Wohlklänge provozieren schrille Dissonanzen

Hat Mozart zusammen mit anderen Komponisten zwei Opern geschrieben? Die Fachwelt ist uneins.

Von Peter Hossli

Mozarts Pauken und Trompeten schlagen und posaunen wieder. Fortissimo. Die Musikwelt ist in heller Aufregung: In einem Hamburger Archiv sind Notenblätter gefunden worden, die belegen sollen, dass der Österreicher Wolfgang Amadeus Mozart an zwei bisher kaum bekannten Opern mitgeschrieben habe. Dies berichtete vorige Woche die «New York Times».

Entdecker der kostbaren Papiere ist David J. Buch, Professor für Musikgeschichte an der University of Northern Iowa. Er fand sie in einem Archiv, das während des 19. Jahrhunderts Wissenschaftlern verschlossen blieb, nach 1945 von der Roten Armee nach Leningrad transportiert wurde und erst kürzlich wieder nach Deutschland gelangte.

Entfacht hat der Fund einen heftigen Expertenstreit. Mozart-Forscher diesseits des Atlantiks belächeln Buchs Entdeckung, jene jenseits bejubeln sie. Einen «Musterfall für europäischen Kulturpessimismus und amerikanischen Optimismus», nennt Neal Zaslaw, Redaktor des Mozartwerkverzeichnisses «Der Neue Köchel» und einer der führenden Mozart-Kenner, das Hickhack zwischen europäischen und US-Wissenschaftlern.

Zwar handelt es sich bei den entdeckten Schriftstücken um weniger als zwanzig Minuten Musik. Stammen die Singspiele jedoch tatsächlich von Mozart, müsste die Arbeitsweise des österreichischen Komponisten völlig neu beurteilt werden, sagt Spezialist Zaslaw. Auf den Notenblättern einer der von Buch gefundenen Opern, «Der Stein der Weisen», erscheint Mozarts Name zusammen mit vier andern Komponisten. Das würde bedeuten, das Musikgenie habe nicht allein, sondern im Team gearbeitet. «In Hollywood- oder Broadway-Manier», sagt Zaslaw: «Mehrere Leute arbeiteten an denselben Werken, die wiederum ständig umgeschrieben wurden.»

Kompositionen von Mozart tauchten in den zwei Jahrhunderten nach seinem Tod wiederholt auf. Durchwegs handelte es sich um Stücke aus Mozarts Jugend. Die beiden Opern, die der Komponist nun geschrieben haben soll, entstanden aber 1790 und 1791, kurz vor Mozarts Tod im Dezember 1791.

Als «sensationslüstern» bezeichnet die Chefbibliothekarin des Mozarteums in Salzburg, Genevieve Geffray, die Behauptungen von Musikhistoriker Buch. Mozart sei um 1790 sehr krank und deshalb nicht mehr in der Lage gewesen, neben der «Zauberflöte» weitere Kompositionen zu fertigen. «Und überhaupt», sagt Geffray, «was kann denn einer, der an einer Uni in Iowa forscht? Wo, bitte, liegt Iowa?»

Absolute Sicherheit gibt es nicht. Etliche Indizien sprechen aber für die Echtheit der Hamburger Papiere. So existieren Briefe von Mozarts Witwe Konstanze, in der sie den «Stein der Weisen» erwähnt. Zumindest einen grossen Teil des Finales, meint Zaslaw, habe Mozart geschrieben. Ein Libretto zur Oper trage zudem die Unterzeile «Musik von W. A. Mozart».

Der Komponist arbeitete wie viele andere Musiker nicht nur für städtische Theater, sondern auch für Vorortsbühnen. Dort gelangte «Der Stein der Weisen» zur Aufführung. «Es war ein Job, um Geld zu verdienen», meint Zaslaw.

Etwas dünner ist die Beweislage bei der zweiten von Buch entdeckten Oper, «Der wohltätige Derwisch». Lange Zeit galt der Wiener Emanuel Schikaneder als deren Komponist. In einem Brief sprach er Mozart 1790 seine Bewunderung für eine Passage mit dem Text «pa pa pa» aus. Mozart-Forscher glaubten, Schikaneder spreche von Mozarts Meisterwerk «Die Zauberflöte». Buch geht nun davon aus, Schikaneder hatte sich in diesem Brief bei Mozart für seine Kooperation am «Wohltätigen Derwisch» bedankt.

Für «völligen Blödsinn» hält die Mozarteum-Bibliothekarin Geffray diese Annahme. «Wir haben viele Schriftstücke in unserem Archiv mit Mozarts Namen.» Deswegen stammten diese Kompositionen noch lange nicht von Mozart. Das von Buch entdeckte Manuskript, sagt Geffray, sei erst im 19. Jahrhundert entstanden – nach Mozarts Tod.

«Falsch», sagt der US-Musikwissenschaftler und Spezialist für Wiener Mozart-Manuskripte, Dexter Edge, der zurzeit Faxkopien von Buchs Fund untersucht. «Die Papiere wurden mit grösster Wahrscheinlichkeit um 1790 erstellt.» Die Beweise seien derart evident, dass Dexter nächste Woche nach Hamburg reise, um die Originale zu sichten.

Überrascht über die arroganten Reaktionen aus Mozarts Heimatstadt ist Buch nicht. «Salzburg behandelte Mozart zu Lebzeiten schlecht», sagt er. «Warum soll das jetzt anders sein?»