«Das Kino bringt mich um»

Der finnische Kultregisseur Aki Kaurismäki zelebriert seinen Weltschmerz - und bringt einen optimistischen Film.

Von Peter Hossli

Ihre Filme sind oft düster und enden in Katastrophen. Ihr neustes Werk “Drifting Clouds” hat ein Happy-End. Sind Sie optimistischer geworden?
Aki Kaurismäki: Keineswegs, höchstens meine Filme. Da alles hoffnungslos ist, sehe ich keinen Grund, mit meinem Filmen noch mehr Pessimismus zu verbreiten. Wir sind ohnehin am Ende. Lasst uns noch eine Weile optimistisch sein!

Dennoch bieten Sie in “Drifting Clouds” zu aktuellen europäischen Problemen wie der Arbeitslosigkeit zuweilen Lösungsvorschläge an.
Kaurismäki: Pessimistisch bin ich ja nicht mehr. Was diesen Planeten betrifft, habe ich jede Hoffnung aufgegeben.

Warum?
Kaurismäki: Wegen der Habgier und des Wahnsinns der Menschheit. Sechs Millionen Jahre gibt es uns schon. Gelernt haben wir seither nichts. Jetzt ist es zu spät, um mit dem Lernen anzufangen.

Warum drehen Sie denn noch Filme, wenn alles so hoffnungslos ist?
Kaurismäki: Während ich warte, muss ich ja irgend etwas machen.

Worauf warten Sie denn? Etwa auf die grosse Katastrophe?
Kaurismäki: Im Jahre 2021 ist es soweit, schätze ich. Traurig bin ich darüber nicht sonderlich. Wir haben unsere Chance ungenutzt gelassen. Die Erde wird ohne uns aber bestimmt glücklicher sein.

Wie wird es denn enden?
Kaurismäki: Ich bin weder Zarathustra noch Nostradamus.

Was hält Sie noch am Leben? Das Kino?
Kaurismäki: Nein, das Kino bringt mich um.

Warum drehen Sie unaufhörlich weiter?
Kaurismäki: Ich bin zu alt, um meine Gewohnheiten noch zu ändern.

Sie sagten einmal, Sie würden Filme drehen, um Geld für Bier zu verdienen.
Kaurismäki: Heute muss ich zusätzlich Futter für meinen Hund kaufen, Rosen für meine Frau und Benzin für meinen Cadillac.

Hat der Verlust Ihres langjährigen Hauptdarstellers Matti Pellonpää zu Ihrer Hoffnungslosigkeit beigetragen?
Kaurismäki: Nein, das ist bei mir schon lange so.

Und die Solidarität, die Sie in “Drifting Clouds” preisen, kann am Zustand der Welt auch nichts verändern?
Kaurismäki: Kaum. Die Macht liegt in den Händen anderer. Diese Leute haben das Wort Solidarität noch nie gehört.

Hilft nur noch die Revolution?
Kaurismäki: Das Fernsehen erstickt alle revolutionären Ideen bereits im Keim.

Sie glauben also an die Theorie, wonach die Banken, die Industrie und das Fernsehen daran sind, sich zu verschwören und die Welt zerstören?
Kaurismäki: Es ist die Eigendynamik des Kapitals. Regiert wird die Welt von niemandem. Wir alle sind nur Marionetten, selbst die Führungspersönlichkeiten. Nehmen wir Nestlé. Die kaufen alles, was sich bewegt. Wie ein Monstrum. Kann ich für diesen Satz verklagt werden? Wenn Nestlé eine Schokoladenmarke sieht, die sich gut verkauft, setzt sich der Roboter in Bewegung und schluckt sie. Dann druckt er “Nestlé” drauf. Das Chefbüro ist aber leer.

Die Medienindustrie ist doch auch ein Monstrum. Sie selbst bewegen sich mitten drin. Sehen Sie darin keinen Widerspruch?
Kaurismäki: Ich mache Filme. Das ist eine Form von Kunst. Mit Medien hat das nichts zu tun.

Ihre Filme werden vermarktet, die Leute kaufen Eintrittskarten. Da können Sie sich doch nicht raushalten.
Kaurismäki: Ich gebe mir wenigstens Mühe, die Medienmaschine so zu gebrauchen, dass am Ende Kunst herauskommt. Ob mir das gelingt, weiss ich nicht. Wenn ich einen Film drehe, kümmern mich die Medien aber nicht.

Aber Sie vermarkten Ihren Film ja auch in Cannes, versuchen ihn an ausländische Verleiher zu verkaufen, geben Journalisten Interviews.
Kaurismäki: Mein Gott, wie alt sind Sie eigentlich? Diese Diskussion führte ich bereits vor zwanzig Jahren.

Sprechen wir vom Kino. Wie in vielen anderen Ihrer Filme ist auch in “Drifting Clouds” eine Frau die unerschütterlichste Figur. Stehen die Frauen symbolisch für die letzte Hoffnung?
Kaurismäki: Das könnten sie, wenn die Männer nicht so machthungrig wären.

Mit Frauen an der Macht ginge es uns demnach besser?
Kaurismäki: Ohne Frauen hätten sich die Männer schon vor 3000 Jahren gegenseitig ausgerottet. Frauen verkörpern die aufbauende Kraft, Männer aber die Zerstörung.

In Finnland sollen ja die Frauen regieren, weil die Männer immer betrunken sind.
Kaurismäki: Das bilden sich die finnischen Frauen doch nur ein. Die Frauen Finnlands verbringen ihr Leben zwischen der Faust ihres Mannes und dem Herd. Zumindest glauben das die Männer.

Welches ist denn die Wahrheit?
Kaurismäki: Beides. Wenn der Mann betrunken ist, hat die Frau gar nichts zu bestellen; wenn er verkatert im Bett liegt, kann jede Frau aber machen, was sie will.

Sie sagten, andere Dinge als das Kino erhielten Sie am Leben. Welche?
Kaurismäki: Ich sammle Pilze im Wald, ziehe Kartoffeln, mag Dinge wie einen Zaun bauen, einen Baum pflanzen, Wein anbauen. Ich mag meine Frau, meinen Hund, meinen Cadillac.

Sie mögen amerikanische Autos. Wie stehen Sie zur amerikanischen Filmindustrie?
Kaurismäki: Ich liebe die Meisterwerke des alten Hollywood. Das neue Hollywood existiert für mich nicht. Hollywood starb 1962. Das Problem ist nur, dass Hollywood das nicht gemerkt hat. Nur deshalb kann es sich noch bewegen.

In den letzten paar Jahren wurde das amerikanische Kino doch von Leuten wie Quentin Tarantino oder den Brüdern Coen künstlerisch belebt. Können Sie damit nichts anfangen?
Kaurismäki: Ich habe noch nie einen Film von Tarantino gesehen. Sie sollen aber sehr gewalttätig sein. Einen Grund für Gewaltdarstellungen im Kino zu finden, erachte ich als sehr schwierig.

Ihre Filme sind auf einer emotionalen Ebene doch auch gewalt- tätig. Wie würden Sie Ihr Werk beschreiben?
Kaurismäki: Ich teile alle Filme in drei Kategorien ein. Kunst-Scheisse, Kino-Scheisse und Kommerz-Scheisse.

Und was machen Sie?
Kaurismäki: Kino, hoffe ich zumindest. Früher war es noch Kunst-Scheisse.

Sie sagten einmal, Sie würden nur schlechte Filme drehen. Sehen Sie Ihr Werk jetzt positiver?
Kaurismäki: Ich mache nun zweierlei Filme: schlechte und noch schlechtere.

Warum zeigten Sie denn einen schlechten Film im hochkarä- tigen Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes?
Kaurismäki: Das ist reine Geschäftssache. Ich bin Produzent und muss Gehälter bezahlen. Sonst hasse ich Wettbewerbe. Filme sind keine Rennpferde.

Die meisten Kritiker meinen aber, “Drifting Clouds” sei Ihr bis anhin bester Film.
Kaurismäki: Das sagen die Kritiker immer. Dann frage ich mich jeweils, wie schlecht denn meine ersten Filme waren. Zum Glück habe ich schon vor langer Zeit begriffen, dass ich kein Meister des Kinos bin. Deshalb versuche ich, möglichst viele Filme von mittlerer Qualität zu drehen. Vielleicht stellen sie zusammen etwas dar.

Mögen Sie überhaupt einen Bereich des Filmemachens?
Kaurismäki: Ja, die Abschlusspartys. Und dann noch den Musikschnitt. Mit der Musik lässt sich alles verändern. Aus einem tragischen Drama kann plötzlich eine Posse entstehen.

“Drifting Clouds” ist ein asketischer Film geworden. Sie verzichten weitgehend auf Kamerabewegungen, die Schauplätze sind spartanisch gewählt.
Kaurismäki: Ich möchte noch asketischer werden. Mein Ziel ist es, Filme im Stil japanischer Haikus zu drehen. Alles Unnötige soll dann wegfallen. Vielleicht erreiche ich so mein grosses Ziel: einen Film ohne Ton und ohne Bild zu drehen.

Regisseur und Trinkeridol

Mit trockenen Filmen über das Saufen errang Aki Kaurismäki, 39, Weltruhm. In den einschlägigen Szenen in New York, Berlin und Tokio ist der Finne umjubelter Regisseur und Trinkeridol zugleich. Mitte der achtziger Jahre begründete er mit Filmen wie «Leningrad Cowboys Go America», «Hamlet Goes Business» oder «Ariel» die Nouvelle Vague des nordeuropäischen Kinos. Auf die Bühne der Berlinale trat er jeweils mit der Wodkaflasche in der Hand. Die Alkoholmenge, die er angeblich trank, wurde in der Öffentlichkeit bald wichtiger als die Filme, die er drehte.

Im vergangenen Mai lief nun erstmals ein Film des Finnen im renommierten Wettbewerb des Festivals von Cannes. «Drifting Clouds» ging zwar leer aus. Das leise Kammerspiel gilt aber als bester, seines Happy-Ends und seines aktuellen Themas wegen zugänglichster Film Kaurismäkis: Ilona verliert ihren Job als Oberkellnerin, weil das Restaurant «Dubrovnick» schliessen muss. Ilonas Mann Lauri wird entlassen, weil die Strassenbahn Stellen streicht. Das Ehepaar stösst den eben auf Pump gekaufte Fernsehapparat ab. Das Auto wird verkauft. Die Beziehung geht fast in Brüche – bis Ilona sich entscheidet, selbst eine Beiz zu eröffnen. Neben der trocken erzählten Story besticht der asketisch gestaltete Film vornehmlich durch seine raffinierte Farbdramaturgie.