Von Peter Hossli
Für einmal waren sie sich einig. Deutsche Sozialdemokraten und Christliche Unionisten wähnten gleichermassen grosse Gefahr. Im Chor schrien Politiker der SPD und der CDU nach Zensur. «Phenomenon», ein US-Filmmärchen mit John Travolta in der Hauptrolle, verbreite bedrohliches Gedankengut der weltweit operierenden «verfassungsfeindlichen, intoleranten und rassistischen» Scientology-Sekte.
Hinter dem Film, der diese Woche in der Schweiz anläuft, witterten die aufgeschreckten Gesetzeshüter einen Angriff auf das Bundesbewusstsein. Davor seien die Deutschen zu schützen, notfalls mit rechtlichen Schritten.
John Travolta, seit über zwanzig Jahren bekennender Scientologe und seit seinem Comeback mit «Pulp Fiction» (1994) einer der bestbezahlten Schauspieler Hollywoods, mimt in «Phenomenon» einen armen Tropf, einen liebenswürdigen Garagisten, der bei der Verteilung der Intelligenz etwas zu kurz kam.
An seinem 37. Geburtstag trifft ihn der Schlag. Vom Himmel herab leuchtet ein greller Blitz, der den Tor in einen Provinz-Einstein verwandelt. Binnen 20 Minuten kann der Automechaniker Portugiesisch sprechen und schreiben. Täglich liest er vier Bücher. Bald spielt er Schach wie ein Grossmeister. Geheime Passwörter der amerikanischen Armee knackt er in Windeseile. Selbst Erdbeben sagt er präzise voraus. Seine sprühende Kreativität raubt ihm den Schlaf.
Moral der Wunder-Geschichte: Jeder ist intelligent. Man braucht nur den richtigen Kick, der das schlummernde Potential vollumfänglich zur Geltung bringt.
Genau diese Ideologie, sagen die deutschen Zensoren nun, verbreite die Scientology-Sekte in ihrem Standardwerk «Dianetics: Die Moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit». Das Buch verspreche, brachliegende Geistesleistungen freizulegen.
Weltweit seien schon Millionen hilfloser Menschen dieser «totalitären und faschistoiden Organisation» zum Opfer gefallen, wie die SPD-Sekten-Expertin Renate Rennebach Scientology umschreibt. Filme wie «Phenomenon» senkten die Hemmschwelle gegenüber der gefährlichen Sekte.
«Das dürfen wir nicht hinnehmen», warnte der CDU-Medienexperte Hans-Otto Wilhelm. SPD-Frau Rennebach ging noch weiter. Sie verlangte vom deutschen Innenminister Manfred Kanther, die Scientologen als verfassungsfeindliche Organisation zu erklären. «Dann könnten wir «Phenomenon» auf den Index setzen und verbieten.»
Hollywood, gleichermassen Sitz der Filmindustrie und Hauptsitz der vom Sciencefiction-Autor L. Ron Hubbard 1954 gegründeten Church of Scientology, reagierte prompt. Während die «Phenomenon»-Produzenten um den Ruf ihres Filmes und die Einnahmen an deutschen Kinokassen bangten, wollten die Scientology-Mitglieder Parallelen zu einem düsteren Kapitel deutscher Geschichte erkennen.
Bei ihrem Gegenschlag setzte Scientology auf die Karte Holocaust. Sektensprecher erinnerten an die Verfolgung der Juden und Jüdinnen, an jene Zeit, wo in Deutschland Kunst einer religiösen Gruppe «entartet» und verboten wurde. Mit Rückendeckung der Hollywood-Prominenz – neben Travolta sind auch Tom Cruise, Nicole Kidman oder Priscilla Presley überzeugte Anhänger von Ron Hubbards Ideen – bezichtigte die Scientology Church Deutschland als «das einzige Land der Erde, wo wir nicht in Parteien aufgenommen werden, vom Öffentlichen Dienst ausgeschlossen sind und wo unseren Kindern der Platz im Kindergarten verweigert wird». In ganzseitigen Anzeigen in amerikanischen Zeitungen prangte die Sekte die angebliche Verfolgung von Andersdenkenden an.
Mit beachtlichem Erfolg. In den USA, wo die Verfassung die Religionsfreiheit als unverrückbares Grundrecht festschreibt, manövrierte sich Scientology geschickt in die Opferrolle. Sie sehen die Zensurrufe als Fortsetzung der deutschen Politik der dreissiger und vierziger Jahre.
Hellhörig geworden sind darob auch kleinere US-Glaubensgemeinschaften. Und die jüdische Intelligenzija, durch rechtsradikale Attacken auf Asylbewerber-Unterkünfte in Deutschland aufgerüttelt, wittert bereits Weimar.