Zhang Yimou, 45, ist der berühmteste Regisseur Chinas. Kommen seine Filme in die Kinos, sehen sie bis gegen eine halbe Milliarde Menschen. In Europa und den USA verfügt er seit «Das Rote Kornfeld» (1988) über eine ständig wachsende Fangemeinde. Nach Filmen wie «Judou», «Raise the Red Lantern» oder «Die Geschichte der Qiuju» zählt er wegen seiner handwerklichen Präzision, seiner visuellen Vorstellungskraft und seinen politischen Themen zu den bedeutendsten Filmemachern der Welt.
Zu einem handfesten Skandal führte sein vorletzter Film, «Leben!». Zhang schildert darin das Leben einer chinesischen Familie nach der Revolution von 1949. Obwohl Peking die Aufführung des Filmes verbot, wurde dieser 1994 in Cannes gezeigt und weltweit verkauft. Zhang selbst bekam ein Reiseverbot. In seinem neusten, von einem französischen Koproduzenten mitfinanzierten Werk, «Shanghai Triad», stellt er Schanghais Mafia während der dreissiger Jahre in den Mittelpunkt.
Zhang Yimou, wie viele Chinesinnen und Chinesen sehen Ihre Filme?
Zhang Yimou: Es gibt bei uns noch keine Statistik. Wir gehen davon aus, dass erfolgreiche Filme von 200 bis 500 Millionen Menschen gesehen werden.
Sie sind einer der erfolgreichsten Regisseure Chinas. Mit Ihrem vorletzten Film, «Leben!», hatten Sie jedoch grosse Probleme mit der Zensur. Wurde er in Ihrer Heimat nun endlich gezeigt?
Zhang: Bis anhin haben ihn nur ein paar Intellektuelle im Rahmen von Privatvorführungen gesehen. Für die Öffentlichkeit wurde der Film von der Zensur noch immer nicht freigegeben.
Obwohl das Drehbuch die Zensur passierte und der Roman, auf dem es basiert, jedem zugänglich ist?
Zhang: Wahrscheinlich würde das Drehbuch heute nicht mehr durch die Zensur kommen. Ich hatte damals Glück. Romane erscheinen den Behörden als weniger gefährlich und erreichen anscheinend ein kleineres Publikum als Filme. Bewegte Bilder, denkt man, sind gefährlicher.
Hat sich die Situation für die Filmemacher mit der allgemeinen Öffnung Chinas nicht verbessert?
Zhang: Im Gegenteil. Filme, die durch die Zensur kommen, sind Glücksfälle. Es ist nach wie vor schwierig, meine in Europa und Amerika längst gezeigten Werke auch in China aufzuführen. Trotz der Liberalisierung der Wirtschaft wird das Kino noch immer unter ideologischen Kriterien betrachtet. Geschriebene Drehbücher wie fertige Filme müssen den Zensurbehörden vorgelegt werden. Auf meinem Regal liegen etliche Endfassungen von Drehbüchern, die nicht freigegeben wurden.
Mit Ihrer neusten Produktion «Shanghai Triad» haben Sie weniger Probleme. Sie konnten den Film über die Mafia im Schanghai der dreissiger Jahre sogar am diesjährigen Filmfestival von Cannes persönlich vorstellen. Haben Sie sich mit der Zensur versöhnt?
Zhang: So kann man das nicht sagen. «Shanghai Triad» war einer dieser Glücksfälle.
Angeblich hatten Sie aber grosse Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten.
Zhang: Obwohl die Finanzierung gesichert war, konnten wir während eines halben Jahres mit dem Drehen nicht beginnen.
Warum?
Zhang: Nach den heftigen Diskussionen um «Leben!» mussten wir das Drehbuch noch einmal der Regierung unterbreiten. Es dauerte Monate, bis wir eine Drehbewilligung erhielten. Offenbar fürchteten sich die Zensurbehörden vor einem zweiten Skandal. Um sicherzugehen, kontrollierten die lokalen Behörden in Schanghai zudem fast täglich die bereits abgedrehten Aufnahmen.
In «Shanghai Triad» erzählen Sie eine Gangstergeschichte aus der Perspektive des 14jährigen Shuisheng. Inwiefern soll diese Sichtweise das heutige China reflektieren?
Zhang: Shuisheng ist ein Junge, der noch in der Pubertät steckt. Anhand seiner Erfahrungen wollte ich die grundlegenden Veränderungen aufzeigen, die China derzeit prägen. Das kommunistische Land der Mitte hat sich komplett dem Materiellen verschrieben. Wir sind besessen von Coca-Cola und Sony Walkmen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, China hat seine Unschuld verloren – genau wie Kinder mit dem Erwachsenwerden ihre Unschuld verlieren.
Kümmert sich niemand mehr um die sozialen Errungenschaften?
Zhang: Vielen Leuten in China ist das bereits egal. Sie wollen nur Geld. Menschliche Beziehungen haben oft bloss noch eine materielle Basis.
Die Kriminalitätsrate schnellte in China innert Kürze in die Höhe. Haben Sie deshalb einen derart gewalttätigen Gangsterfilm gedreht?
Zhang: Es ist ein indirekter Kommentar auf die sich ausbreitende Gewalt. Nach der marktwirtschaftlichen Reform der ökonomischen Strukturen des Landes haben sich die Menschen verändert. Gleichzeitig entstand ein fruchtbarer Nährboden für Gewalt und Geldgier.
Der Mafiaboss in Ihrem Film sieht aus wie Tschiang Kai-schek.
Zhang: Das haben Sie gut beobachtet. Er verkörpert den Kaiser der Mafia.
Tschiang brach 1927 mit den Kommunisten. Ihre Filme sind voller verschlüsselter Anspielungen auf die Geschichte Chinas.
Zhang: Es ist schwierig, in China ein politisches oder historisches Thema direkt anzusprechen. Politische Filme dreht in China, wer es versteht, mit Metaphern zu arbeiten.
Sie sind ein gern gesehener Gast auf internationalen Filmfestivals. Pflegen Sie Kontakte zu Regiekollegen in Europa oder den USA?
Zhang: Kaum. Ich bin nur sehr selten im Ausland, höchstens auf Festivals. Meine Sprachkenntnisse beschränken sich auf meine chinesische Muttersprache.
Lassen Sie sich vom Kino der USA oder Europas beeinflussen?
Zhang: Wir sehen in China nur wenige ausländische Filme, die meisten auf Video, jedoch ohne Untertitel. Da ich kein Englisch verstehe, kann ich mich nur auf die Bilder konzentrieren, an Namen von Regisseuren erinnere ich mich nicht.
Erst kürzlich öffnete sich China für Grossproduktionen aus Hollywood. Gerät die bis anhin eigenständige Filmindustrie dadurch in Gefahr?
Zhang: Kurzfristig werden unsere Kinos von amerikanischen Filmen überrollt. Das Publikum ist neugierig auf Bilder aus dem Westen. Längerfristig denke ich jedoch, dass die einheimischen Filme aus kulturellen und sprachlichen Gründen die Kinosäle zurückerobern. Chinesische Filme sind äusserst populär. Wir Filmemacher spüren aber eine gewisse Angst vor Hollywood.
Ihre Filme konnten Sie oft nur im Westen zeigen, weil die Produktionsfirma ihren Sitz in Hongkong hat. 1997, nach der Wiedereingliederung der Kronkolonie in die Volksrepublik, ist dieses Doppelspiel nicht mehr möglich.
Zhang: Noch ist es schwierig, Prognosen aufzustellen. Keiner kann sagen, was dann passiert. Wir spüren aber, dass dieses Datum näherrückt.
1997 könnte das Ende Ihrer Privilegien bedeuten. Drehen Sie dann in Europa?
Zhang: Kaum. Hier kenne ich nur Journalisten. Wenn man irgendwo Filme drehen möchte, muss man die Kultur und die Leute eines Landes verstehen.
Bei «Shanghai Triad» haben Sie aber mit einem französischen Koproduzenten zusammengearbeitet. Wie gross war dessen Einfluss?
Zhang: Die Franzosen haben mir vertraut und gesagt: «Drehe, was immer du willst.»
Kritische Stimmen haben aber festgehalten, dass «Shanghai Triad» an westliche Phantasien eines exotischen China erinnere.
Zhang: Schanghai war während der dreissiger Jahre tatsächlich sehr west-lich. Es stimmt aber, dass uns die Franzosen bezüglich der Wahl der Kostüme und den ethnografischen Details Vorschläge unterbreitet haben. Die Postproduktion von «Shanghai Triad», also der Schnitt und die Tonmischung, fand in Paris statt.
Konnten Sie wenigstens die Endfassung kontrollieren?
Zhang: Ja.
Hollywood erobert China
US-Filme dürfen in Zukunft im weltgrössten Markt gezeigt werden.
Sogar Steven Spielberg ist auf solche Zuschauerzahlen eifersüchtig. Erfolgreiche Filme werden in China von 200 bis 500 Millionen Menschen gesehen. Das Land der Mitte verfügt über die einzige Filmindustrie, die Hollywood die Stirn bieten könnte – kommerziell wie künstlerisch.
Im Gegensatz zum indischen Kino, dessen Ausbreitung sich auf den Subkontinent beschränkt, feierten chinesische Filme in den vergangenen Jahren auch auf internationalen Festivals grosse Erfolge. 1992/93 haben sie hintereinander auf den Festivals in Venedig, Berlin, Cannes und Tokio jeweils den Hauptpreis gewonnen. Profitiert hat das Filmschaffen Chinas jahrelang vom Protektionismus. Gezeigt wurden fast ausschliesslich einheimische Produktionen.
Zur grossen Freude Hollywoods soll das nun anders werden. Ende Oktober einigten sich Vertreter der chinesischen und der amerikanischen Filmindustrie auf ein Abkommen, das US-Filmen den Zugang auf den weltweit grössten Markt erleichtert. Vorläufig sollen jedes Jahr mindestens zehn Hollywood-Filme in Chinas Kinos gezeigt werden. Bald werden James Bond, Arnold Schwarzenegger oder Jodie Foster auf vierfarbigen Plakaten in Peking für ihre neusten Produktionen werben. Verleihverträge für «James Bond: Goldeneye» oder «Apollo 13» sind bereits abgeschlossen. Die Erträge bleiben wegen der tiefen Billettpreise vorerst bescheiden.