Patrioten, Geldscheffler und 475 Quadratmeter Leinwand

Am 1. Juli eröffnet das Verkehrshaus Luzern nun doch noch sein Kino im futuristischen Imax-Format. Voran gingen Pannen, Pech und Pleiten.

Von Peter Hossli

Endlich. Freude herrscht, und die Innerschweiz ist «rüdig» stolz. Am Montag, 1. Juli, kommt der Weltraum nach Luzern, zumindest auf Zelluloid. Dann eröffnet Fredy Rey, umtriebiger Direktor des Verkehrshauses, am Vierwaldstättersee das erste eidgenössische Imax-Filmtheater. Auf der «grössten Leinwand der Schweiz», auf 475 Quadratmetern Tuch, wird «Blue Planet» die Menschen beglücken, ein 35-Minuten Film mit überdimensionalem Blick auf Planet Erde. Die «zarte Schönheit der leuchtenden Atmosphäre unseres Erdballs», verspricht das Verkehrshaus, ist dann in aller Pracht zu bewundern.

Voraus ging ein wirres Gezänke, ein Ränkespiel um Baubewilligungen, Einsprachen, altölverseuchte Erde, fehlende Finanzen. Und um den teuersten Schweizer Film, den, obwohl schon seit Jahren abgedreht, hierzulande noch niemand hat sehen können. Wird das Imax kein kommerzieller Erfolg, könnte dies das Aus des Verkehrshauses bedeuten.

Das freudige Ereignis war ursprünglich auf das Landijahr 1991 geplant. Ein Ruck sollte gleichermassen durch Volk und Verkehrshaus gehen. Das Museum mit lebensgrossen Eisenbahnen, Fliegern und Automobilen, Ziel von Schulreisen an Donnerstagen und Familienausflüglern an Sonntagen, litt seit Mitte der achtziger Jahre an Zuschauerschwund. Zu gross war das Freizeitangebot der anderen – Alpamare, Zolli, Half pipes – geworden, zu miefig das Image der Beförderungsmittelaussteller in Luzern. Fünfzehn Prozent Rückgang. Zuviel für ein Unternehmen, das zu 80 Prozent von Eintritten lebt.

Die Rettung, war man überzeugt, komme aus Nordamerika, wie so oft. Imax, monumentales Kino aus Kanada, hiess das Zauberwort. Bilder, die so nah sind, dass man darin versinkt, und Töne, die einen glauben lassen, dass die Wüste wirklich lebt, würden das drohende Finanzloch bestimmt stopfen.

Entwickelt in Australien, patentiert in Toronto, ist das Imax-Kino-Format ein einziger Superlativ: am grössten, am lautesten, am schönsten, am schärfsten. Weltweit gibt es rund 130 derartige Kinos. Fast alle rentieren ausgesprochen gut.

Dass der Schweiz ein derartiger Schaulusttempel ebenfalls zustände, war den Verkehrshausmanagern bereits 1986 klar.

Ein Geschenk der Industrie an das Volk sollte es werden. Es wurde gesessen, geplant, nach potenten Geldgebern gesucht, investiert. Die 14 Millionen für Roh- und Fertigbau sowie aufwendige Technik waren bald beisammen. Sponsoren und die Banken kamen dafür auf. 300 000 Menschen jährlich würden zusätzlich nach Luzern kommen. Mindestens. Die Aussichten schienen rosig.

Zumal bereits ein Schweizer Imax-Film, «Switzerland», in Planung war. Der Berner Jürg Tschannen produzierte, «Schweizermacher»-Kameramann Fritz E. Maeder filmte. ««Switzerland» ist ein Glücksfall», schwärmte Rey damals.

Allerdings kein billiger. Imax-Filme sind extrem teuer bei der Herstellung. Da zum vorgesehenen Zeitpunkt der Luzerner Kinoeinweihung – 1991 – die Schweiz aber werbewirksam in alle Welt strahlen würde, waren alsbald Sponsoren gefunden, um «Switzerland» zu drehen, einen «faszinierender Film über das Land der Berge, Kühe, Uhren, Schokolade…».

Das Budget von 5,5 Millionen Franken deckten namhafte staatliche und private Geldgeber: der Schweizerische Nationalfonds, der Chemiekonzern Hoffmann- La Roche, der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke VSE und die grösste Schweizer Bank, die SBG.

Der halbstündige Landifilm und das übergrosse Kino verhiessen Glücksgefühle. Einen Höhepunkt des abgemagerten Jubeljahres sollten sie bilden.

Lange lief alles glatt. Im November 1988 Imax-Baueingabe durch den Verein Verkehrshaus der Schweiz. Ein seriöses Projekt. Ein Jahr später, am 23. November 1989, Baubewilligung durch den Luzerner Regierungsstatthalter.

Elf Tage darauf stürzte das Imax ab.

Unter Federführung des Luzerner Anwaltes Urs Hess reichten zwei Nachbarn des Verkehrshauses Einsprache gegen den Bau des Imax-Kinos ein. Max Achermann, Kaufmann und strammer Eidgenosse, sowie seine Nachbarn, die Gebrüder Steger, fürchteten um ihre Aussicht auf den Vierwaldstättersee. Ihre Villen lagen im Luzerner Nobelviertel Bellerive Lützelmatt, in Sichtweite des Platzes, wo dereinst das Imax stehen sollte.

Die Interessen von Grossgrundbesitzer Achermann waren vornehmlich monetärer Natur. Auf seinem Grundstück sollte eine grosse Überbauung mit Sozialwohnungen entstehen. Mit dem Imax als Blickfang, befürchtete er, würde der Wert seines Landes stark vermindert.

Anwalt Hess verlor zwar vor Justitia. Gebaut werden konnte trotzdem nicht. Hess schleppte die Einsprache durch alle Instanzen. Achermann und die Steger-Brüder genossen ihr «Recht auf Aussicht» noch sieben Jahre.

Ein Innerschweizer Imax gab es vorerst nicht. Die Patrioten hatten den überdimensionalen Patriotismus verhindert.

Das Schicksal von «Switzerland», der montiert, vertont und abspielbereit auf seinen Einsatz wartete, schien besiegelt.

Doch selbst nach dem Baum-Moratorium in Luzern gaben die «Switzerland»-Macher nicht auf. Vielversprechend schien ihnen die Idee, im Zürcher Hauptbahnhof ein Imax-Provisorium zu erstellen: Kino im Grossformat, für ein paar Monate inmitten der Pendlermassen.

Kein Ort der Schweiz, war die Überlegung, wird häufiger frequentiert als der HB der Limmatstadt. Die Suche nach zahlungskräftigen Sponsoren ging zügig voran, selbst die SBB, normalerweise als schwieriger Partner bekannt, signalisierten Entgegenkommen. Als die Schweizerische Bankgesellschaft erkennen liess, sie würde das Projekt ebenfalls mittragen, glaubte Produzent Tschannen, sein Film erlebe im Jubeljahr 91 doch noch die Weltpremiere in der Schweiz.

Kurz vor Vertragsabschluss bekamen die Bundesbahnen aber «kalte Füsse», wie sich Tschannen erinnert. Die Geschäftsinhaber im erweiterten, unterirdischen Einkaufskomplex «Shop Ville», argumentierten die Bähnler damals, fürchten sich vor Kundenschwund. Das Projekt HB war nur noch eine Aktenlast.

Da in Helvetien niemand «Switzerland» zeigen wollte, versuchte sich Tschannen im angrenzenden Ausland. Im Frühling 1991 war die Schweiz Ehrengast an der Hannover Messe. Ideell unterstützt von der Schweizerischen Zentrale für Handelsförderung Osec, sollte «Switzerland» in angemessenem Rahmen den Messebesuchern präsentiert werden. Das Bottazelt, vom Tessiner Stararchitekten Mario Botta eigens für das CH-Jubiläum konzipiert, sollte neben Cüpli- und Sandwichbar auch noch einem Imax-Kino Platz bieten.

Bundesrat Flavio Cotti und sein deutscher Amtskollege Helmut Kohl würden bei einer feierlichen Uraufführung Alpenkämme, schweizerische Steinzeitmenschen und Industrieerzeugnisse im Imax-Format bewundern können.

Obwohl alle technischen und finanziellen Probleme gelöst schienen, scheiterte auch das hannoveranische Projekt. An der Eitelkeit eines Tessiners.

Botta wollte nicht. Das Zelt würde mit einer derartigen Installation «verunstaltet». Seine Forderung, die ungenutzte Hälfte müsse so verspiegelt werden, dass man das Gefühl habe, in einem leeren Raum zu stehen, konnte niemand erfüllen.

Kanzler Kohl kam nicht.

Im Mai des Jubeljahres dann hatten die Imax-Leute die Idee, bei der Autobahnausfahrt Lyss-Nord ein Provisorium einzurichten. 300 Plätze waren geplant – und ein ausgeklügeltes Verkehrskonzept. Da das Ersatzlichtspieltheater in unmittelbarer Nähe der N 1 entstehen sollte, schrieb damals der «Bund», würde der aus der «ganzen Schweiz erwartete Zuschauerstrom das Dorf Lyss kaum betreffen». Am Schluss kam niemand. Das Unterfangen scheiterte an den Finanzen. Kein Sponsor war bereit, in Lyss, im Mittelland zwischen den urbanen Zentren, ein Millionenprojekt zu finanzieren.

In Luzern wurde in der Zwischenzeit weiter prozessiert. Regierung. Verwaltungsgericht. Bundesgericht.

Im Mai 1994, nach viereinhalb Jahren juristischem Gerangel zwischen Achermann/Steger und dem Verkehrshaus, zog Hess die Klage beim Bundesgericht überraschend zurück. «Aus mir unerklärlichen Gründen», sagt Verkehrshausdirektor Rey. Der Anwalt habe wahrscheinlich gemerkt, dass er vor der höchsten richterlichen Instanz abblitzen werde. Hess selbst bleibt eine Antwort schuldig. Er spreche nicht mit FACTS, wenn ihm diese Zeit nicht bezahlt werde. Punkt. Schluss. Hörer hingeknallt.

Überraschend ist diese Reaktion nicht. CVP-Mitglied Hess gilt in Luzern als geldgieriger Exzentriker, «als graue Eminenz», die hinter den Kulissen die Fäden zieht. Sein Geschäftsgebaren als Anwalt ist in Juristenkreisen umstritten. Um die von ihm behandelten Fälle möglichst vor Bundesgericht zu bringen, mache er seinen Klienten oft falsche Hoffnungen. Ihn interessiere nur sein Honorar. Verloren hat er in Lausanne schon oft.

Achermann trat inzwischen das Baurecht seines Landes für 600 000 Franken pro Jahr an die Luzerner Bürgergemeinde ab. Während er gegen das mit Geldern aus der Stadtkasse subventionierte Verkehrshaus prozessierte, kassierte Achermann gleichzeitig städtische Steuergelder.

1. Februar 1995: In Luzern ist man froh, endlich mit dem Bauen beginnen zu können. Die Verzögerung um sechs Jahre hatte Mehrkosten von 2,5 Millionen Franken ergeben.

Die Verschleppung hatte Folgen. Der Baubeginn fiel mitten in die Rezession. Sponsoren waren nun schwierig zu finden. Zuviel Zeit verstrich seit dem ersten Projekt, zuwenig Zeit blieb, um zahlungskräftige Geldgeber zu finden. Schliesslich konnten lediglich 1,5 Millionen Franken von Privaten aufgetrieben werden. Der Rest musste mittels Krediten finanziert werden.

Gebaut, gebuddelt und gebaggert wurde trotz der unsicheren finanziellen Aussichten, und wie. Zu bewundern seien, schrieben die «Luzerner Neusten Nachrichten», am See etwa die «neusten Beton-Baumöglichkeiten».

Dann kamen die Altlasten. 1800 Kubikmeter mit Industrieöl verschmutzter Schlamm lagen dort, wo dereinst Filme über die Höchstleistungen der Industrie durch Projektoren laufen sollten. Ein Baggerführer stiess bei den Aushubarbeiten auf Dreck aus den vierziger und fünfziger Jahren. Dieser «grösste Altlastenfund auf städtischem Boden», bestehend aus Schlammassen aus Strassenschächten und Ölabscheidern, verzögerte den Bau um Wochen. Die zusätzlichen Kosten trug allerdings die Stadt. Anstandslos.

Restlos finanziert ist der extravagante Schaulusttempel dennoch nicht. Zwar werde das Budget von 16,6 Millionen «nur geringfügig überschritten», sagt Rey. Hinter vorgehaltener Hand meinen Luzerner Insider allerdings, die 16,6 Millionen Franken, die teuerste Attraktion der 35jährigen Verkehrshausgeschichte, seien eine Fehlinvestition.

Zieht das Kino wider Erwarten keine Massen von Bilderhungrigen nach Luzern, könnte das Imax-Kino das Aus für das Verkehrshaus bedeuten. Um die Kredite – 10,5 Millionen von einem Bankenkonsortium und 4,5 Millionen von SBB, PTT und Swissair – abzutragen und die Betriebskosten zu decken, müssten jedes Jahr 300 000 Besucher das Imax besuchen. Mindestens.

Stolz steht er trotzdem da, der schwarze Metallzylinder, in dessen Innerem die millionenteure Imax-Technik auf ihren Einsatz wartet. Dass diese bei ihrer Eröffnung dem aktuellen Stand hinterherhinkt – in New York seit 1994 und im französischen Poitier seit 1995 werden die Imax-Bilder bereits dreidimensional gezeigt -, kümmert hier niemand. Zu gross ist die Freude, endlich fertig zu sein.

Vollends Freude herrschen wird im April 1997. Dann kommt Claude Nicollier, Welscher, Schweizer und Weltraumfahrer in einem. Er wird «Destiny in Space» vorstellen, ein Imax-Film, bei dem Nicollier eigenhändig die Kamera führte.

Mitarbeit: Michael Solomicky