Von Peter Hossli
Am 2. Mai 1967 passierte in Kaliforniens Hauptstadt Sacramento das Unfassbare.
Eben noch hatte Kaliforniens Gouverneur Ronald Reagan auf dem Rasen vor dem Regierungsgebäude begeisterten Wählern die Hände gedrückt, Kinder auf seine Arme genommen und Fragen von besorgten Bürgerinnen beantwortet.
Da marschierte vor Reagans Augen eine in Schwarz gekleidete Armee zum Capitol. Unter der Führung von Huey Newton, Eldridge Cleaver und Bobby Seale drangen gegen zwanzig bewaffnete Black Panthers, radikale schwarze Bürgerrechtsaktivisten, in den Parlamentssaal vor. Sie forderten vor den aufgebrachten Abgeordneten und laufenden Fernsehkameras gleiche Rechte für die Schwarzen Amerikas.
Weltweit rückten die Zeitungen diesen Coup de théâtre auf ihre Frontseiten. Die «Black Panthers Party of Self-Defense» (BPP) tat sich mit diesem Akt als Staatsfeind ersten Ranges hervor. Sie galt ab sofort als kommunistisch und zählte zum staatsgefährdenden Kreis der Vietnamkriegsgegner.
Knapp dreissig Jahre später, Ronald Reagan war inzwischen Präsident der Vereinigten Staaten, wird das alles anders eingeschätzt. Der Spielfilm «Panther», der die Entstehungsgeschichte der BPP zum Thema hat, löste in den USA eine grosse Debatte über jene Zeit aus.
Die historische Wahrheit wird plötzlich jenen eingeräumt, die damals das Establishment stürzen wollten. Allenthalben werden die Sixties umgedeutet, und die Geschichte wird neu interpretiert. So gestand letzten April Robert McNamara, unter John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson Verteidigungsminister und haupt ver ant wortlicher Vietnamkrieger, in seinem Mea culpa in Buchform ein, der Krieg sei «nicht zu gewinnen» und somit ein «grosser Fehler» gewesen.
In Deutschland liess der «Spiegel» eben erst die beiden Töchter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in einer über zwanzig Seiten langen Titelstory ein differenziertes Bild ihrer Mutter skizzieren, das deren terroristische Taten relativierte.
Weltweit erzielen Medienkonzerne zurzeit kommerzielle Grosserfolge mit Gangstarap-Platten, die schwarzen Bür gerrechts aktivisten und ihrem Kampf gegen die weisse Hautevolee huldigen.
Filmemacher Oliver Stone («Platoon», «JFK»), seit Jahren hauptamtlicher Geschichtsschreiber der angeblich von Konspirationen durchzogenen späten sechziger und frühen siebziger Jahre, stellt derzeit eine filmische Charakterstudie des verfemten US-Präsidenten Richard Nixon fertig.
Francis Ford Coppola dreht in San Francisco und New York ein aufwendiges Jack-Kerouac-Porträt und will der Beatnik-Generation ein Denkmal setzen.
Am radikalsten fordert aber jener Film das Image der Sechziger heraus, der nächste Woche am Filmfestival von Locarno im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden antritt. In Mario Van Peebles dritter Regiearbeit «Panther» skandieren die schwar zen Revolutionäre der BPP mit geballten Fäusten unzählige Male «Fuck Ronald Reagan», «Fuck Ronald Reagan», «Fuck Ronald Reagan».
«Panther» basiert auf einem Drehbuch des Vaters des Regisseurs, Melvin Van Peebles, der 1971 mit dem längst zum Klassiker avancierten «Sweet Sweetback Badasssss Song» das schwarze Kino neu erfand. Mit seiner Milieustudie der schwarzen Ghettos in Los Angeles räumte Van Peebles senior bereits damals mit den Klischees der sechziger Jahre auf.
Van Peebles père et fils haben mit ihrer Interpretation der Black Panther in den USA bei Historikern, ehemaligen Bürgerrechtsbewegten und Leitartiklern einen Sturm der Entrüstung, vor allem aber eine Neubeurteilung der Black Panthers Party und der Ereignisse Ende der sechziger Jahre in Oakland herbeigeführt.
Der in den Sechzigern noch mit den Panthern verbundene David Horowitz vom neokonservativen Centre for the Study of Popular Culture in Los Angeles nannte den Film eine «pure Lüge»: Während zweier Stunden würden die Brutalität und der Sexismus der Panther sowie deren Drogenmissbrauch und -handel ignoriert.
Eine Gruppe schwarzer Kunstschaffender und Sportler, allen voran Regisseur Spike Lee, Schauspieler Danny Glover und Basketballstar «Magic» Johnson, standen Mario und Melvin Van Peebles mit ganzseitigen Anzeigen in amerika nischen Zeitungen zur Seite. Für sie ist der Film «ein geglückter Versuch», die jüngere afroamerikanische Geschichte «in Würde darzustellen».
Dabei zeichnen M. & M. Van Peebles in ihrem kinematografischen Molotow-Cocktail aus Fakten und Fiktion Huey Newton und Bobby Seale, die beiden Gründer der Black Panthers Party, als zwar smarte, zuweilen naive Träumer aus Oakland, die blindlings an ihrem Slogan «Power to the People» festhalten.
Die beiden kennen die amerikanische Verfassung auswendig und gehen nur mit juristisch lupenreinen Mitteln gegen die Polizei vor. Zu den Waffen greifen sie erst, nachdem die Ordnungshüter einen wehrlosen Schwarzen erschiessen – obwohl dieser mit hochgehaltenen Armen vor den heulenden Sirenen des Streifenwagens stehenbleibt. Den schwarzen Kindern von Oakland verteilt die BPP Lebensmittel. Erwachsene unterrichten sie in US-Geschichte, erzählt aus afroamerikanischer Perspektive.
Die kostenlosen Mittagessen waren jedoch nicht billig, weder für Schwarze noch für Weisse. Unzählige Polizisten und Panther starben während Schiessereien auf der Strasse. Gewalt evozierte Gegengewalt evozierte Gegengewalt. Die Medien zementierten darauf im öffentlichen Bewusstsein einer ganzen Nation das stereotype Bild vom isolierten, gewalttätigen afroamerikanischen Mann, der Drogen dealt und laute Musik hört.
Im Film «Panther» sind die Schwarzen hingegen jung und schön, die weissen Cops alt, fett und hässlich. Van Peebles stilisiert die Schwarzen Panther ikonenhaft zu Opfern einer rassistischen, gewalttätigen Welt – und bekam dafür von der «New York Times» eine Absolution: ««Panther» leistet einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte über die Sechziger.»
In Nordkalifornien selbst kam es bei Aufführungen von «Panther» zu kleineren Scharmützeln. Das fast ausschliesslich schwarze Publikum im Alexandria-Theater in downtown Oakland war vom Film begeistert: «Van Peebles zeigt, was Schwarze über Weisse denken», zitierte der «San Francisco Chronicle» einen jungen Studenten. «Es gibt viel Hass, der das Verhältnis zwischen Weissen und Schwarzen noch immer prägt.»
Einer, der während den sechziger Jahren zum innersten Kreis der BPP gehörte, distanziert sich allerdings von «Panther». Bobby Seale kritisierte den Film scharf und verurteilte das Vorgehen der beiden schwarzen Filmemacher, weil diese ihn nicht als Berater beiziehen wollten. Überrascht hatte er damit niemanden. Seale selber arbeitet zurzeit an einem Drehbuch für den Hollywood-Multi Warner, das die «einzig wahre Geschichte» der Black Panthers Party erzählen soll.
Interne Konflikte werden bei den Panthern nicht mehr mit Wortgefechten, sondern Verträgen bei konkurrierenden Hollywoodstudios ausgetragen.
An der Rückwand des Alexandria-Kinos in Oakland reihte sich eine Gruppe weisser Polizisten auf. Im Film werden ihre Kollegen von den Panthern «Schweine» genannt. Bei jedem Schuss, der ein «Schwein» trifft, schreit das Publikum auf. ««Panther» glorifiziert den gewalttätigen Lebensstil», kritisiert einer der Polizisten den Film. Während den Rassenunruhen der Sechziger hätte die Polizei ja bloss ihren «Job ordnungsgemäss ausgeführt».
Für einen arbeitslosen Schwarzen aus Oakland stehen die sechziger Jahre im Film «Panther» als Metapher für die Gegenwart: «Wir haben noch immer keine Jobs. Drogen beherrschen die schwarzen Quartiere mehr als je zuvor», sagt er im «San Francisco Chronicle».
Entlassen werden die Zuschauer mit einer These, die nicht neu ist, aber nur selten ausgesprochen wird. J. Edgar Hoover, 1967 Chef des FBI, soll die schwarzen Innenstädte unter tatkräftiger Beihilfe der Mafia mit billigen Drogen überflutet und damit die Panther geschwächt haben. Amerika, so die Rolltitel am Ende des Films, zähle heute zehnmal mehr Drogenabhängige als noch während den Sechzigern. Die meisten davon sind Schwarze.
Gerichtet war der Kampf der BPP auch gegen den Einsatz schwarzer Soldaten in Vietnam: «Schwarzes Blut fliesst im Krieg gegen die Gelben für die Profite der Weissen.» Schwarze, so die Meinung der Panther, hatten in Südostasien nicht das geringste verloren. Als gehörte es zur Lancierungskampagne von «Panther», sagte einer kurz nach dem US-Start des Films das Unsagbare: Robert S. McNamara gestand in seinem Buch «In Retrospect. The Tragedy and Lessons of Vietnam», dass der Vietnamkrieg nicht zu gewinnen war.
Verkörpert wird der Anführer der Black Panther, Huey Newton, im Film «Panther» vom noch unbekannten afroamerikanischen Schauspieler Marcus Chong, den Mario Van Peebles unter einer Gruppe Arbeitsloser vor dem Arbeitsamt in Berkeley entdeckt hatte. Chong, 28 und bei der Gründung der Black Panthers 1966 am Merrit College in Oakland noch nicht geboren, unterzog sich einem Schnellkurs in revolutionärer Theorie. Er las Mao Zedongs «Rotes Büchlein», Frantz Fanons «Die Verdammten dieser Erde» sowie das von Huey Newton selbst verfasste Buch «Revolutionary Suicide». Das sind alles Standardwerke, die zum Repertoire der BPP gehörten – und die jetzt erneut in den Buchläden aufliegen.
Obwohl die Black Panthers bei einer grossen Öffentlichkeit als unverkäuflich gelten – ihr Diskurs spielt sich vornehmlich in den schwarzen Ghettos ab -, erleben sie derzeit eine ungeahnte Renaissance, die mit dem Film von Mario Van Peebles einen Höhepunkt erlebt.
1994 publizierte Hugh Pearson seinen kritischen, den Panthern aber keineswegs feindlich gesinnten Geschichtsband «The Shadow of the Panther». Philip Foners «The Black Panthers Speak», Gilbert Moores «Rage» sowie Huey Newtons «To Die for the People» – alles Klassiker der amerikanischen Widerstandsliteratur – wurden auf den Start von «Panther» neu herausgegeben. Zwei ehemalige Panther – Elaine Brown («A Taste of Power», 1993) und David Hilliard («This Side of Glory», 1993) – schrieben Episoden und Anekdoten aus den Sechzigern in ausführlichen Autobiografien nieder.
Im laufenden Jahr öffnete ein Dutzend lokaler Black-Panther-Ableger vor allem in texanischen Städten Büros, und die Neuausgabe der Zeitung «Black Panther» erlebt eine rasante Auflagensteigerung.
Zusätzlichen Aufwind erhält die BPP vom weltweiten Protest, den ein Dekret des Gouverneurs von Pennsylvania, Tom Ridge, hervorrief. Ridge setzte die Hinrichtung des zum Tode verurteilten afroamerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal unwiderruflich auf den 17. August fest. Bis anhin gingen bei Ridge über 20000 Gnadengesuche ein. Der vormalige Black Panther Abu-Jamal soll vor 14 Jahren in Philadelphia einen Polizisten ermordet haben. Bewiesen werden konnte es ihm nie; das Urteil basiert auf einem reinen Indizienprozess.