Eine Filmleiche in Strassburg

Ein Bundesbeamter bemüht sich beim Europarat vergebens, das Kino-Jubiläum zu koordinieren. Bern drückt sich vor der Verantwortung.

Von Peter Hossli

Als er die Türe des bundesrätlichen Büros öffnete, wusste Christian Zeender genau, was er wollte. Der damalige Chef der Sektion Film des Bundesamtes für Kultur (BAK) hatte im Sinn, dem europäischen Kino im Jubeljahr gegen die übermächtige US-Filmindustrie zur Seite zu stehen.

Sein Wunsch, ihn als Vorsteher der Arbeitsgruppe «100 Jahre Kino» des Europarats nach Strassburg zu schicken, stiess beim damals als Innenminister waltenden Flavio Cotti auf offene Ohren.

Nun stehen wir inmitten des Kino Jubeljahres. Und die Bilanz des «Monsieur Cinéma» Christian Zeender erweist sich nach zweieinhalbjährigem Tun als äusserst ernüchternd. Neben zwei filmpolitischen Vorstössen, einer Ausstellung, deren Veranstaltungsorte und -daten wenige Monate vor Beginn noch unklar sind, und einem dank Satellitenlink in drei Ländern simultan zu erlebenden Fest mit der Prominenz aus Film und Fern sehen bleibt herzlich wenig, was auf seine Initiative zurückzuführen wäre.

Ende 1992 gab es triftige Gründe, den Spitzenbeamten (Lohnklasse 28, bis 145 233 Franken jährlich) als Beitrag der Eidgenossenschaft an die Spitze einer von ihm selbst initiierten Arbeitsgruppe des Europarats zu beordern: Einerseits konnten die für das Ansehen der Schweiz in Europa nachteiligen Auswirkungen der Kulturartikel-Abstimmung etwas geschmälert werden.

Anderseits hatte man für den amtsmüden Zeender, der während acht Jahren der Filmabteilung des Bundes amtes für Kultur vorstand, eine valable Beschäftigung gefunden. Nicht ungern sandte man ihn als «Geschenk» ins Elsass, wie sich Hans-Rudolf Dörig, stellvertretender Direktor beim BAK, ausdrückt.

Zeender befand sich 1992 in einer Pattsituation. Er hatte gehofft, nach seinen verdienstvollen Jahren als Chef der Sektion Film den attraktiven Posten des Direktors der Cinémathèque Suisse, des eidgenössischen Filmarchivs in Lausanne, antreten zu können.

Doch der heute siebzigjährige Freddy Buache, amtierender Direktor der Cinémathèque, mochte seinen Stuhl auch nach über 40 Amtsjahren nicht räumen. Zudem verschlechterte die Ernennung des Zürchers Bernhard Uhlmann zum Vize von Buache Zeenders Chancen beim Filmarchiv.

Schliesslich brachte der verdrossene Zeender den Bundesrat dazu, ihn ins Elsass zu entsenden, wo er gegenwärtig die Arbeitsgruppe «Centenaire du Cinéma» des Europarates präsidiert.

Diese Arbeitsgruppe besteht bloss aus zwei Leuten: Christian Zeender und seine Sekretärin entwickeln im olivgrün gehaltenen fünften Stock des europarätlichen Verwaltungstraktes seit bald 28 Monaten Ideen und Konzepte für die Jubelfeiern der siebten Kunst. Herausgekommen ist bis anhin, 160 Arbeitstage vor Ende seines Mandates, wenig Konkretes.

Im Rahmen des Filmfestivals von Cannes verkündete Zeender am 18. Mai vergangenen Jahres, der renommierte Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann entwerfe eine Sonderschau, welche die Verbindung zwischen dem Kino und den anderen sechs Künsten aufzeigen sollte. Stattfinden, so Zeender unlängst, werde die Ausstellung «in Venedig, Zürich, Wien und New York».

Laut Harald Szeemann ist die Eröffnung der Exposition «100 Jahre Film – Die Grosse Illusion» in Venedig allerdings «höchst ungewiss». Der Palast der Biennale ist im Sommer von einer Architekturschau belegt. Ob die Ausstellung im Winter doch noch an die Adria komme, hänge sowohl von einer finanziellen Beteiligung der ständig wechselnden Regierung Italiens wie von «intakten Heiz- und Klimaanlagen im Biennale-Palast» ab, sagt Szeemann.

Auf Unterstützung von Zeender konnte Szeemann nur bedingt zählen. Die Initiative kam zwar aus Strassburg. Um Planung, Organisation und Realisation musste sich der Ausstellungsmacher derweil allein kümmern. «Zeender war nur gerade bei einer Sitzung dabei», klagt Szeemann.

Ob das zweite von Zeender initiierte Ereignis wirklich stattfinden wird, ist ebenfalls noch ungewiss. Drei europäische Filmstudios – Babelsberg in Potsdam, Pinewood in London und Cinecittà in Rom – sollen voraussichtlich am 15. September das Kino mit einer grossen Party feiern. Die französische Firma Thomson Consumer Electronics ermöglicht eine Satellitenübertragung. Schauspielerinnen aus Rom können dann live miterleben, wie Regisseure in Potsdam an Champagnergläsern nippen. Diese wiederum beobachten, wie Kameraleute in London Lachsbrötchen vertilgen.

Zeenders Posten ist an sich schon absurd. Mit einem jährlichen Budget von nur 160 000 Franken lässt sich auf europäischer Ebene für das Kino kaum etwas Nutzbringendes verwirklichen. Die anderen Staaten Europas haben grösstenteils auf eine Unterstützung der Arbeitsgruppe verzichtet. Ausser der Schweiz sprachen nur gerade Österreich, Schweden und Norwegen minimale Beträge.

Die meisten Ideen, die Zeender entwickelt, verschwinden daher wieder in Schubladen. Ein europäischer Kinozug wird nie ins Rollen kommen. «Es gab kein Land, das sich daran finanziell beteiligen wollte», verteidigt sich Zeender. Vorgesehen war auch die Restauration zweier Filmklassiker aus jedem europäischen Land. Doch die Filme werden aus Geldmangel weder Licht noch Schatten auf Leinwände werfen.

Zeender selbst wirkt verunsichert, gibt sich aber betriebsam: «Heute morgen bin ich um fünf Uhr aufgestanden», betont er mehrmals. Wort reich bemüht er sich, zu erklären, warum er so wenig zum Zentenarium des Kinos hat beitragen können: «Das Projekt meiner Arbeitsgruppe ist mit grossen Risiken verbunden. Es muss ja etwas dabei herauskommen.» Und meint vielsagend: «Meine Aufgabe ist eine Herausforderung. Man weiss nie, was daraus resultiert.»

Die Bundesverwaltung zu Bern gibt sich bedeckt. Innerhalb des Beamtenapparates will niemand die Verantwortung übernehmen. Weder das Bundesamt für Kultur noch das Departement des Äusseren (EDA) führt Christian Zeender angeblich auf der Lohnliste. Der Dienst des Europarates will Zeender beim BAK untergebracht wissen. Ein Pflichtenheft oder einen direkten Vorgesetzten gibt es anscheinend nicht. Rapportieren muss Zeender seine Arbeit niemandem.

«Christian Zeender ist administrativ ans EDA detachiert, die Verantwortung für seine Arbeit liegt aber nicht bei uns», sagt Livio Hürzeler, Chef des Europa ratdiensts im EDA.

«Seinen Briefkopf kenne ich nicht», meint der höchste Schweizer Kultur beamte David Streiff, der jetzige Direktor des BAK. Mit Zeender will er noch nie einen Schriftwechsel geführt haben: «Eine Liste mit seinen Bemühungen um das Kino hat er mir nie geschickt.»

Verantwortlich für den Kulturattaché fühlt sich Streiff nicht. Er kann oder will nicht eingreifen. Die Hände seien ihm gebunden: «Zeender wurde vor meiner Amtszeit für den Europarat freigesetzt. Jetzt ist er vom BAK beurlaubt und nicht mir unterstellt.»

1995 wird der hundertste Jahrestag der ersten öffentlichen Aufführung eines Films in einem Lichtspieltheater gefeiert. Für die zu bejubelnde Branche der be wegten Bilder ist Zeenders Wirken skandalös.

Der Badener Kinounternehmer Peter Sterk, Mitglied der eidgenössischen Filmkommission, zeigt sich ver ärgert: «Es ist schon sehr beschämend, wenn man bedenkt, dass der Bund bei der Kultur ständig Kürzungen vornimmt. Gleichzeitig bezahlt er während dreier Jahre das Gehalt eines Kulturbeamten, dessen Arbeit für das Kino dieses Landes und für die Hundertjahrfeiern in Europa bisher kaum etwas gebracht hat.» Sterk selbst engagiert sich in Baden anlässlich der Jubelfeiern mit vier zusätzlichen, von ihm selbst initiierten Anlässen.

Verärgert hat Zeender Verleiher und Kinoleute der Schweiz und Europas bereits vor einem Jahr. Am Filmfestival von Cannes liess er verlauten, dass am 28. Dezember 1995 europaweit alle Kinos gratis seien. Doch er hatte eine solche Aktion nie mit der betroffenen Branche diskutiert. Es wird diesen Kinotag daher ebenfalls nicht geben.

Verärgert hat Zeender Verleiher und Kinoleute der Schweiz und Europas bereits vor einem Jahr. Am Filmfestival von Cannes liess er verlauten, dass am 28. Dezember 1995 europaweit alle Kinos gratis seien. Doch er hatte eine solche Aktion nie mit der betroffenen Branche diskutiert. Es wird diesen Kinotag daher ebenfalls nicht geben.�