«Wenn ich spiele, bin ich trocken»

In Verliererrollen spielte sich Steve Buscemi zum Star der Independent-Szene. In seinem eigenen Film «Trees Lounge» zeigt er sich von einer neuen Seite.

Interview: Peter Hossli 

Mister Buscemi, wie fühlt man sich, wenn man im Kino stets Abschaum verkörpern muss?
Steve Buscemi: Verdammt! Ich verkörpere in keinem meiner Filme Abschaum.

Zumindest kultivierten Sie in Filmen wie «Fargo» oder «Reservoir Dogs» so genannte «White Trash»-Figuren, weisse Amerikaner, die klauen, morden und keiner geregelten Arbeit nachgehen. Warum sind solche Figuren in unabhängigen US-Filmen so populär?
Buscemi: Keine Ahnung. Überhaupt: Der Ausdruck «White Trash» ist problematisch, ja sogar rassistisch. Wollen Sie mich beleidigen?

Keineswegs. Marketingleute aber werben mit dieser Bezeichnung.
Buscemi: Dann müssen Sie sich mit denen unterhalten. Ich mag die Figuren, die ich verkörpere – auch die Verlierer.

In Ihrem Regiedebüt «Trees Lounge» grenzen Sie sich davon ab. Ihr Film ist weniger cool als andere unabhängige US-Filme. Sie siedeln ihn im Arbeitermilieu auf Long Island an.
Buscemi: Im Arbeitermilieu von Valley Stream auf Long Island. Nichts kenne ich besser. Valley Stream ist die Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Dort habe ich jede Bar schon mindestens einmal besucht.

Dann ist «Trees Lounge» autobiografisch?
Buscemi: Nein, es ist ein persönlicher Film, der davon erzählt, was mit mir geworden wäre, wenn ich nicht in die grosse Stadt gezogen wäre.

Ein arbeitsloser Säufer und Rumhänger.
Buscemi: Schon möglich. Als Teenager habe ich aus Langeweile die Bars aufgesucht. Es gab nichts anderes. Hätte ich das Theater nicht entdeckt, sässe ich noch immer auf einem Barhocker und würde vor mich hin träumen.

Welche Elemente von «Trees Lounge» sind denn autobiografisch?
Buscemi: Die meisten. Ich habe einen Sommer lang einen Glace-Wagen gefahren und in einer Autogarage gearbeitet. In der «Trees Lounge»-Bar bin ich stundenlang rumgehangen.

Hatten Sie auch ein Verhältnis mit einer Minderjährigen?
Buscemi: Nein, minderjährige Mädchen küsste ich nur, als ich selbst noch minderjährig war.

Und der Alkohol? Sind Sie ein Säufer?
Buscemi: Nicht so sehr. Wenn ich schreibe oder spiele, bin ich trocken. Das Trinken ist eher ein Symptom für den Zustand, in dem ich mich gerade befinde.

Sie haben ein eindringliches Gesicht. Hatten Sie jemals Probleme damit?
Buscemi: Ich habe Arbeit.

Jetzt auch hinter der Kamera. Viele Schauspielerinnen und Schauspieler fühlen sich berufen, Regie zu führen. Sie auch?
Buscemi: Lange bevor ich vor der Kamera stand, habe ich Theaterstücke inszeniert. Ich kenne das Handwerk. Als Schauspieler ist man nur für die eigene Rolle verantwortlich, als Regisseur hat man aber die gesamte kreative Kontrolle. Darum habe ich ein Drehbuch geschrieben und selbst Regie geführt. Und nicht, um mich in der Kinogeschichte zu verewigen.

Zudem konnten Sie die Hauptrolle mit Steve Buscemi besetzen.
Buscemi: Ich war nur dritte Wahl. Zuvor riefen wir noch Robert De Niro und Brad Pitt an. Beide hatten keine Zeit.

Sie haben das Projekt sechs Jahre mit sich rumgetragen. Warum die Verzögerungen?
Buscemi: Planung liegt mir nicht.

Als Schauspieler arbeiten sie für Hollywoodstudios und für unabhängige Produzenten. Worin liegt der Unterschied?
Buscemi: Wohl nur noch in der Kontrolle des Marketings. Bei einem aufwendigen Hollywoodfilm übernimmt eine ganze Abteilung die Werbung für einen Film. Einfluss hat man keinen mehr. Bei «Trees Lounge» haben wir fast die gesamte Vermarktung selbst besorgt. Ansonsten sind die Unterschiede klein geworden. So genannt unabhängige Firmen wie Miramax oder New Line gehören längst zu Disney oder Warner Brothers.

Bevorzugen Sie einen Bereich?
Buscemi: Als Schauspieler ist mir das egal. In Hollywood verdiene ich mehr. Damit kann ich meinen Unterhalt verdienen und mich dann auf meine eigenen Projekte konzentrieren. Das Pendeln zwischen Kommerzkino und der unabhängigen Welt gefällt mir.

Was ist unabhängiges Kino?
Buscemi: Woher das Geld kommt, spielt keine Rolle, es zählt nur die Kontrolle. So lange der Regisseur die kreative Kontrolle hält, ist Unabhängigkeit gegeben. Nur dann. Nehmen wir den Fall Miramax. Das Studio gehört jetzt Disney. Das bedeutet, dass mehr Geld fürs Marketing vorhanden ist. Weniger frei sind die Filmemacher aber nicht. Sie waren nämlich schon vorher unfrei. Die Firmengründer Bob und Harvey Weinstein sagen jedem Regisseur, was er zu tun hat – mit oder ohne Disney.

Miramax hat auch Quentin Tarantinos «Reservoir Dogs» und «Pulp Fiction» mitproduziert, Filme, in denen Sie ebenfalls mitgespielt haben. Wie wichtig ist Tarantino für das unabhängige Kino?
Buscemi: «Pulp Fiction» hat enorm viel Geld eingespielt. Seither versuchen alle, diese Formel zu kopieren. An jedem Festival wird der neue Quentin Tarantino gesucht.

Sie liessen sich ebenfalls von Tarantino beeinflussen. «Trees Lounge» ist voller Songs aus den siebziger Jahren.
Buscemi: Moment mal. Tarantino hat doch keinen Alleinanspruch auf die Musik der siebziger Jahre. Ich habe die-ses Drehbuch vor sieben Jahren geschrieben, damals arbeitete Tarantino noch in einem Videogeschäft. Niemand kannte ihn.

Und heute fragen sich alle, ob er denn nochmals einen Film macht.
Buscemi: An was er arbeitet, weiss ich nicht. Aber machen Sie sich um Tarantino keine Sorgen: Er wird bestimmt noch viele Filme drehen.

«Trees Lounge» spielt in Suburbia, einer gottverlassenen Vorstadt vor der richtigen Stadt. Wie hat Ihre Heimatstadt auf den Film reagiert?
Buscemi: Sie unterstützten mich von Beginn weg. Ich glaube aber nicht, dass jemand das Drehbuch gelesen hat. Als sie den Film sahen, waren alle sehr stolz, ihre eigene Stadt im Kino zu betrachten. Beschwert hat sich nur die ehemalige Besitzerin der «Trees Lounge». Sie sagte, ihre Bar sei ein respektierter Ort gewesen.

Haben Sie nach diesem autobiografisch gefärbten Film überhaupt noch etwas zu erzählen?
Buscemi: Bevor ich zum Theater ging, habe ich als Feuerwehrmann gearbeitet. Darüber möchte ich einen Film drehen.

Gibt es Parallelen zwischen der Schauspielerei und der Feuerbekämpfung?
Buscemi: Mehr, als Sie denken. Bei beiden Berufen ist man anfänglich sehr nervös, geht dann rein, arbeitet im Team und ist erleichtert, wenn alles vorbei ist.

Starker Erstling

Die Provinzler in Steve Buscemis Regiedebüt haben eine Menge Probleme.
Die ersten Bilder verwirren. Tommy, ein Automechaniker ohne Job, hängt an der Bar und diskutiert mit Freunden. Klar: Das ist Manhattan, und die Leute, die sich hier treffen, sind die üblichen Typen aus den üblichen coolen amerikanischen Filmen, die in den üblichen New Yorker Bars beginnen.

Weit gefehlt: Die Bar heisst «Trees Lounge», steht in einem Nest auf Long Island und wird fast ausschliesslich von Vorstädtern frequentiert, die ihre Vorstädterprobleme nicht lösen können. Sex, Geld, Arbeit, das Leben – nichts funktioniert.

Verkörpert wird Tommy von Steve Buscemi, 39, dem Mann mit den froschigen Augen und dem schrägen Gesicht, der vom unabhängigen Kino nicht wegzudenken ist. Regisseure wie Quentin Tarantino, Jim Jarmusch oder die Coen-Brüder haben ihn zum Star des kleinen Kinos gemacht. In seinem liebevollen, autobiografisch gefärbten Regieerstling gibt er den Antistar. Präzis schildert er das Arbeitermilieu in Valley Stream. Lakonisch mimt er Tommy, der einen Glace-Wagen fährt, eine 17-Jährige (Chloe Sevigny) zur Freundin nimmt und davon träumt, Schauspieler zu werden.