Nicht ganz abgeschrieben

Der neue Roman von Pfarrer Ulrich Knellwolf plagiert Walo Deubers Film «Klassezämekunft».

Von Peter Hossli

Acht betagte Frauen und Männer treffen sich bei einer ehemaligen Mitschülerin zum Abendessen. Ein paar Stunden später sind alle Gäste tot.

In wenigen Tagen stirbt eine ganze Schulklasse, die in den dreissiger Jahren im appenzellischen Trogen gemeinsam die Matura absolviert hat.

Während die erste Geschichte vor Jahren als «Klassezämekunft» im Kino zu sehen war, erzählt Ulrich Knellwolf die zweite in seinem soeben erschienenen Buch «Klassentreffen».

Klassentreffen betulicher Herrschaften wecken gleichermassen die kreativen Geister bei Film- und Buchautoren. Vornehmlich die unrühmliche Geschichte der Schweiz während der Naziherrschaft inspiriert Filmer wie Schreiber zur visuellen und literarischen Zusammenführung von Maturaklassen – und zur Nachahmung.

Vor bald sieben Jahren traf sich die alte Garde des Schweizer Films zu einem gemeinsamen Stelldichein. Unter der Regie von Walo Deuber und Peter Stierlin agierten Anne-Marie Blanc, Ruedi Walter, Paul Hubschmid und Konsorten in einem herzhaften, von der Kritik jedoch geschmähten Krimi. In «Klassezämekunft» (1988) lud die reichste Schülerin (Blanc) ihre acht noch lebenden Klassenkameraden zum Diner. Lebendig nach Hause kam niemand. Alle wurden Opfer einer längst verdrängten und vergessen geglaubten Geschichte, die sich genau fünfzig Jahre zuvor ereignet hatte. Weil ein Mitschüler damals mit den Ideen von Marx und Lenin liebäugelte, stempelten ihn seine heimattreuen Altersgenossen zum Aussenseiter. Auf der Maturareise stiessen die Maturanden ihn dann in den tosenden Rheinfall.

Der predigende Schreiber und schreibende Prediger Ulrich Knellwolf erzählt nun in seinem Kriminalroman «Klassentreffen» in den Grundzügen denselben, auf zweihundert Seiten aufgeblasenen Plot, den das Presseheft von «Klassezämekunft» treffend resümiert: «Keiner will sich daran erinnern, doch die Wahrheit holt sie alle ein.»

Der Verfemte ist bei Knellwolf nicht Kommunist, sondern ein Überläufer, der kurz nach Kriegsbeginn die Uniform der Schweizer Armee in einem Heuschober versteckt und sich nach Nazi-Deutschland absetzt. Bis 1942 steht der studierte Maschineningenieur als Aufseher russischen Zwangsarbeitern vor. Später wandert er nach Argentinien aus. Im hohen Alter entscheidet sich der Abtrünnige zum Entsetzen seiner alten Kameraden, noch einmal die Stationen seines Lebens in der Schweiz und Ostdeutschland aufzusuchen. Das Sterben kann beginnen.

Genau wie im Film erleidet in Knellwolfs Roman einer nach dem anderen der unrühmlichen Vergangenheit wegen einen schnellen Tod. «Zufall?» fragte die «Neue Zürcher Zeitung» lakonisch. Wohl kaum. «Die Idee scheint schlicht und einfach geklaut», sagt Re-gisseur Walo Deuber, «geglückt ist Knellwolf das Unterfangen, einen Krimi zu schreiben, allerdings nicht.» Zur deftigen Mordgeschichte fehlt es dem Buch an Motiven und hintertriebenen Fieslingen.

Ansonsten gibt es zu viele Parallelen zu Deubers und Stierlins Film, als dass in «Klassentreffen» tatsächlich originäre Züge zu finden wären. Hier wie dort gibt es uneheliche Töchter, im Film wie im Buch fürchten sich alle vor dem Abwesenden. «Der narrative Überbau von Knellwolfs Buch entspricht genau unserem Film», sagt Deuber. Sogar die Todesursachen der betagten Herren und Damen sind dieselben. Gestorben wird in gleicher Abfolge an Herzversagen, Ertrinken und zu schnell gefahrenen Kurven.

Knellwolf selbst findet es «an den Haaren herbeigezogen», wenn sein hurtig geschriebenes Büchlein nun als Plagiat von «Klassezämekunft» gehandelt wird. «Klassentreffen» basiere viel eher auf einer «realen Begegnung mit einem alten Mann, der tatsächlich ein Naziüberläufer war». Und der kaum zufällig gewählte Titel? «Sache des Verlags.»

«Als «Klassezämekunft» 1988 in die Kinos kam», sagt Ulrich Knellwolf, «sah ich den Film nur partiell.»�