Von Peter Hossli
Hätte es das Kino bereits vor 150 Jahren gegeben, der Wittels bacher Märchenkönig Ludwig II. (1846-1886) hätte sich nie ein Leben voller Träume, Phantasmen, Paläste der Lust und Tempel der Sünde mit konstant überbordender Extravaganz erschaffen. Er wäre wohl Filmregisseur geworden.
1881 reiste Ludwig mit dem Schauspieler Josef Kainz zu den Schauplätzen von Schillers «Wilhelm Tell». Hier liess er sich verzückende Verse über Tells Geschoss und Gesslers Hut vortragen.
Drei Brüder aus dem Tessin haben nun Ludwigs Schweizer Reise nachgestellt. Fosco und Donatello Dubini in den Regiestühlen und Bruder Cardo als Produzent zeichnen den «Bayernkini» unterschwellig als verhinderten Regisseur. Ihr Film «Ludwig 1881», hervorragend besetzt und mit Akribie inszeniert, wird dieser Tage in den Kinos anlaufen.
Verkörpert wird der Märchenkönig von Helmut Berger. Bereits 1973 spielte er in Viscontis «Ludwig» den bajuwarischen König. Zwanzig Jahre später gelingt ihm eine seiner reifsten Leistungen als Schauspieler.
«Oh, es ist notwendig, sich solche Paradiese zu schaffen, solche poetischen Zufluchtsorte», schrieb der bayrische König vor seinem Rückzug aus den tagespolitischen Geschäften an den Hofsekretär. Er wolle sich nur noch der Gestaltung und Verschönerung seines an politischer Macht einbüssenden Alpenreiches kümmern.
Seit bald 110 Jahren ist Ludwig Vorbild für Zeitgeist propheten und Trendsetter. Gefeiert wird er als Kriegsdienstverweigerer, Homophiler, Wagners Liebhaber, Bau löwe. Sicher war er ein lustvoller, unermüdlicher Gestalter seiner Träume, Impressario des Inszenierens.
«Ich will nicht mehr reisen. Es ist kein Verlass mehr auf die Natur», trauert Ludwig-Darsteller Berger gegen Ende des Films «Ludwig 1881» seinen Schwärmereien nach. «Aber», so Ludwig, «man braucht keine Reise mehr zu machen, um aussergewöhnliche Gefühle zu erleben», die Augen in einen magischen Bilder kasten vertieft, der ihm Fotogra fien aus aller Welt vergrössert wiedergibt.
Der Märchenkönig schuf sich zeit seines Lebens eine illusionistische Welt, die es heute nur noch in den Kinos zu bestaunen gibt. Genauso wie die Hollywood-Bosse auf bombastischen Filmsets, erfüllte sich Ludwig jeden Wunsch mit aufwendi gen und ausgefallenen Bauten.
«Auf steiler Höh’, umweht von Himmelsluft», wie er Richard Wagner berichtete, liess Ludwig über der Pöllatschlucht das Märchenschloss Neuschwanstein erbauen. Schloss Linderhof wurde im Rokokostil hochgezogen. Im Plansee im Allgäu sollte ein Nachbau des kaiserlichen Winter palasts in Peking stehen.
Neben dem königlichen Bett liess er Felsen samt Wasserfall aufbauen. Daneben standen duftende Orangenbäume. An der als Nachthimmel bemalten Decke hingen Mond und Sterne.
Ludwig selbst war schon zu Lebzeiten ein Star prähollywoodscher Prägung. Er trat stets in hohen Stiefeln, schmucken Uniformen, die Brust voller Orden, das Haar frisch onduliert, mit einem Hermelin umhang vor sein Volk, das ihn zuweilen fast abgöttisch liebte.
Auch sein geheimnisumwitterter Abgang gleicht einer kühnen Selbstinszenierung. Nur gerade 40jährig war er, als man am 13. Juni 1986 seine Leiche zusammen mit derjenigen des Psychiaters Professor Bernhard Aloys von Gudden im Starnberger See barg.
Niemand fand heraus, ob der König den Freitod wählte, ob es einen tödlichen Zweikampf mit von Gudden gab oder ob er ermordet worden war.
Eine Verquickung à la Hitchcock der feineren Art.