Jetzt wird schräg geschossen

John Wayne durfte noch geradeaus, aber die modernen Filmhelden müssen schräg schiessen.

Von Peter Hossli

Um einen guten Film zu drehen, orakelte Jean-Luc Godard einst, brauche es bloss eine schöne Frau und eine Pistole. «Der Rest kommt dann von selbst.»

Wie die Waffe dem Schützen in die Hand zu legen sei, darüber äusserte sich der welsche Nouvelle-Vague-Begründer nie. Dabei lässt sich gerade in jüngster Zeit eine frappante Neuerung in der Handhabung von Pistolen und Revolvern im Kino feststellen: Gezielt und geschossen wird nicht mehr geradewegs, sondern seitwärts.

Moderne Kinohelden wie der sanfte Blonde Brad Pitt im Thriller «Seven» oder die Grobschlächter Sylvester Stallone und Antonio Banderas im Actionfilm «Assassins» schiessen zwar noch immer scharf. Ihre Handgelenke drehen sie aber seitlich ab. Heutzutage halten die Pistoleros die Waffen beim Schiessen wie beim Zielen öfter horizontal. Wer vertikal schiesst, sieht auf der Leinwand altmodisch aus. Die Seitenausleger wirken hingegen abgeklärter und weitaus bedrohlicher als die altehrwürdigen Scharfschützen.

Fast pausenlos geschossen wird in «Desperado», Robert Rodriguez’ Fortsetzung zu seinem legendären Billigstfilmchen «El Mariachi», die dieser Tage in die Kinos kommt. Antonio Banderas, derzeit Galionsfigur der Seitenschützen, tötet in Rodriguez’ brillant geschnittenem, jedoch nichtssagendem Schützenfest an der mexikanisch-texanischen Grenze um die hundert ihm aufdringlich werdenden Kanaillen.

Die glänzenden Colts, ratternden Maschinenpistolen und abgesägten Schrotflinten, die er aus seinem Gitarrenkoffer zieht, hält der Gitarrero auf Vergeltungstrip dabei stets horizontal abgedreht. Gerade halten muss in «Desperado» die Pistole nur Banderas Kumpanin Salma Hayek. – Beim Waffenrichten sind die Filmfrauen noch weit von der Gleichberechtigung entfernt.

Pistolen gibt es im Kino seit 1903. Damals liess Edwin S. Porter am Schluss seines Westerns «Great Train Robbery» einen Cowboy direkt in die Kamera zielen und abdrücken. Das Publikum eilte erschrocken aus den Lichtspieltheatern. Seither haben die Regisseure geholsterte wie gezückte Pistolen dazu verwendet, zwielichtigen wie integren Gestalten Profil zu verleihen. Sei es als Mutter- oder Penisersatz, als Rettungsanker für gefallene Helden oder als Statussymbol britischer Geheimagenten – die Waffe in der Hand des Mannes bleibt das wichtigste Requisit des Kinos. Bei deren Führung gab es allerdings kaum Variationen.

John Wayne war der genügsamste von allen. Der Western-Haudegen schoss stets direkt aus der Hüfte. Den Trommelrevolver hielt er geradlinig in der rechten Hand, die Winchester guckte beim Ritt auf dem galoppierenden Ross stets waagerecht Richtung Abendsonne.

Clint Eastwood alias Dirty Harry Calahan war genauso ein Traditionalist. Sein 38er Smith & Wesson traf nur dann ins Ziel, wenn Calahan ihn schnurgerade in den Wind streckte. Im modernen Kino hätten Dirty Harry und John Wayne nichts mehr zu bestellen. Die Ballistiker in Hollywoods Beraterstäben empfehlen neuerdings das seitliche Abdrehen der Pistole. Es entspreche den Gepflogenheiten auf den Strassen Detroits, der Bronx oder South Central Los Angeles’. Obwohl, wie Darren Leung, Lehrer an der «West Side Rifle and Pistole»-Schule in New York, festhält, «die Schieflage das Kontrollieren der Waffe etwas erschwert».

Vorwiegend schräg geschossen wird im Kino seit 1993. Damals liessen Allen und Albert Hughes in ihrem Film «Menace II Society» einen koreanischen Ladenbesitzer von einem schwarzen Drogendealer erschiessen. Der Mörder streckte ihn, die Pistole seitwärts gerichtet, hinter dessen Theke nieder. Später zeigte er den Mord stolz seinen Freunden. Eine Videokamera nahm den Schrägschuss auf. Das Brüderpaar Hughes will die neue Technik 1987 bei einem Raubüberfall in Detroit erstmals beobachtet haben. «Es wirkte», sagt Albert Hughes, «dreckig und ungemein realistisch.»