«Nur der Dollar an der Kinokasse zählt»

Der Schauspieler Morgan Freeman über Serien- mörder, seinen neuen Film «Seven» und Gagen.

Interview: Peter Hossli

Morgan Freeman, kennen Sie die sieben Todsünden?
Morgan Freeman: Ich will es versuchen: Trägheit des Herzens, Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn und …

… Völlerei. Welche haben Sie selbst begangen?
Freeman: Natürlich alle.

Wären Sie in Ihrem neusten Film «Seven» kein smarter Cop, der raffinierte Serienkiller hätte Sie längst umgebracht. Dieser tötet seine Opfer nämlich nur, wenn sie sich versündigen. «Seven» ist in den USA ein Kassenschlager und wird als Oscar-Kandidat gehandelt. Woher rührt die amerikanische Faszination für Serienmörder?
Freeman: Die Faszination beschränkt sich nicht auf die USA allein. Weltweit gehen die Leute in Scharen ins Kino, wenn im Film ein Serienmörder sein Unwesen treibt. In Europa wie in den USA sind die Zeitungen voll mit Berichten über irgendwelche irren Killer, die massenhaft Menschen umbringen.

Haben Sie eine Erklärung dafür?
Freeman: Wir leben in einer sexuell unterdrückten Gesellschaft. Sexualität ist bei uns etwas Schlechtes. Betrachtet man die Biografien vieler Serienkiller, so haben sie meist eines gemeinsam: Sie konnten ihre sexuellen Wünsche nicht ausleben, ihre Phantasien wurden vor der Tat von der Gesellschaft, der Familie oder von ihnen selbst unterdrückt.

Das Ventil ist dann der Massenmord?
Freeman: Genau. Und alle anderen, die ebenfalls in dieser sexuell unterdrückten Gesellschaft leben, sind fasziniert von Figuren, realen und fiktionalen, die den Ausbruch aus der Repression in dieser Radikalität wagen.

In «Seven» mordet jedoch kein psychologisches Wrack, sondern ein ultrakonservativer Religionsfanatiker. Sein Motiv ist der Kampf für sein obskures moralisches Gebäude. Werden hier die neuen Rechten kritisiert?
Freeman: Der Film kann ein Kommentar auf die Renaissance der Ultrakonservativen Amerikas sein. Er will dies aber nicht ausdrücklich. «Seven» bietet keine oberflächliche Gesellschaftsanalyse. Die Gesellschaft kommt explizit gar nicht vor. Wir nennen weder das Jahr noch den Ort der Handlung. Es gibt überhaupt keine Bezugspunkte.

«Seven» ist ein dunkler Film. Es regnet fast immer. Die Geschichte erinnert an die grossen Klassiker des «film noir». Warum erlebt dieses Genre gerade jetzt ein Revival?
Freeman: Wir leben im Recycling-Zeitalter. Neues gibt es in der Kunst kaum mehr. Statt dessen wird jedes Filmgenre in regelmässigen Abständen erneut ausgegraben. Vor ein paar Jahren war es der erotische Thriller, dann der Western, jetzt der «film noir». Actionfilme kommen und gehen. Vielleicht ist bald die Screwball-Komödie en vogue.

«Seven» wird von den meisten Kritikern gelobt. Die Leute strömen nur so in die Kinos. Für Ihre schauspielerische Leistung werden Sie höchstwahrscheinlich die vierte Oscar-Nomination erhalten. Überhaupt findet sich in Ihrer Filmografie kaum ein mittelmässiger Film. Warum?
Freeman: Glück, reines Glück!

Kein Glück hatten Sie bisher mit Hauptrollen. Andere Schauspieler wie beispielsweise Brad Pitt, Dustin Hoffman oder Clint Eastwood werden Ihnen vorgezogen. Sie bleiben auf Nebenrollen abonniert.
Freeman: Sehen Sie, in kleinen, preiswerten Filmen hatte ich ein paar Hauptrollen. Bei aufwendigen Hollywoodproduktionen zählen jedoch nur die Einspielergebnisse. In den Augen der meisten Produzenten können schwarze Hauptdarsteller noch immer keine Kassen füllen. Sie denken: Die Schwarzen repräsentieren ja bloss zehn Prozent der Bevölkerung Amerikas.

Dann werden Schauspieler ausschliesslich wegen ihrem Geld-Appeal angestellt?
Freeman: Natürlich nicht nur, aber vor allem.

Und Sie sind als Afroamerikaner der Hautfarbe wegen automatisch benachteiligt?
Freeman: Die Dollargrenze verläuft nicht mehr so sehr entlang der Rassen-, sondern entlang der Geschlechterunterschiede. Wenn jemand von den ständig steigenden Salären profitiert, sind es die Männer …

… weisse Stars wie Jim Carrey, Harrison Ford, Arnold Schwarzenegger oder Sylvester Stallone …
Freeman: … richtig, deren Saläre erreichen Höhen von zwanzig Millionen Dollar pro Film. Grossartige Schauspielerinnen kassieren, wenn es hoch kommt, jedoch nur fünf Millionen. Hollywoodproduzenten kümmern sich nicht um die Rasse, sondern nur um das Geld. In ihren Augen garantieren Männer höhere Umsätze als Frauen.

Viele ältere Schauspieler versuchen sich als Regisseure. Sie selbst haben 1993 das südafrikanische Apartheid-Drama «Bohpa!» inszeniert. Gesehen haben den Film nur wenige.
Freeman: Es war ein totaler Misserfolg, zumindest an der Kinokasse.

Wissen Sie warum das so war? Über Südafrika sprachen damals doch wirklich alle.
Freeman: Der Film wurde vom US-Studio Paramount produziert. Während der Postproduktion gerieten wir in einen kräfteverschleissenden Streit über das Ende. Die Produzenten wollten nicht, dass die positive Hauptfigur stirbt. Da ich zu keinem Kompromiss bereit war, entzog Paramount dem Film fast alle Unterstützung. Das Werbebudget wurde radikal gekürzt.

Werden Sie trotzdem wieder Regie führen?
Freeman: Das weiss ich noch nicht. Wahrscheinlich bin ich eher ein Schauspieler als ein Filmemacher.

Hat Sie ein Regisseur besonders beeinflusst?
Freeman: O ja: Clint Eastwood. Clint ist derzeit der beste amerikanische Regisseur.

Wie wichtig ist der finanzielle Erfolg für Sie?
Freeman: Für meine Karriere ist er alles. Für Filmschauspieler gibt es nur einen Gradmesser des Erfolgs: Den Dollar an der Kinokasse. Kritikerlob zählt nur wenig, denn das erhalten die Regisseure. Mit unseren Namen werden aber die Filme verkauft. Spielt ein Film viel ein, erhalten die Schauspieler besser bezahlte Rollen.

Die Qualität zählt nichts?
Freeman: Wenig. Nehmen Sie Leinwandprügler wie Arnold Schwarzenegger oder Sylvester Stallone. Ihre Fähigkeiten sind limitiert. Sie verkörpern immer dieselben Figuren. Den Leuten gefällt das. Stallones Salär steigt mit jedem Film, obwohl er künstlerisch völlig stagniert.

Sie gelten neben Gene Hackman als derzeit bester amerikanischer Schauspieler.
Freeman: Danke fürs Kompliment …

… vertrauen Sie einer besonderen Schauspielmethode?
Freeman: Gibt es das überhaupt?

Sie arbeiten viel mit Ihren Augen, mit Ihrem Gesicht.
Freeman: Die Leute sagen das. Meine Methode ist simpler. I just do it. Dabei achte ich nur auf eines: So wenig wie möglich zu schauspielern. Die Kamera ist das wohl intensivste künstlerische Instrument. Sie sieht alles. Als Schauspieler musst du ständig darauf achten, nicht zuviel von dir zu geben. Ein Dialog ist ein Dialog, nicht mehr und nicht weniger.

Der Oscar lässt auf sich warten
Die US-Kritikerin Pauline Kael stellte 1987 im «New Yorker» die rhetorische Frage, ob das amerikanische Kino keinen besseren Schauspieler kenne als Morgan Freeman. Später wollte Clint Eastwood in seinem meisterhaften Western «Unforgiven» (1992) die beiden seiner Meinung nach besten Leinwandmimen in prominenten Nebenrollen zusammen- bringen. Er engagierte Freeman und Gene Hackman. Nach drei Oscar-Nominationen für «Street Smart», «Driving Miss Daisy» und «The Shawshank Redemption» zählt der in Memphis, Tennessee geborene Freeman, 58, heute zu den profiliertesten amerikanischen Schauspielern. Im brillant inszenierten Thriller «Seven» jagt er an der Seite von Brad Pitt einen Serienmörder, der seine Opfer nur umbringt, wenn sie eine der sieben Todsünden begehen. Für den Part als alternder Cop soll Freeman endlich den längst verdienten Oscar erhalten.