, auf der Hut sein, nichts vergessen. Man ist einem enormen psychischen und körperlichen Stress ausgesetzt.
In «Office Killer» verschickt die Mörderin anonyme E-Mails an ihre künftigen Opfer. Terrorisieren Sie Ihre Umgebung ebenfalls mit elektronischer Post?
Sherman: Ich habe keine E-Mail-Adresse. Erst vor drei Monaten kaufte ich mir einen Computer. Zeit zum Installieren hatte ich noch nicht. Die Idee, E-Mails als Waffe einzusetzen, stammt nicht von mir.
Haben Sie denn noch keine eigene Web-Site?
Sherman: Nein. Sollte ich eine haben?
Das Internet wird von vielen Künstlern als Medium der Stunde betrachtet. Sie verpassen diesen Zug und drehen stattdessen altmodisch Filme?
Sherman: Noch weiss ich nicht, ob mir das Internet wirklich etwas zu bieten hat. Es scheint besser für Informationen als für Kunst geeignet. Es soll langsam sein.
Ihre Fotografien thematisieren Gewalt gegen Frauen. In «Office Killer» sind die Frauen Opfer und Täterin zugleich. Die Frau bringt Frauen um.
Sherman: Es sterben auch ein paar Männer. Die Mörderin ist eine emanzipierte und eine gleichberechtigte Mörderin.
Im Kino hat man solche Figuren doch schon tausendmal gesehen.
Sherman: Nicht in B-Movies. Dort sind es stets Männer, die junge Frauen ermorden. Bei mir ist es eine Frau, die rein zufällig einen Mann umbringt und dann Lust verspürt, weiter zu morden.
Sie verbinden Gewalt mit Humor. Ein weiterer Widerspruch?
Sherman: Bestimmt nicht in Horrorfilmen. Ich lache doch dauernd, wenn ich Horrorfilme sehe. Es bereitet mir regelrecht Spass, wenn Köpfe abgeschlagen oder Bäuche aufgeschlitzt werden.
Die Mörderin in «Office Killer» liebt ihre Opfer. Haben Sie hier Ihren Hang zur Nekrophilie ausgelebt?
Sherman: Sie liebt sie nicht, sie spielt mit ihnen und formt aus ihren Eingeweiden Kunstwerke. Sie mag die Leute, die sie zuvor hasste, erst wenn sie tot sind.
Sie selbst spielen ständig mit Ihrem Körper: Ihre Selbstporträts entstehen aus Veränderungen Ihrer Haare, Ihres Gesichts, Ihres Körpers. Warum verwenden Sie nie Modelle?
Sherman: Ich habe es versucht, mehrmals. Es hat nie funktioniert. Weder mit Models noch mit Familienmitgliedern oder mit Freunden. Die Leute dachten, ich veranstalte eine Art Kostümparty. Sie konnten sich nie richtig konzentrieren. Bei mir ist das anders: Als Modell bin ich zu allem bereit, was ich mir abverlange.
Im Film treten Sie nicht auf.
Sherman: Ich hatte Angst, überfordert zu sein.
Haben Sie auch Angst vor dem Altwerden? Der Zerfall des Körpers ist bei Ihnen ein zentrales Thema.
Sherman: Wovor ich mich fürchte, ist die Ungewissheit, mit der der Tod oft eintritt. Jederzeit kann man von einem Auto überfahren oder von einem Wahnsinnigen erschossen werden. Man hat überhaupt keine Kontrolle über die unerwarteten und schrecklichen Dinge des Lebens. Davor fürchte ich mich.
Warum kombinieren Sie im Film wie in Fotos Sexualität und Gewalt?
Sherman: Wir Amerikaner haben ein gestörtes Verhältnis zum Sex. Einerseits wird er unterdrückt, anderseits ist er überall in pervertierten Darstellungen präsent. Wenn ich Gewalt und Sexualität mische, drücke ich meine Wut darüber aus, in einer sexuell gestörten Gesellschaft leben zu müssen. Die amerikanische Sexualität ist ziemlich fucked up.
Noch ist «Office Killer» in den USA nicht angelaufen. Was passiert, wenn der Film floppt?
Sherman: Dann werde ich wohl keine Angebote mehr erhalten, Regie zu führen.
Was bedeutet Ihnen Geld?
Sherman: Was den Film betrifft: nichts.
Und generell?
Sherman: Ich bin vom Erfolg verwöhnt, bin Künstlerin und habe genügend Geld. Das ist doch eher selten.
Kennen Sie Pipilotti Rist?
Sherman: Ich weiss nur, dass sie aus der Schweiz kommt und demnächst im New Yorker Guggenheim-Museum ihre Werke ausstellt.
In den nächsten vier Jahren wird sie als künstlerische Direktorin für die Schweizer Landesausstellung Expo 2001 arbeiten.
Sherman: Das ist eine aussergewöhnliche Wahl. Die meisten Künstler würden nicht so viel Zeit aufbringen, um so etwas zu machen. Pipilotti Rist verdient dabei aber bestimmt viel mehr Geld als mit Kunst.