«Ich bin der Diktator»

Der in Hollywood arbeitende Finne Renny Harlin über seinen neuen Film «The Long Kiss Goodnight» und die US-Filmindustrie.

Von Peter Hossli

Herr Harlin, sind Sie ein Macho?
Renny Harlin: Warum? In meinem jüngsten Film agiert doch eine ausgesprochen clevere und physisch starke Frau, die mit geladenen Waffen und ihrem Verstand das Böse besiegt und die Welt rettet.

Einverstanden. Aber «The Long Kiss Goodnight» ist ein Actionfilm, der weit über 100 Millionen Dollar verschlang. Szenen mit Explosionen und Schiessereien jagen sich. Seit Ihrer Abwanderung nach Hollywood haben Sie nur noch solche Filme realisiert.
Harlin: Das ist Zufall. Als Kind galt ich als Einzelgänger. Ich las nur klassische Literatur. Als junger Filmemacher drehte ich Dokumentarfilme über die Polizei und die Armee. Das trug mir viel Ärger ein.

Finnland mochte Sie nicht?
Harlin: Als ich meinen ersten Spielfilm drehen wollte, bekam ich vom Staat kein Geld. Niemand wollte meine Drehbücher finanzieren. Da blieb mir nur ein Ausweg: Der Gang nach Hollywood.

Wie wird aus einem unbekannten Europäer ein Hollywood-Regisseur?
Harlin: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Der übliche Weg sind Auszeichnungen an Festivals. Damit macht man auf sich aufmerksam und wartet auf ein Telefon eines US-Produzenten. Mir dauerte das zu lange. Ich ging direkt nach Los Angeles und drehte mit meinem Geld einen billigen Actionfilm. In Hollywood war man beeindruckt, wie viel ich für wenig Geld auf die Leinwand brachte. Seither geben mir die Studios viel Geld, allerdings nur, um Actionfilme zu drehen. Das Genre ist mein Preis, um in Hollywood die Filme zu drehen, die ich wirklich drehen will.

Sie machen aber nur Actionfilme. Sind Sie ein Gefangener Ihres Erfolgs?
Harlin: Hollywood funktioniert nach einem einfachen Muster. Von erfolgreichen Leuten wird stets dasselbe verlangt. Aber ehrlich: Es macht mir schon Spass, eine 300-köpfige Crew zu dirigieren, Actionszenen mit zwölf Kameras zu filmen und dauernd von Explosionsspezialisten umgeben zu sein.

Es ist wie Krieg führen.
Harlin: Genau, ich fühle mich dann wie ein Feldherr. Die grossen Feldherren wollen verhindern, dass der Krieg endet.

Dann sind Sie kein Macho, sondern ein erwachsenes Kind, das gerne mit Waffen spielt.
Harlin: Waffen bedeuten mir gar nichts. Wenn ein Ausstatter zu mir kommt und mir eine Uzi zeigt, weiss ich oft nicht, was das ist. Dabei soll ich in meinem vorletzten Film etliche Uzis verwendet haben.

In Ihren Filmen sind Waffen Geräte, mit denen Hunderte von Leuten umgebracht werden. Schüren Sie damit nicht Gewalt auf der Strasse?
Harlin: Es gibt bestimmt Fälle, bei denen gewalttätige Menschen von Filmen inspiriert werden. Das sind Ausnahmen. Ansonsten haben sich Künstler schon immer mit Gewalt befasst. Seit den griechischen Tragödien. Shakespeares Werk ist äusserst gewalttätig. Gewalt ist ein Teil der menschlichen Natur. Künstler sollten sich ständig mit Gewalt befassen. Im Kino können die Zuschauer angestaute Gewalt entladen.

US-Politiker sind da anderer Meinung. Sie schreien nach Zensur.
Harlin: Das überrascht wenig. Amerika hat unzählige ungelöste Probleme. Die Familien fallen auseinander, die Jugendlichen finden nirgendwo Halt. Das Sozialsystem ist zerbrochen. Da sind die Politiker froh, wenn sie die Unterhaltungsindustrie zum Feindbild erklären können.

Und in Europa?
Harlin: Hier gibt es weit weniger Restriktionen, vor allem weniger Prüderie. Sexualität und nackte Haut dürfen im Kino gezeigt werden. In den USA aber ist alles verboten. Diese Unfreiheit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erzeugt die tägliche Gewalt, nicht die Filme. Die Vergewaltigungs- und Mordraten sind dort sehr hoch. Gleichzeitig ist die Sexualität das grösste Tabu.

In «The Long Kiss Goodnight» brechen Sie selbst ein Tabu. Sie inszenierten erotische Szenen zwischen Ihrer Ehefrau Geena Davis und dem schwarzen Schauspieler Samuel L. Jackson. Die beiden küssen sich sogar.
Harlin: Das war nur möglich, weil ich als Europäer keine Berührungsängste damit hatte. Ich kann Dinge tun, die kein US-Regisseur wagt. Viele hätten sich auch davor gefürchtet, eine mordende Frau zu inszenieren. Ich war aber überrascht, wie heftig die Leute im Süden der USA auf die gemischtrassige Liebesszene reagierten.

Das ist doch reichlich naiv. Schwarze bekommen in Hollywood noch immer nur Nebenrollen.
Harlin: Für kleine Filme bekommen Sie Hauptrollen. Ansonsten gibt es tatsächlich nur fünf Schwarze, die tragende Rollen bekommen.

Warum?
Harlin: Neben dem schwelenden Rassismus sind es die Gesetze des Marktes. Die Produzenten in Hollywood sagen sich: Es gibt zehn Prozent Schwarze in den USA. Das ist zu wenig, um die Kinos zu füllen.

Obwohl die Schwarzen dreimal mehr ins Kino gehen als die Weissen. In den USA war «The Long Kiss Goodnight» nur ein bescheidener Erfolg. Verkauft sich die Kombination weisse Frau/schwarzer Mann so schlecht?
Harlin: Leider. Es ist schlicht unmöglich, einen Actionfilm dieser Grössenordnung mit einer bewaffneten Frau und einem schwarzen Mann zu vermarkten. Die Leute wollen stets das übliche Paket: Bruce Willis, Stallone oder Schwarzenegger.

Fürchtet sich das weisse, männliche Amerika vor der Frau mit Pistole?
Harlin: O ja. Das Filmplakat mit Geena und Jackson hat viele abgeschreckt, vor allem ausserhalb der urbanen Zentren. In New York und Los Angeles waren wir erfolgreich. Im Mittleren Westen aber wollte das niemand sehen. Junge Männer in kleinen Städten gehen nicht in Filme mit Frauen und Schwarzen.

Etwas anderes mag die Leute zusätzlich abgeschreckt haben: Aus der braven Hausfrau wird ein Monster, eine Killerin. Hat jeder Mensch eine dunkle Seite?
Harlin: Bestimmt. Gewisse Umstände können diese dunklen Seiten dann hervorbringen. Die Hausfrau in meinem Film will sogar ihr eigenes Kind erschiessen.

Haben die Moralhüter nicht ausgesprochen heftig darauf reagiert?
Harlin: Das war mir egal. Das Publikum aber wird durch die Veränderung der Frau verwirrt. Es ist mein Ziel als Filmemacher, das Publikum stets in falsche Richtungen zu lenken. In «Cliffhanger» habe ich den Stallone-Mythos in der ersten Szene gebrochen: Der Weltenretter trägt die Schuld am Tod einer jungen Frau.

Der US-Regisseur William Friedkin sagte unlängst, die Mundpropaganda gäbe es nicht mehr. Erfolg hätten nur noch Filme mit perfekten Kampagnen.
Harlin: Dem stimme ich zu. Bis vor kurzem genügte es, einen anständigen Film zu haben, und die Leute kauften ein Kinobillett. Heute zählt nur noch das Marketing. Vor zwanzig Jahren begann das Leben eines Films in einem New Yorker Kino. War er erfolgreich, wurde er auch im Landesinneren gespielt. Heute gibt es viel mehr Filme und viel weniger Leute, die diese Filme im Kino sehen wollen. Gestartet wird in 2500 Kinos. Gehen am ersten Wochenende nur wenige Leute hin, wird der Film sofort abgesetzt.

Wann ist eine Kampagne gut?
Harlin: Wenn in jedem Restaurant des Landes Plastikfigürchen nach Motiven aus meinem Film rumstehen.

Ohne solche «Tie-ins» läuft demnach nichts mehr?
Harlin: Es müssen multinational operierende Firmen sein, die sich beteiligen, am ehesten McDonald’s oder Coca-Cola. Wenn Coke meine Filmhelden auf Getränkedosen druckt, wird es bestimmt ein Erfolg. Noch besser funktionieren die Papierservietten von McDonald’s, die zu jedem Big Mac abgegeben werden.

Verändert das die Filme nicht?
Harlin: US-Filme sehen aus wie Hamburger. Die Filmabteilungen von McDonald’s und Coca-Cola sind bei der Auswahl der Drehbücher beteiligt. Sie bestimmen, welche Szenen am Schluss rausgeschnitten werden. Sex und Gewalt fallen oftmals weg. Bei «The Long Kiss Goodnight» störten sie sich wohl an der Liebesgeschichte.

Verkaufen nicht die hoch bezahlten Stars die Filme?
Harlin: Die Hamburger sind wichtiger. Es gibt doch nur fünf Schauspieler, die einen grossen Film verkaufen können, die Auswahl ist bescheiden geworden. Inzwischen haben Wirbelstürme, Raumschiffe, Dinosaurier die Stars ersetzt.

Dann sind selbst gute Geschichte nicht mehr gefragt. Dennoch bezahlte Ihr Studio den Rekordpreis von vier Millionen Dollar für das Drehbuch von «The Long Kiss Goodnight». Sind solche Preise nicht überrissen?
Harlin: Ich glaube nach wie vor an diese Geschichte. Der Markt für Drehbücher ist aber nach dem «Goodnight»-Deal zusammengekracht. Heute wird weit weniger bezahlt. Zur Recht. Wenn man das US-Kino der letzten Jahre betrachtet, ist das Fazit ernüchternd: Es gab kaum gute Storys.

Wegen des Geldes?
Harlin: Wegen des Arbeitsklimas. Die guten Schreiber lassen sich nicht von 20-jährigen Produzenten erklären, was ein gutes Drehbuch ist. Sie arbeiten lieber fürs Theater oder verfassen Romane. Oft wird dann schlechten Autoren enorm viel bezahlt. Schaut man sich aber die Filme an, ist man erstaunt: Den meisten fehlen der Plot und die ausgereiften Charaktere.

Vor einem Jahr kam Ihr Film «Cutthroat Island» in die Kinos. Es war der grösste Flop der Filmgeschichte. Zudem ging der «Terminator»- und «Basic Instinct»-Produzent Mario Kassar dabei bankrott. Wie fühlt man sich danach?
Harlin: Ich wehre mich gegen den Vorwurf, Kassar sei wegen mir bankrott gegangen. Hätte ich sein Studio wirklich ruiniert, würde ich ein schlechtes Gewissen haben. Kassar war schon Pleite, als er mit «Basic Instinct» noch 500 Millionen Dollar einnahm. Kassar führte einen aufwendigen Lebensstil. Er kaufte sich Jachten und grosse Häuser und wusste, «Cutthroat Island» würde sein letzter Film werden.

Sie drehen schon wieder. Hat Ihr Image nicht unter dem Flop gelitten?
Harlin: Hollywood hat ein gutes Gedächtnis. Es verzeiht Flops von Leuten, die schon einmal Erfolg hatten. Jeder bedeutende Regisseur trat schon daneben, sogar Steven Spielberg mit «1941».

Der finnische Regisseur Aki Kaurismäki sagte gegenüber FACTS, in Finnland würden die Frauen regieren, weil die Männer stets betrunken sind.
Harlin: Da hat er bestimmt Recht. Aber das ist doch nicht nur in Finnland so.

Sind Sie in Ihrer Heimat beliebt?
Harlin: Die finnischen Filmer hassen mich, wahrscheinlich weil ich meine Filme nicht in Finnland mache und dort ausser Kaurismäki niemand etwas zu Stande bringt. Das Volk aber liebt mich. Das Selbstbewusstsein der Finnen ist enorm angeschlagen. Sie sind daher Stolz, dass einer von ihnen in Hollywood ein Star ist.

Sie haben mit den beiden einflussreichen Stars Stallone und Willis gedreht. Hatten Sie die Kontrolle?
Harlin: Ich gebe die Kontrolle nie ab, weder bei Willis noch bei Stallone oder bei sonst jemandem. Als Regisseur bin ich der Diktator.

Stallone liess sich das gefallen?
Harlin: Es blieb ihm nichts anders übrig. Seine letzten paar Filme waren Flops. Ich habe ihm gesagt: «Niemand erinnert sich an die Regisseure deiner Filme. Bei mir wird das anders sein. Die Leute werden sich an dich und an mich erinnern.»