Von Peter Hossli
Mitte Woche bekam der Zürcher Schulamtsvorsteher, Stadtrat Hans Wehrli, Post. Per eingeschriebenen Brief reichte der Leiter der Fachklasse Grafik an der Schule für Gestaltung in Zürich, Ruedi Wyss, beim obersten Pädagogen der Stadt Rekurs ein. Den Ende Januar gefällten Entscheid, die Grafikabteilung aufzulösen, fordert Wyss eindringlich, solle Wehrli umgehend rückgängig machen. Deren Überführung in die noch zu gründenden Studienbereiche «Neue Medien» und «Digitale Gestaltung» sei ein herber Verlust.
Der Rekurs ist der vorläufige Höhepunkt der Debatte um die 1935 gegründete, weltweit angesehene Grafikklasse der Schule für Gestaltung Zürich. Bereits Anfang Woche hatten fünf Berufsverbände der Grafik- und Werbebranche in einem ganzseitigen Zeitungsinserat die Aufhebung der Abschaffung verlangt. Gleichzeitig boten sie ihre «konstruktive Mitarbeit» zur Lösung der «hausgemachten strukturellen Probleme» an.
Freilich zu spät. Aussichten auf Erfolg bescheidet dem Rekurs oder dem Inserat niemand mehr. «Das Schicksal der Schule ist besiegelt», sagt Jakob Gantenbein, Redaktor der Zeitschrift «Hochparterre» und selbst Lehrer an der Schule für Gestaltung. «Der politische Mist ist geführt.»
Zu lange hätten die Verbände geschwiegen, die jetzt protestieren. Die Grafikklasse, seit einiger Zeit umstritten, sei jahrelang nicht in der Lage gewesen, die Öffentlichkeit von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen, fügt eine Absolventin an. Es sei zudem verpasst worden, die Ausbildung den Bedürfnissen des digitalen Arbeitsmarktes anzupassen.
Grafik entsteht heute am Computer.
An den geringen Erfolgsaussichten der späten Rettungsversuche wird auch der Glaubenskrieg nichts ändern, den Lehrkräfte, berufstätige Gestalter und ehemalige Grafikschüler nun austragen: Die Verfasser des Protestinserates sehen einen schwer wiegenden Qualitätsverlust der grafischen Ausbildung in der Schweiz. 41 Ausbildungsplätze gingen verloren, befürchten sie. Dagegen ortet der Rektor der Schule für Gestaltung, Rudolf Schilling, «eine Chance, die es zu packen gilt».
Schliesslich werde parallel zur Abschaffung, erklärt Schilling, eine Hochschule für Gestaltung und Kunst mit den Abteilungen für «Digitale Gestaltung» und «Neue Medien» gegründet. Damit könne die Hochschule den Anforderungen des Arbeitsmarktes eher Rechnung tragen als eine grafische Grundausbildung. Gestalter und Grafiker müssten in Zukunft fähig sein, Internet-Seiten, Datenbanken oder CD-Roms zu gestalten. Ein vom Biga anerkannter Lehrberuf, wie er heute ist, hätte an einer Hochschule keinen Platz, sagt der Rektor.
«Fadenscheinige Argumente!», disqualifiziert der Verfasser des Protestinserates, Grafiker Markus Bruggisser, Schillings Haltung. «Wer nicht weiss, welche Wirkung Farben, Kreise oder Dreiecke haben», sagt Bruggisser, «kann doch keine Internet-Seite gestalten.» Ohne Grundkenntnisse sei Bildschirmgrafik wenig sinnvoll. Ein Schule sollte auf Grundausbildung setzen. «Bei den stets knapper werdenden Mitteln kann sie mit der extrem schnellen technischen Entwicklung ohnehin nicht mithalten.»
Gegen die geplante Hochschule für Gestaltung und Kunst wehrt sich der heutige Leiter der Fachklasse Grafik, Ruedi Wyss. Ausser dem Namen ändere sich an der neuen Schule überhaupt nichts. Dazu stünden weder sinnvolle Konzepte noch ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung. «Meine Klasse wird einer reinen Kopfgeburt geopfert.» Die Grafikklasse werde abgeschafft, ohne dass eine brauchbare Neukonzeption erkennbar wäre.
Mit seinem Rekurs versucht Wyss nun seine Klasse und seinen Job zu retten.�